Von Mick Jaggers Besuch und seiner Flucht aus Rom

Illustration Rebekka Heeb

«I’M OUT!» brüllte die Stimme durch meine Römer Gegensprechanlage.

Eben noch döste ich auf meinem Sofa vor mich hin. Dankte Gott und der Welt, dass ich hier von der Hitze abgecoolt und voll klimatisiert ein Mittagspennerchen machen konnte. Ich hatte eben die Zeitung durchgeblättert. Und wieder stand – ausser dem Zetermordio wegen der italienischen Fussball-Pfeifen – nichts Gescheites drin. Nur: dass Mick Jagger schon vier Tage vor dem Concerto in diesem Privatjet mit der langen Zunge drauf eingeflogen sei.

Die römische Polizei habe ihm leider keinen Personenschutz gewähren wollen, da sie streike. «Aber», so schrieb die Klatschtante Giuseppina des Messaggero: «Mick will sich Rom dennoch unbeschwert reinziehen, so wie es ihm Audrey Hepburn im legendären Film beibrachte, als er ein kleiner Bub war.» Ein kleiner Bub? Der ist doch älter, als die Hepburn je war – also da hat die Klatschtrulla aber megamies recherchiert.

Es hämmerte nun heftig ans hölzerne Aussentor: «I’M OUUUTTT!» Okay. Wir wissen alle, dass die Engländer aus dem Spiel draussen sind. Da hätten sie sich eben mal ihre senfigen Ärsche aufreissen sollen. Das ist noch lange kein Grund durchzudrehen. Und dann bellte die verzweifelte Stimme: «I’M MICK JAGGER …»

ABER HALLO – da habe ich schnell das Auf-­Knöpfchen gedrückt. Die vordere Palazzo-Türe schmetterte zu. Schon watschelte ein mageres, runzliges Männchen über den Kies in meinen dunklen Hinterhof – das Rumpelstilzchen keuchte wie Dackel Waldi, wenn er dem Hasen hinterher war: «Thank God!» «Na na na», klopfte ich Mick scherzhaft auf die wattierte Lederschulter: «Ich bin nur sein Personal – Aber ich werde IHM den Dank weiterleiten.» WAR EIN KLEINER WITZ AUS DER SCHERZKEKS-DOSE.

Die Sache war jedoch höchst peinlich: Da kam dieser Mick total ausgepumpt dahergerockt und ich hatte kein Bierchen, keinen Wein und nicht mal einen Joint auf Eis. Ich sass stofftechnisch total auf dem Trockenen. Das Einzige im Angebot war: Verveine-Tee. Und davon schüttete Mick sich nun rein, als sei es Gin pur und er die Queen Mum, Gott hab sie selig …

Es ist stets peinlich, wenn man einem Stück Glamourgeschichte dieser Welt gegenübersitzt. Und nichts zu sagen weiss. Das passierte mir öfter mal. Als Arthur Cohn in Beverly Hills zu seiner Premiere von «White Lies» die Leuchtsterne des VIP-Himmels zusammentrommelte, wie da also jeder in einer Stretchlimousine nach L. A. ins Festspielhaus chauffiert wurde und als er mich schliesslich in eine dieser blütenweisswurstlangen Blechkisten bugsierte, DA WAR ICH WIE VERSTEINERT. Mir gegenüber hockten David Copperfield und Claudia Schiffer. Die beiden galten damals als DAS Promi-Paar auf diesem Erdenball. Aber nie hätten sie sich öffentlich dazu geäussert. Immer nur: «… ja, wir sind gute Freunde … Hochzeit? – no comment …» – der übliche Schmu eben. UND JETZT HATTE ICH DIE GELEGENHEIT, MIT CLAUDIA UND DAVID HAUTNAH KLARTEXT ZU REDEN.

Die Fahrt von Beverly Hills nach L. A. dauert etwa 40 Minuten. Da sass ich in dieser fahrenden Kiste, in der man kegeln konnte. Lächelte einfach nur nett. Und schwieg. SCHWIEG! In meinem Kopf summten Billionen von Bienen – ABER KEINE EINZIGE FRAGE. Erst als wir beim Kino-Palast angekommen waren und ein Türsteher die Tore der lang gezogenen Weisswurst aufriss, kam ich zu Wort: «Have a nice evening!» Sie lächelten beide. Nur David streichelte mir liebevoll übers Haupt, das harthaargesprayte …

SO ETWAS SOLLTE MIR MIT MICK JAGGER NUN WIRKLICH NICHT MEHR PASSIEREN.

Deshalb: «Woher haben Sie meine Adresse …woher kennen Sie mich …?» Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es die Seifenreklame war. Gut. Ich hatte mal für eine von mir selber konzipierte Kugelseife Propaganda gemacht. Errol Siegfried hat mich damals nackt einschäumen lassen. In eine Badewanne gestellt. Und das, was unter dem Schaum hervorschaute, porträtiert. «Le palle!» nannten wir Seife und Foto, das damals um die Welt (okay – zumindest um deren Nabel am Rheinknie) ging.

ABER MICK IST NICHT DER TYP, DER SICH MIT SEIFE WÄSCHT! Deshalb nochmals: «Woher kennen Sie mich?»

Er zeigte auf sein neuestes iPhone von Apple: «GRINDR!»

Ich kapierte sofort. GRINDR ist eine dieser Meeting-Foren, wo man einen Partner zu einem Cola Light oder auch zu Prickelnderem treffen kann. Hundert Jahre hat sich keiner bei mir gemeldet. UND JETZT MICK JAGGER.

Der gierte mittlerweile mit seinen versoffenen Augen nach meiner einzigen Cailler mit Nuss. «Ich bin der ganzen Meute ab. Hunderte von Journis, Paparazzi und Fans wild hinterher ….», so dramatisierte er das bisschen Schnitzeljagd. Er grinste: «Bei den Fans konnte man die künstlichen Knieprothesen scheppern hören. Aber da sah ich diese dunkle Gasse. Bog ab. Und hier leuchtete dein GRINDR-Lämpchen auf: ‹only 5 feet›. Da habe ich geschellt …»

Er lümmelte auf meinem neuen Sofa. DIES MIT TURNSCHUHEN. DAS NIKE-ZEICHEN WAR IN STRASS. «Ziehen Sie sofort Ihre Schlarpen aus», befahl ich. Und hoffte, er würde es nicht falsch deuten.

Wieder polterte es an der Türe. «Die hauen mir noch das Tor ein», dachte ich. Und erwachte aus meinen Tagträumen – die Zeitung noch immer auf den Knien. Draussen stand unser Portiere Franco. Er tobte: «Jetzt hat der Hund deiner Freundin Rosa-Maria schon wieder in den Hof geschissen … kannst du eigentlich nicht aufpassen?!»

«Ich hatte eben Mick Jagger zu Besuch», nickte ich eisig. Und schloss die Türe.

Dienstag, 15. Juli 2014