Von Péguy und einer Hochzeit, die gar keine ist

Illustration Rebekka Heeb

Als ich Péguy erstmals sah, stand er auf der Terrasse. Trug einen Waschbärpelz. Und wurde mit Tausenden von Orangen bombardiert.

Elegant wich er den Wurf­geschossen aus. Einige platzten an der Hauswand auf. Péguy lächelte stoisch wie Queen Mother, wenn ihre Untertanen wieder mal ungezogen waren.

Im Hintergrund sammelten die Serviertöchter des Cafés Spillmann alle Wurforangen ein. Die Früchte wurden sofort ausgepresst. Der Saft ­tiefgefroren. Und dann für Sorbets verwendet.

Die Fasnachtsorangen, die dank Péguy und seines Freundes, dem Couturier Fred Spillmann, von den Waggiswagen auf die ­Terrasse geschossen wurden, reichten für gut 300 Sorbets im Jahr.

«Bei uns kommt nichts um!» – war die Devise von Mutter Spillmann. Böse Zungen sagten, sie habe die beiden Männer in den Pelzmänteln an den Cortège-Nachmittagen sehr bewusst in die vorderste Reihe ihrer Terrasse platziert, weil sie wusste, was dann passieren würde.

Nun ja – vielleicht ist es nur ein Gerücht. Aber die Rechnung von Mutter Spillmann ging auf – rund fünf Zentner Orangen wurden so gratis frei Haus geliefert! Was will man mehr.

Ich lief damals in der Jungen Garde der ­Lälli-­Clique mit. Und die andern kicherten: «Schau sie dir an, wenn du weiter so mit deinem Hintern wedelst, wirst du sicher auch bald einmal auf der Terrasse stehen!»

Es war nicht bösartig. Es war Fopperei. Und ich weiss noch, dass mir die Terrasse egal war. Aber so einen flauschigen Pelz hätte ich schon gerne auch mal gehabt. Natürlich habe ich mich später, als mir die Tierschützer an die Eier gingen, von Tierfellen Abstand gehalten. Meine Rundungen wurden in Nylon, Polyester und Acryl gehüllt. Es war nicht dasselbe – aber «politically correct».

Obwohl «Monsieur», wie Péguy seinen Freund nannte, als leuchtender Star alles überstrahlte, war es dennoch der Franzose, der im Hintergrund die Fäden zog.

Als Péguy in Basel aufmarschierte, hielt die Stadt für einen kurzen Moment den Atem an. ­Erstens war so etwas wie eine Homoehe nach dem Zweiten Weltkrieg auch für eine sehr liberale Stadt total neu. Schwule Männer wurden zwar aus einer alten Tradition heraus toleriert. Aber es war ein bisschen wie heute noch in Sizilien oder der Türkei: «Alles okay – aber bitte nicht darüber reden!»

Péguy war jedoch eine Erscheinung, die man nicht einfach stummschweigen konnte. Und Fred Spillmann war der Letzte, der sich oder sein Verhältnis versteckt hätte. Deshalb: frontaler Angriff auf die Öffentlichkeit.

Die beiden organisierten Feste für die Crème de la Crème, zeigten sich als Paar in der Stadt und damit wären wir bei Punkt Nummer 2 – Péguy war ein bemerkenswert gut aussehender Mann. Er liess die Weiberwelt vibrieren und – wie man immer wieder munkelte – nicht nur die Weiberwelt.

Jedenfalls hat manche der Basler Damen jener Zeit seine Stoffblumen-Arrangements in die Villa schicken lassen in der Hoffnung, Monsieur Péguy zupfe dann nicht nur an den Seidenrosen rum …

Irgendwie lag also eine Hochzeit von Péguy und Fred in der Luft. Die Basler warteten nur darauf. Aber natürlich war dies zu jener Zeit juristisch ein Unding. Und einfach «nur so zum Spektakel» sei ihm die Sache dann doch zu ernst gewesen – hat Fred später die Frage, weshalb sie nie ein Hochzeitsfest inszeniert hätten, leicht irritiert beantwortet.

Allerdings – ganz Basel hat dann doch die Hochzeit von Fred und Monsieur Péguy miterlebt. Das war dann eine Hochzeit, die gar keine war – zumindest nicht diejenige der beiden Dragqueens. Dennoch ging es damals in den 50er-Jahren wie ein loderndes Lauffeuer durch die Stadt: «Die ­beiden haben geheiratet … in Kutschen … im ‹Drei Könige›. Wir waren dabei.»

Später, als ich einmal auf der Insel Kos Ferien machte und mich ein Beizer fragte, woher ich käme, als er da «Basel» hörte, strahlte er auf wie die Sonne über der Ägäis: «BASEL?!! – DORT ­GIBTS DOCH DIESE BEIDEN VERRÜCKTEN, DIE GEHEIRATET HABEN!»

Also – die Sache war folgende: Fred Feldpausch, Filius aus dem berühmten Modehaus, ­heiratete im «Trois Rois». Fred Spillmann hatte das Kleid für die Braut entworfen. Und erschien mit Monsieur Péguy ebenfalls unter den Gästen. Schon war das Gerücht geboren: «Jetzt haben die doch tatsächlich öffentlich geheiratet.»

Viele Jahre später hat mir Spillmann erzählt, wie fremde Leute ihm stets seine eigene Hochzeit, die nie stattgefunden hat, plastisch und blumig geschildert hätten. Wenn er am Schluss der Er­­zählung dann zaghaft ein paar Einwände machen wollte «aber das stimmt gar nicht …», haben sie ihn entrüstet angeschaut: «WAS HEISST: STIMMT NICHT? – ICH HABS DOCH MIT EIGENEN AUGEN GESEHEN!»

Es schien, als wollten die Menschen am Rhein die Hochzeit der beiden einfach als Tatsache im Geschichtsbuch der Stadt eingetragen haben.

Fred Spillmannn und Péguy waren das erste Männerpaar, das in Basel Geschichte gemacht hat. Sie stritten im Alter wie ein altes Ehepaar. Sie ­gingen einander auf die Nerven – wie ein altes Ehepaar. Und sie waren für einander da – wie ein altes Ehepaar.

Es spielte eigentlich keine Rolle, ob es zwei Männer, zwei Frauen oder Mann und Frau waren – sie waren einfach wie jedes andere Ehepaar im Alter auch.

Als Fred Spillmann dann starb und in der Familiengruft auf dem Hörnli beigesetzt wurde, lagen zu seinem Geburtstag jeweils stets die ­Lieblingsblumen des Couturiers auf dem Grab: lila Orchideen. Péguy hatte sie hingelegt.

Und natürlich waren sie aus Seide, weil Fred Spillmann Frischblumen nicht mochte. In seinen Memoiren erklärte er: «Gepflückte Rosen, ­Orchideen, Calle – das erinnert mich an den Tod. Sie machen mich irgendwie traurig.»

Nun werden wohl keine lila Orchideen mehr auf dem Grab liegen.

Männerehen sind auch keine Sensation mehr.

Und über das verrückte Leben von damals am Rheinsprung legt sich die Zeit. Und deckt die Geschichte mit Staub, Schnee und frischer Erde zu.

Dienstag, 24. Juni 2014