Vom Sängertreffen in Adelboden und Regen à gogo

Illustration: Rebekka Heeb

Da habe ich wirklich die Arschkarte gezogen. In Adelboden schiffts à gogo.

Dies pausenlos. Es ist, als stünde man unter der ­Dauerbrause. Und jemand hat den Badezimmervorhang zugenagelt.

DAS BILD HINKT. ABER SO ÄHNLICH HALT.

Ich liebe den Regen. Besonders in Adelboden. Erstens schenkt er dir einen Teint wie einen Kinderpo. Und zweitens kannst du mit gutem Gewissen daheim herumklönen. Und die ­Wanderschuhe in der Kiste lassen.

ICH FINDE WANDERSCHUHE EH ZUM DAVONLAUFEN.

Aber jetzt?

WAS ZU VIEL IST, IST ZU VIEL!

Ich sitze im Stübchen. Habe die Ölheizung auf Volldampf geschaltet. Und schaue melancholisch auf die ­winzigen Chaletfenster, die vor sich hinweinen. Marianne, meine Zugehfrau, schüttelt den Kopf: «Ist ja typisch – immer wenn ich die Fenster geputzt habe, sieht man es nicht, weils sofort zu regnen beginnt.»

Bei Marianne regnet es immer auf die Fenster. Auch wenn die Sonne scheint.

SO.

DAS WAR NUR EIN EINSTIEGS­GEPLÄNKEL. DIE ESSENZ, DIESER GESCHICHTE KOMMT ERST.

Die Essenz fängt mit einem Telefonanruf meines Freunds Paulchen aus Winterthur an: «Könntest du mir etwas Liebes antun?»

Ich bin auf der Lauer wie die Katze vor dem Mauseloch. «Liebes antun» heisst in einem Alter, wo du die AHV ziehst, entweder Geld leihen oder: «Kannst du mir das Nudelrezept von Alfredo schicken?»

«… es geht um Herbert.»

Ach Gottchen – eine Liebesgeschich- te. Ich muss die Kleenexschachtel holen und Paulchen die Hände halten.

«Du weisst schon: der junge Tenor!»

«Es tut mir leid», sage ich schon mal.

«Er braucht dir nicht leid zu tun. Du sollst ihn morgen in Spiez abholen. Er hat Ruhe nötig. Anfang September beginnen seine Proben für ‹Lohengrin› in Berlin. Da habe ich gedacht, ein bisschen Adelbodner Sonne würde ihm guttun.»

«HIER PISSTS AUS VOLLEN SCHLÄUCHEN!» – Ich spüre eine Panik in mir aufsteigen. ICH WILL KEINEN FREMDEN HERBERT ZU GAST. UND SCHON GAR KEINEN SINGENDEN LOHENGRIN: «Unseren Kühen wird bei hohen Tönen stets die Milch sauer.»

«Du hast auch schon besser geulkt», hustet Paulchen. Und spielt den grossen Trumpf aus: «Er wird vermutlich übernächste Saison an der Scala singen. Sie wollen ihn als Rodolfo mit der Netrebko! Er hat dann für Mimmis Tod immer Freikarten.»

Da liess ich Marianne das Bett frisch beziehen. Und legte Martheli, die Kuschelplüschkuh, drauf.

Als ich den Tenor sah, hielt selbst der Himmel für einen kurzen Moment Atem und Regen an: DAS KONNTE DOCH NICHT DER SÄNGER MIT DEM HOHEN C SEIN? Das war höchstens die Hosensackausgabe!

Ein Vollfett-Rumpelstilzchen, breit wie lang und mit einem Bauch, sodass es aussah, als sei der Kleine vor sechs Monaten von einem ­Elefanten geschwängert worden, hatte sich in einen Schal gehüllt: «Das Gepäck ist dort hinten …wann fährt der nächste Schwan?»

Der Witz war von Loriot. Und das Männchen Lohengrin. Doch für diese halbe Portion brauchte es weiss Gott keinen Schwan. Den konnte ein auf­geschlossener Regisseur auch auf einem Tauch-Entchen abziehen lassen.

Herr Lohengrin wickelte dann nochmals eine Lage Schal um seine Gurgel: «Ich muss auf meine Stimmbänder achten, guter Mann. Ich hoffe, das Hotel ist gut geheizt. Hier ist es ja wie in Sibirien.»

