Von Altersflecken und dem Jugendwahn…

Illustration: Rebekka Heeb

Es gibt Menschen, die sagen: DAS ALTER IST WUNDERBAR.

O.k. Vielleicht leben die auf dem Mond. Und geniessen die Schwerelosigkeit.

ICH FINDE DAS ALTER SCHEISSE. Und die Rückenschmerzen sind das Einzige, das du auch mit 90 nicht vergisst.

Vergesslich wird der Mensch heute ja bereits ab 50 Jahren. Mit 60 gehts erst richtig los: Wie heisst der nette Mann mit dem Hütchen doch gleich mal? …

Schon kommt er näher.

Also den kennst du doch vom Theater … oder war er mit dir in Friedborn beim Gesundfasten …?

Du hyperventilierst in Panik. JETZT streckt er die Hand HIN: «Ja grüss Gott, Herr … Herr … Herr …»

Gottlob, gehts ihm ebenso.

«Müller», sage ich. Und beobachte scharf, wies da unter dem Hütchen mit den Ganglien bestellt ist.

«Grüss Gott Herr Müller – strahlt er!»

NA ALSO – DER HÄNGT SCHON GANZ SCHÖN DURCH!

«Ja hallo Herr Meier», sage ich. Und weiss, dass ich es wagen kann. Wer dich Müller nennt, hat seinen eigenen Meier schon lange begraben …

Wir plaudern nett miteinander – vereint in einer Welt, wo der Rücken schmerzt. Die Fussnägel nur noch durch eine Podologin zu meistern sind. Und man macht sich unter Gleichgebeutelten schon mal über Vor- und Nachteile von Alterspampers schlau.

Weiss der Himmel, wie es unsere Grossmütter geschafft haben, in Würde zu altern. Gut. Sie standen noch nicht unter demselben Wettbewerbsdruck. Heute gaukeln einem in sämtlichen Werbeblocks jugendlich-gestraffte 70-erinnen vor, wie pipieinfach es sei, sich sein Kinder-Popo-Gesicht bis in die Gruft zu bewahren. Ein paar Tropfen von der Wundercreme hier … ein paar Tupfer von der weissen Kaviar-Lotion da. UND DU LEBST EWIG. ZUMINDEST DEINE HAUT. WER AUSSIEHT WIE EIN SCHRUMPELAPFEL HAT SELBER SCHULD.

Seltsamerweise funktionieren diese Wunder­salben immer bei diesen andern, die es sich wert sind. UND DU KOMMST DIR ­DOPPELT WERTLOS VOR, WEIL DU JETZT SCHON DAS ACHTE TÖPFCHEN AUF DEINE BIRNE GEKLEISTERT HAST. UND NIX FUNKTIONIERT. ABER HALLO – DA SIEHST DU DANN ALT AUS …

Meine Grossmutter, die von der vornehmen Sorte, hätte jetzt ihren Spruch von der Nivea zur Hand. Ich meine: Sie sah mit 80 tatsächlich noch so aus, als ob sie es sich wert sei. Doch WENN SIE EINER NACH DEM GEHEIMNIS IHRES ARSCHGLATTEN HÄUTCHENS FRAGTE, SENKTE SIE IMMER NUR DIE AUGEN: «Wasser und Nivea ...»

Das war dann nicht etwa dieses feine, kleine Töpfchen. Sondern die grosse blaue Dose, die man nie richtig öffnen konnte, ohne gleich das halbe Bad einzusalben …

Überhaupt: Die Oma der Nase-hoch-Seite – und das musste selbst ihre Runzelhunzel-Rivalin, die Kembserweg-Omi, die mit 50 schon aussah, als sei sie drei Mal gestorben, zugeben – die High-Class-Oma also sah auch noch mit 80 total glatt gebügelt und wie frisch geboren aus. Dazu bürstete sie täglich vier Mal ihre Haare, die bis zu ihrem Abgang aufs ewige Ruhekissen so schwarz blieben wie ihre Seele.

Ich glaube fest, dass das Rabenschwarze des Haars, vor allem aber auch der Seele, ihr die ewige Frische bewahrt hat. Es machte ihr Spass, im Alter die falschen Zähne zu zeigen. Bissig zu ­werden. Und die Leute zu brüskieren. Ja, sie war nun ein zu Fleisch gewordener Satansbraten und genoss es, Intrigen zu spinnen und die Umgebung vor ihr zittern zu lassen. DAS WAR BESSER ALS HUNDERT VON DIESEN LIFTINGSCREME-TÖPFCHEN.

Wollte einer mal aufmucken, presste sie die Lippen so lange zusammen bis diese violett anliefen. Sie stierte mit grossen, veilchenblauen Augen ins Leere, begann heftig zu atmen und «ihr Herz … ihr Herz!» riefen die Töchter in Panik.

ABER HALLO – SO WURDE JEDE KRITIK AN IHRER PERSON MIT EINEM SCHAU­SPIELERISCHEN GROSSAKT GESTOPPT.

Mit ihrem kranken Herzen (das übrigens nach der Obduktion als kerngesund in die Akten der Pathologie einging) tyrannisierte die Oma schon als junge Frau ihre Umgebung. Sie setzte die Pumpe so ein, wie das Kriegsgebiet die Schusswaffen. Und wenn sie nicht gerade schoss, war da immer Kalter Krieg.

KURZ – DIE OMA GENOSS IHRE MACHT. Blieb strahlend jung dabei. Und so wird wohl auch Putin nicht alt werden …

Die Kembserweg-Omi war der andere Schlag. Wie gesagt: Wir haben sie nie anders gekannt als mit dem runzligen Bulldoggen-Gesicht. Aber sie scherte sich nicht um Furchen oder Augensäcke – auch nicht um die braunen Altersflecken, welche Stirne, Backen, Hände überwucherten und alles so aussehen liess, als wäre vor ihr ein Rennauto durch den Schlamm geprescht.

«Hört doch auf mit diesem Jugendmist!», wetterte sie immer wieder. «Putzt euch gründlich den Arsch – das ist wichtiger. Ich möchte von eurer andern Grossmutter ja nicht das Höschen sehen …»

Musste sie auch nicht.

Aber es zeigt: Auch die Omi hatte ihre Hormonschübe ganz ohne Salben. Und blieb jung dabei.

Sie starb faltig wie eine Ziehharmonika. Dies mit 85. Und zu jener Zeit waren das 120 auf dem Tacho.

Wenn sie mal Probleme hatte, kippte sie einen Klaren. Manchmal auch zwei. Oder drei.

«Mit einem Klaren klärt sich alles …», kalauerte sie jeweils. Und schüttete einen vierten runter. Sie war es sich wert.

Hier ist ein Quotes für ein Interview oder bei einem Leitartikel, der vier Zeilen lang ist»

Dienstag, 26. August 2014