Von Modicas Schokolade und einer Plattitüde...

Illustration Rebekka Heeb

«Jetzt mach hier nicht auf Zicke!» – Innocent schüttelte missbilligend den Kopf: «…natürlich hält dieser Autocar. Er hat schon 100 Jahre gehalten …»

«Eben», seufzte ich. Und der Pneu – so schwummerig wie der Bauch meiner frohen Freundin Hella von Sinnen – verhiess nichts Gutes.

«Es wird Schokolade geben», flüsterte mir Angelo ins Ohr. Und zwinkerte mit seinen langen Wimpern, so dass ein leiser Wind durch das affenheisse Palermo zog.

NA GUT – DIE SCHOKOLADE IST WIE DIE RÜBE BEIM ESEL. MAN MUSS SIE IHM NUR VOR DIE NASE BINDEN. SCHON KOMMT ER IN TRAB. ICH STEIGE AUCH IN EINE RAKETE, WENNS AUF DEM MOND SO ETWAS ÄHNLICHES WIE RAGUSA-MIT-NUSS GIBT.

Der Autocar muffte ein bisschen. Aber unsere ­Reisegruppe hatte sich gut besprayt. Und bald schon wurde die Muffe von Armani, Dolce Cabana und Hermes «Printemps» überweht.

Der Car-Fahrer war ein winzig kleines Männchen aus Syrakus. Sicherlich hat er in seinem sonnigen sizilianischen Leben noch nie eine so heisse Fuhre an gut gestylten Männern gefahren.

NUR MÄNNER.

ALLE MIT FRISCH GERICHTETEN ZÄHNEN. Modischen Labels auf der Brust. Und zwei ­verschiedenfarbigen Nike-Schlarpen an den ­pedicurierten Füssen.

Kurz: Wir waren eine Herde knackiger Wonneproppen – zumindest der grösste Teil von uns. Es gab da auch die beiden alten Horrortypen mit den Bäuchen, wie damals, als sie im achten Monat mit zwei Plüsch-Hunden schwanger waren. Nur wars diesmal Bier. Bier. Und nochmals Bier.

Naja – kleines Scherzchen am Rande.

Aber der Taschenformat-Chauffeur schaute die Gruppe so verängstigt an wie das Kaninchen vor einer Horde grüngefärbter Hyänen.

Ich bin überzeugt, dass er sich nach diesen ­Exkursionstagen in seiner Küche vor den Haus­altar mit der stets brennenden Elektrokerze warf. Mit den Fäusten trommelte er auf den Marmorboden und schaute unter Tränen zur Maria, die ihrerseits den Blick nach oben gerichtet hat: «Heilige Mutter Gottes – tu dies meinen Söhnen nie an …NIE … NIE … ich will weiterhin gerne 100 Jahre mit abgefahrenen Pneus diese verrückten Touristen durch unsere schöne Insel kurven … ABER BITTE KEINE ROSA SOCKEN FÜR MEINE BUBEN!»

Und für einen kurzen Moment hat die Madonna den Himmelfahrtsblick nach hienieden gesenkt. Und dem geplagten Mann zugeraunt: «Aber, aber Arturo … keine Bange. Deine Buben sind wackere Mannsbilder. Sie üben bereits an den Ziegen!»

Dann wieder Blick nach oben.

Unser erster Halt war in Erice. Angelo senkte die Wimpern und es war, als würde ein Vorhang ­fallen: «Die Stadt existierte bereits bei den alten Griechen. Sie haben sie nach Eryx, dem Sohn der Aphrodite benannt …» Jetzt gingen die Wimpern hoch und die Augen strahlten: «ES IST DIE STADT DER LIEBE …»

Die Gruppe kicherte, wie es sich gehörte. Nur der dicke Alte mit dem Bauch machte «HUCH!», weil er das vor 60 Jahren so gelernt hat.