ALSO DORTHIN HÄTTE ICH DIESE JODELTUCKE GERNE GEWÜNSCHT!

Wie konnte Paulchen mir so etwas antun, wo ich schon als Kind alle ­Ovo-Stängel mit ihm geteilt habe.

In Panik telefonierte ich auf die Rigi. Dort überwachte Innocent die Dachdecker. Und zählte jeden Ziegel einzeln ab.

«Du musst sofort kommen; ich habe hier einen Prallsack gespickt an Tönen. Und diese Zicke ist anspruchsvoll. Das schaffe ich nicht alleine.»

«Du kannst mich mal dort, wo Tante Martha am schönsten war», brüllte es durch den Hörer. «Ich darf hier nicht weg. Gestern haben sie wieder vier Ziegel mehr verrechnet.»

«In guten wie in schlechten Zeiten», hatte Innocent an jenem Januartag vor dem Standesbeamten geschworen. UND DAS WAR NUN WEISS GOTT EINE SCHLECHTE ZEIT!

«Stell ihm eine Flasche von meinem Malt-Whisky hin. Und du hast Ruhe. Alle Tenöre saufen Malt-Whisky.»

ACH WENN ES SO EINFACH GEWESEN WÄRE!

Der Herr Sänger machte nämlich auf «welt­gereist». Und «Ansprüche». Als er die – zugegeben – bescheidene Holzhütte sah, wurde er bleich: «Ist es das?»

ES WAR EIN HOCH GESUNGENES FRAGEZEICHEN IN CIS!

Ich schleppte also seine sieben Koffer ins Kämmerchen. Da war die Bude voll. Und der Tenor ebenfalls: Er hing bereits am Whisky. Und winkte mich herbei: «Ich zeige Ihnen jetzt, mit wem Sie es zu tun haben.»

Lohengrin öffnete seinen silbernen Laptop. DINGDONG.

Schon tippte er auf iTunes eine Einspielung an, die ihn schwarz befrackt vor einem riesigen Flügel zeigte. Wenn man profilmässig so tief gesunken ist, sollte man nicht vor einem hohen Flügel stehen. Es macht noch kleiner. Ein Spinett würde eventuell noch gehen …

Ich wunderte mich, aus welcher Leihanstalt diese Figur einen schwarzen Frack bekommen hatte. Ich meine: Der Sänger sah aus wie ein zu stark gestopfter Kinderpinguin.

UND SO TÖNTE ER AUCH.

Da man als Gastgeber liebenswert und mit keinem Ton bissig sein sollte, blieb ich stumm. In mir aber tosten Gedanken wie: Wenn ich die Mimmi wäre und der mir das eisige Händchen halten müsste, möchte ich schon im ersten Akt sterben.

«Na?!», blökte er triumphierend. «Na?! – Und jetzt kommt Schuberts ‹eine Mühle seh ich blinken›.»

Ich sah keine Mühle. Ich sah nur diese hin- und herschaukelnde Marzipankugel in Trauerpackung.

Dann fiel gottlob wieder mal die Wifi-Internet-Zuleitung aus. Und diesmal dankte ich der Adelbodner Cablecom für ihre Gnade.

Es wurden happige Tage. Das Tenörchen frass wie zwölf von Oeschters Kühen am Trog. Und schüttete ­täglich eine Flasche von Innocents ­irischem Whisky nach.

Als er am dritten Tag seine Stimmübungen startete, erkundigte sich Pierens Lysette, ob bei uns ein Stier gestorben sei.

DER STIER STARB ACHT TAGE LANG.

Dann rief ihn Wuppertal an der Wupper überraschend als Ersatz zu einem Liederabend. UND GOTT DANKS DEN WUPPERTALERN!

«Lohengrin ist weg», gab ich Innocent die frohe Botschaft auf die Rigi durch. «Und deine Kiste Malz-Whisky auch.»

«So lass ihn ziiiiehn, du holde ­Liiiebe», schmetterte Innocent in den Hörer.

Ich glaube das ist aus «der Vetter von Dingsda». Jedenfalls hat es besser getönt als die «blinkende Mühle am Bach».

Dienstag, 19. August 2014