Der Hund sass am Rheinbord.
Er schaute ins Wasser.
Und zitterte.
«Er ist noch jung», sagte der Veterinär vom Tierheim.
Und streckte ihm einen Hundekeks hin.
Das Tier sah den Hundekuchen nicht an.
Der Hund verstand die Menschen nicht mehr.
Seit Wochen war er mit Karl herumgegangen. Karl hatte ihm jeweils die verlöcherte Wolldecke auf den Boden gelegt. Dann holte der abgemagerte Junkie die Geige aus dem Kasten. Und spielte für die Passanten.
Die meisten Leute gingen an diesem seltsamen Paar vorbei.
Nur wenige warfen ein paar Münzen in das verbeulte Plastikbecherchen. Und wenn sie es taten, dann lächelten sie dem Hund zu.
Karl hatte die junge «Trottoirmischung» (wie er den Dackel-Schnauzer nannte) von einem anderen Junkie geschenkt bekommen: «Damit holst du dir mindestens 20 Stutz pro Tag – die Menschen haben ein Herz für Tiere. Aber nicht für unsereinen …»
Karl spielte grossartig Geige. Wenn er ansetzte und mit dem Bogen über die Saiten strich, seufzte der Hund zufrieden.
Das Tier liebte die Musik von Paganini – Capricen und «La Campanella» – oder den «Liebestraum» von Liszt.
Da schloss es die Augen.
Und wedelte sanft.
Neben dem Heroin war die Musik das einzige, das den Junkie Karl in eine andere Welt abheben liess.
Einmal war ein Mann stehen geblieben. Und hatte seinem Spiel andächtig zugehört:
«Sie sind ein Paganini. Und Sie sollten etwas aus ihrem Talent machen …», hatte er zu Karl gesagt.
Dann hatte er ihm eine 50er-Note in den Becher gelegt.
Karl holte sich mit dem Geld sofort Stoff. Und Hundebiscuits.
In jener Nacht, als Karl in den Fluss gegangen war, hatte der Hund drei Stunden lang am Ufer gejault. Er wartete, dass sein Freund zurückkommen würde.
Karl kam nicht mehr zurück.
«DEN HIER», sagte Fränzi. Und zeigte auf den kleinen Hund, der teilnahmslos in einer Ecke sass. Und zitterte.
«Sie müssen entschuldigen», lächelte die Frau aus dem Tierheim, «aber wir können die Tiere nicht einfach so abgeben. Wir müssen da ein paar Erkundigungen einholen.»
«Was sind Sie denn von Beruf?»
«Geigenlehrerin», sagte Fränzi abwesend. Und ging auf den Hund zu. «Ich habe schon immer Hunde gehabt. Der letzte ist vor vier Wochen gestorben. Er wurde 17 Jahre alt.»
Sie kniete nieder. Und nahm den Kopf der Trottoirmischung in ihre Hände. Sanft kraulte sie die Ohren des Tiers: «Hallo … du bist traurig … was haben sie mit dir gemacht?»
Der Hund schaute sie an. Und zitterte.
Drei Tage schon war der Hund nun bei Fränzi.
«Er frisst nichts. Er sitzt in einer Ecke und zittert …», hatte sie ihrer Freundin berichtet. «Es bricht einem das Herz!»
Sie streckte ihm ein Hundebiscuit zu. Er schaute sie nur traurig an.
«Ich muss üben», sagte sie zur Trottoirmischung. Und bald schon hörte man ihre Geige.
Sie spielte mit geschlossenen Augen. Da spürte sie etwas Warmes an ihrem Bein. Das Tier hatte sich zu ihr gelegt.
Spät am Abend legte sie eine CD auf. Liszt. «Liebestraum».
Sie sassen beide auf dem Sofa. Beim ersten Klang der Geige drückte der Hund den Kopf auf ihren Schoss.
«Ich werde dich Paganini nennen», sagte Fränzi leise und streichelte die zarten Ohren.
Paganini schloss die Augen. Und wedelte.