Nachbarn

Er donnerte in wilder Wut an die Wand.

GELÄCHTER. UND IMMER WIEDER DAS ­BUMMBUMMBUMM EINER BESCHISSENEN CD.

Seit Wochen schon nervte Tom das BummBumm.

Die zwei Jungs, die vor einigen Monaten im ­Nachbarhaus als WG eingezogen waren, hatten ihm einen Strauss mit welken Nelken und ­frischem Grünzeug entgegengestreckt:

«Auf gute Nachbarschaft… wir sind manchmal etwas hitzig. Full of sound. Aber klopfen Sie an die Wand. Und wir stufen zurück…»

«Es sind nette Burschen», hatte er seinem Vetter vom oberen Stock das Neuste vom Tag durch­gegeben. «Sie studieren Sozialarbeit… und am Wochenende spannen sie etwas aus...»

«Seit wann ziehst du Hanf rein…?» – hatte der Vetter etwas indigniert auf das Grünzeug in den Nelken gezeigt.

An den Wochenenden ging dann immer die Post ab. Zuerst rauchte der Grill. Dann der Hanf aus Eigenanbau in Tontöpfen.

JE MEHR CANNABIS REINGEPFIFFEN WURDE, UMSO HEFTIGER WURDE DER SOUND. Und der liess die Bilder von den Wänden krachen.

Tom wollte mal nicht so sein. Er war 50. Und sein Neffe hatte ihn ein «seniles Grabloch» genannt, als er ihm die schreckliche Pein geklagt hatte.

Tom hasste es, als bedepperter Grufti eingestuft zu werden. Er trieb Sport. Trimmte die Muskeln. Und stufte sich als «knapp mal 35» ein. Da konnte er nicht wie ein Opa auftreten. Tom stöpselte sich nun jedes Wochenende die Ohren mit Wachsknöllchen zu. Er pennte dennoch zero. NADA. Sein Bett vibrierte. Dies im BummBumm-Takt.

NUN WAR GENUG!

Tom hatte einen schlechten Tag gehabt: Zoff mit der Freundin, die wieder mal Heiratspläne ins Spiel brachte. Als er etwas wortkarg wurde, lief gar nichts mehr. Daheim lief auch der Computer nicht. Das Einzige, was lief, war die Party in der Nebenwohnung.

UND JETZT MARSCHIERTE ER ALSO IN DER TRAINERHOSE ZUM NACHBARHAUS. UND DRÜCKTE MAL WILD DEN KLINGELKNOPF – «SENILES GRABLOCH» HIN ODER HER!

Nichts passierte. Vermutlich war die Bande schon so zugedröhnt, dass sie das Klingeln als sphärischen Himmelston einstufte.

Tom holte sein Sackmesser aus der Trainingshose. Klickte die Ahle raus. Und machte sich am Schloss zu schaffen… na denen würde er jetzt was husten!

«Was tun Sie hier?» – ein Bulle leuchtete mit der Taschenlampe in sein Gesicht.

«Ohhh… ich bin nur der Nachbar», stotterte Tom. «Die sind so laut… da wollte ich mal kurz vorstellig werden und…»

«Ach ja», höhnte der Polizist. «Und dafür brechen Sie hier ein? AUSWEIS!»

Verdammt – er trug keine Brieftasche bei sich! Nur Trainingshose. Natür. «Wir müssen Sie mitnehmen» – der Polizist päckelte Tom am Arm.

Da ging die Türe auf: «Ja, hallo Herr Hämmerli…was ist denn los?» Einer der beiden Burschen erschien mit einem Glimmstängel auf der Treppe. Süsslicher Rauch umnebelte die Szene.

«Kennen Sie den alten Herrn?», donnerte der ­Polizist. Tom zuckte zusammen: «DEN ALTEN HERRN?» – SO EIN ARSCH…

«Ja klar – der netteste Nachbar, den man sich ­vorstellen kann!»

«Na dann…», brummte der Gesetzeshüter. Er liess Tom los. Und: «Ich will das da nicht gerochen haben…!» – mit der Hand wedelte der Polizist die Rauchwölkchen des Jungen weg. Sie luden den Nachbarn auf einen Drink ein. Und gaben ihm Kuchen. Nach dem dritten Stück fühlte Tom sich angenehm schläfrig.

«Die Rezeptmischung besteht zum grössten Teil aus unserer Hofernte…», grinsten die Burschen.

Tom schloss die Augen. Die Welt war wunderbar.

Er fühlte sich glücklich, jung, kein Gramm «seniles Grabloch» – in seinen Ohren tanzten nackte ­Brasilianerinnen Samba… BummBummBumm…

P.S. Künftig schickten die Nachbarn vor jeder Samstag-Party drei Stück Kuchen.

Montag, 11. August 2014