Das schottische Rätsel

«HILDEGARD – DU BIST EINE SAU!!»

Hilde schaute etwas geniert um sich. Gottlob hatte niemand ihren Alten gehört.

Soeben war ein grün-roter Schottenrock an ihr vorbeigewippt.

Hilde hatte Klaus-Heinrich nur leise die schottische Frage gestellt: «Meinst du, die tragen wirklich keine Hosen darunter…?»

Seine Augen hatten sich gepeinigt geschlossen. Und: «HILDEGARD – DU BIST EINE SAU!»

Nein – eben nicht mit e i n e m – mit ZWEI Ausrufezeichen!!

Sexuell war Klaus-Heinrich ein Valium. Zum Abgähnen. Immer gewesen.

Allein die verbale Erwähnung eines Büstenhalters («Kannst du mir mal den BüHa zuklicken, Klaus-Heinrich!») liess ihn hyperventilieren. Und wenn im Fernseher jemand nackt auftrat, switchte er sofort weg. So kannte seine Familie die meisten Filme und Werbespots nur in Fragmenten.

Schon in der Hochzeitsnacht hatte er alle Lichter gelöscht. Und sein Höschen erst unter der Bett­decke runtergezuckelt.

ALSO DARAUF HATTE SIE JA NICHT EINE GANZE MÄDCHENZEIT GEWARTET!

Nach den drei Kindern war eh Schluss mit lustig. Nun ja – lustig wars eh nie gewesen.

Ein Psychoklempner hätte vermutlich nach den verklemmten Wurzeln gebohrt. Aber bei Klaus-Heinrich bohrte keiner.

Nun betrachtete er seine Gattin vorwurfsvoll: «Du denkst immer nur an das eine, Hildegard – man möchte meinen, dass du zu kurz kommst …»

«MÖCHTE MEINEN» WAR GUT!

Sie standen da in dieser Lounge an einem Hochtischchen. Und stocherten an Appetithäppchen herum.

Klaus-Heinrich war ganz wild auf das Tattoo gewesen. Sie nicht. Militärmusik machte sie schläfrig.

ABER ALS SIE DIE DUDELSACKSPIELER SAH, WAR SIE SOFORT HELLWACH. IHRE GEDANKEN KREISTEN UM DEN DUDEL UND UM DAS SCHOTTISCHE RÄTSEL. 300 Schottenröcke rauschten im vereinten Gebläse vorbei – sie konnte mit diesen weinerlichen Melodien nichts anfangen. Nur mit der Frage: WAS IST DORT UNTEN?

Beim Coiffeur hatte Hilde einmal in der Bunten gelesen, dass der oberste Schotten-General die Parade mit einem Spiegel abnehmen würde. Am Spiegel sei ein langer Stiel. Und so bewaffnet konnte er unter jedem Rock kontrollieren, ob alles seine Richtigkeit hat.

DOCH W A S WAR RICHTIG? – MIT ODER OHNE?

Das hatte die Bunte nicht geschrieben. Es stand auch nicht im Tattoo-Hochglanz-Programm.

Klaus-Heinrich hatte jetzt einen Kollegen aus dem Kirchenrat entdeckt. Und segelte auf ihn zu.

Hilde stand allein bei drei Crevetten. Da gesellte sich der Schotten-Dudelsack zu ihr. Ein Bier in den Händen. Viele Orden an seiner Brust blinkten ihr zu: «ICH BIN HÖHER DEKORIERT ALS DU MIT DEINER MIESEN EINREIHER-PERLENKETTE!»

«Did you like it?», lächelte der Mann freundlich.

«Oh yes – absolutely mega», lächelte Hilde zurück.

Der Mann leerte das Bierglas in einem Zug. Er rülpste auf schottische Art. Strich den Kilt glatt.

Hildegards Gedanken jagten wie Atome im kleinen Köpfchen herum. Schliesslich wisperte sie: «I have a question, please…»

Der Schotte wischte sich den Schaum vom Mund. Rülpste nochmals herzlich. Lachte Hildegard ins Gesicht: «SIE WOLLEN SICHER WISSEN, OB WIR HOSEN DARUNTER ANHABEN ODER NICHT?»

Ausgerechnet in diesem Moment tauchte Klaus-Heinrich von seinem kleinen Kirchenratstreffen wieder auf: «HILDEGARD!!!»

Diesmal drei Ausrufezeichen.

Er zog sie vom Tischchen weg. Der Mann mit dem Röckchen grinste vielsagend.

«Wo ich so nahe dran war…», keifte Hilde später im Auto. So bleibt das schottische Rätsel auch hier ungelöst.

Montag, 4. August 2014