Hausfrau

«Findest du, ich sei dumm?»

Walter schaute von seiner Zeitung auf: «…was soll das jetzt werden, Mausi?»

Sie waren 32 Jahre verheiratet. Hatten drei Kinder grossgezogen.

Und sie war noch immer Mausi.

«Als ich am Klassentreffen nach meinem Beruf gefragt wurde … », sie stockte.

Er legte die Zeitung weg. Und schaute sie gespannt an: «Ja…?»

«… als ich da HAUSFRAU gesagt hatte, wurde es plötzlich still im Säli … die Frauen schauten mich etwas schräg an, na ja, wie wenn ich im Alter Mumps hätte …»

«Und weshalb …»

Rosie zögerte einen Moment: «Ich glaube, sie haben sich fast ein bisschen für mich geschämt … ich meine, das waren alles Berufstätige … mit einer Karriere im Leder­rucksack … Hanni gar mit einem Professorentitel. Und ich: HAUSFRAU!»

Rosie kullerten nun tatsächlich Tränen über dieWangen. Walter hüpfte auf, nahm sie in die Arme: «Aber du bist doch mein Familien-CEO. Du bist der beste Organisator, der beste Koch, der beste Gärtner, Pädagoge und Psychologe …» Walter wurde nun wütend: «Was ist denn mit diesen Weibern los, dass sie dir einen solchen Schmetter einjagen!»

Rosie schluchzte nun: «Hanni hat mich ganz lange angeschaut und dann eiskalt gespottet: ‹Sicher bäckst du jeden Samstag für die Familie einen Zopf…› »

Walter ging auf 100: «Ja und? Wir freuen uns doch immer darauf und…»

Nun heulte Rosie richtig los: «Hanni hat gesagt, sie könne nicht einmal ein Ei warm machen …»

«Na‚ kreative Intelligenz scheint aber nicht gerade die Stärke der Frau Professor zu sein …»

Rosie putzte sich die Nase: «Vielleicht hätte ich mein Jus-Studium doch nicht abbrechen sollen, Walter …»

«MAUSI – dein Brotpudding ist tausendmal mehr wert als ein Anwaltstitel‚ apropos: Du hast schon lange keinen Brotpudding mehr auf dem Menüplan gehabt …»

Später, beim Bügeln seiner Hemden, ging ein Film vor ihren Augen ab.

Sie war eine junge Braut, im zweiten Monat schwanger. Er – ein heisser Bräutigam und künftiger Prokurist bei der Bank. Und sie schwelgten in den Plänen, «ein Nest zu bauen» – wie sie es beide nannten.

Sie wartete abends mit dem Brotpudding auf sein strahlendes «MEIN MAUSI!». Zuerst wollte sie noch ihren «Lic. jur.» machen. Aber dann ging alles im Galopp: Walters Eltern starben und hinter­liessen ihnen ein kleines Reihenhäuschen. Es musste renoviert, frisch eingerichtet werden. Das ging unter «Nest bauen».

Er aber hockte in der Bank. Also blieb alles an ihr hängen.

Und abends dann Brotpudding …  und: «Ach MAUSI, wenn ich dich nicht hätte …»

Die Kinder kamen Schlag auf Schlag.

Für einen kurzen Augenblick hielt Rosie beim Bügeln inne. Über ihrem Gesicht ging die Sonne auf: Zu beobachten, wie die drei Mädchen gross wurden, sie auf ihrem Weg zum Erwachsensein zu begleiten – das war Glück.

Heute gingen alle drei ihre eigenen Wege. Die Jüngste war noch im Studium‚ die beiden anderen arbeiteten beide als Juristinnen. Nun lachte Rosie auf und rief zu Walter in die Stube: «Du – können unsere Mädchen eigentlich Eier kochen?»

Er schaute ins Bügelzimmer. Und grinste «Ach Mausi, ich habe mir echt Sorgen gemacht – gottlob gehts dir wieder besser …»

Rosie stellte das Radio neben dem Bügelbrett an. Edith Piaf sang: «Je ne regrette rien.»

Für einen kurzen Moment lauschte Rosie der gewaltigen Stimme. Dann trällerte sie leise mit: «Non, je ne regrette rien…»

Sie ging in die Küche.

Und butterte die Form für den Brotpudding.

Montag, 30. Juni 2014