Angelo schaute etwas gereizt in Richtung «Huch» und zeigte seine akademische Reife: «30 000 Einwohner … 751 Meter über Meer ... ein Normannen­kastell … und die Chiesa madre von 1314 …»

Dann nickte er zu den Bierbäuchen: «Hier gibt es anerkannt die besten ‹Paste mandorle›, ein zartes Mandelgebäck . Und natürlich ist der Ort ein ­Treffpunkt aller Physiker dieser Welt. Es finden Sommerkurse statt.»

ALSO DAS MIT DER PHYSIK INTERESSIERTE MICH NUN NICHT GANZ SO SEHR. ABER DIE MANDEL-KÜCHLEIN SCHON.

Im übrigen war Erice wunderbar kühl und eine erfrischende Abwechslung zum Brutofen in Palermo. Aber natürlich hatte die Gruppe mit den taillierten Gucci-Polos keine Wolljacken dabei. UND DAS GESNIEFE , GESCHNEUZE UND ­HATSCHUHATSCHU HÄTTET IHR DANN AUF DER HEIMFAHRT ERLEBEN SOLLEN. Gottlob konnte die alte Tucke aus Basel auf ihren verfilzten Faserpelz zurückgreifen. Sie reist nie ohne ihren Tiger. Und der Tiger hielt ihr die Krätze vom Hals …

Auf der Fahrt nach Modica wollte ich dann mal nicht so sein und intonierte «Hoch auf dem gelben Waaagen» – EINER MUSS JA DEN ANFANG MACHEN.

Aber sie schauten mich so entsetzt an, als hätte ich Jauche versprüht. Innocent stopfte mir den Mund mit einer geballten Ladung dieser weichen Erice-Mandeldinger. Und so konnte man den Führer am etwas scheppernden Busmikrofon vernehmen, der uns von Modica erzählte. Wie hier beim ­Erdbeben im Val di Noto 1693 über 60 000 Menschen ums Leben gekommen seien. Und die ­Spanier trotzdem weiter auf die Schokoladen-­Fabrikation bestanden hätten – die Herren Nobili kredenzten sich die Schoko nämlich jeweils zum Dessert, um süsser verdauen zu können.

Modica ist berühmt für seine Schokolade. Und wenn das Barock-Städtchen auch nur 20 Kilometer von Ragusa entfernt liegt, so hat die pralinenartige Stange mit den Haselnüssen in der Pipeline nichts mit der hiesigen Cioccolata gemein.

IM GEGENTEIL: RAGUSA SCHMECKT BESSER.

O.k.O.k. Das ist natürlich megachauvinistisch und total subjektiv. Aber die Schokolade in Modica wird «kalt» fabriziert. Die zerstampften Kakao­bohnen kommen aus Sao Tome. Und dürfen nie über 40 Grad haben. Sie werden mit Zucker ­vermengt. Und alles wird tausend Mal geknetet , gemörsert und gewalzt. Dann in Zinnformen ­abgefüllt. Fertig.

Das Resultat ist, dass «la cioccolata di Modica» wie die früheren Ovo-Stengel sandig schmecken: rau, körnig – mit kleinen Luftblasen in der Masse. Und mit einem leicht grauen Schimmer über allem – das ist die ausgeschiedene Kakaobutter.

NA JA – IRGENDWIE GEWÖHNUNGSBEDÜRFTIG!

Ich meine nie und nimmer so samtflaumig wie eine Lindor-Kugel von den Maîtres Chocolatiers – WIR VERSTEHEN UNS?!

Und doch ist Modica immer eine Reise wert. ­Erstens wegen des sizilianischen Barocks. Und zweitens wegen der Arrancini, diesen frittierten Risotto-Kugeln. Selbst unsere so linienbewussten und gesundheitsfanatischen Männer konnten nicht widerstehen. Sie kugelten sich voll, bis die Labels wackelten. Und die ersten Hermes-Gürtel knallten.

Das Chauffeur-Männchen schlug das Kreuz Und betete, dass die Reise bald vorüber sei.

Ich betete auch. Um seinen hinteren Reifen, der ganz langsam zur Plattitüde wurde …

Dienstag, 29. Juli 2014