Fussball-Frust

WIE ER DIESEN VERDAMMTEN FUSSBALL HASSTE.

Seit Wochen hatten alle nur den Ball im Kopf. Am Kopf. Um den Kopf. SONST WAR NICHTS.

Wenn Heiko von seinem Schreibtisch heimkam, fand er nicht die ersehnte Ruhe.

Schon im Büro fussballerten sie seit einem Monat nonstop. Lieferungen blieben stehen. Rechnungen unbezahlt.

FUSSBALL GAB DIE GANGART AN.

«Ach», seufzte Heiko. Und war frustriert, weil vom Synchronschwimmen höchstens Mal drei Minuten in einer Vorabendschau ausgestrahlt wurden.

Seine Kollegen wedelten hysterisch mit Wett­zetteln herum. Sie liessen ihm keine Ruhe, bis er «Deutschland» als Gewinner eingeschrieben hatte. Alle betrachteten ihn misstrauisch: «Heiko tönt sehr nach Preussen. Bist du so einer…?»

«Die Schweizer haben schliesslich auch einen deutschen Trainer», konterte er ruppig.

«Das ist etwas ganz anderes», gaben die andern den Ball zurück.

Heikos gemütliche Stube war jetzt ein Taschen­format-Stadion mit Kinosaal-Charakter. Mary, seine Frau, hatte Küchenhocker, Schlafzimmerstühle und die Gast-Schlafcouch in Theatersessel-Formation aufgestellt. Die Bühne war der Breitschirmfernseher, den er ihr zu Weihnachten gekauft hatte.

Das Spiel hatte schon begonnen. Mary glotzte gebannt auf die Experten, die sich über Fouls, Fussballer und Schiedsrichter ausliessen. Und: «Bier hats im Eiskasten» – murmelte sie.

«Guten Abend», sagte er spitz.

«Pssst» – zischten ein Dutzend Jugendlicher genervt. Mark hatte seine Clique zum Spiel eingeladen. Sein Sohn machte aus jedem Spiel gleich Party.

«Ich hasse Bier. Ich hasse Fussball», brüllte Heiko.

Keiner beachtete ihn, denn nun kamen die beiden Mannschaften auf den Platz. Sie sangen die Nationalhymne. Und «je schwärzer die Nation, umso fröhlicher singen die Burschen», sinnierte Heiko. Und dachte etwas wehmütig an das Team der Eidgenossen, das kaum die Lippen voneinander brachte.

Heiko fand die Umarmungen vor dem Spiel das Netteste. Es erinnerte ihn an jenes Therapie-­wochenende, zu dem seine Firma die Angestellten in ein Bergdorf zusammengetrommelt hatte. Das Betriebsklima war hundsmies gewesen. Also wollte der Chef die schlechte Aura wegtherapieren lassen. Die Psycho-Tante hatte gleich zu Beginn alle aufgefordert, einander in die Arme zu nehmen. Damals merkte Heiko, dass seine Sekretärin Mundgeruch hatte.

Das Klima blieb weiterhin schlecht.

Heiko schaute auf den Bildschirm, wo die Mannschaft die Köpfe zusammensteckte. Was war, wenn hier der Captain an Mundgeruch litt?

Der Ball rollte.

«Was gibt es zu essen?», flüsterte Heiko zu Mary. Sie stierte noch immer auf den Bildschirm. Und deutete abwesend auf einen Kübel mit Chips.

Das «Aus» der Engländer hatte Mary, deren Wurzeln in Hastings waren, stark mitgenommen. Sie hatte zuerst über den Schiedsrichter getobt. Dann laut geheult. UND KEINER HATTE SIE IN DIE ARME GENOMMEN.

(Das Fernsehen müsste Therapiesendungen für Verlierer anbieten.)

Er verliess die Stube. Und schaltete in seinem Arbeitszimmer den Laptop ein.

ES WAR EINE AFFENSCHANDE, DASS ER SICH DIE NACHRICHTEN WEGEN DIESER FUSSBALLHYSTERIE ÜBER DEN COMPUTER REINZIEHEN MUSSTE.

Die News-Sendung war jedoch bereits vorbei. Man gab Fussball. Und alternativ: Rosamunde Pilcher.

Er schob sich alleingelassen von dieser Welt eine rosa Pille ein. Ging zu Bett.

Und träumte von jener Zeit, als er beim Synchronschwimmen im Einzel die Bronzemedaille gewann…

Montag, 7. Juli 2014