Es war sein Geburtstag.
Er brach sich ein Stück vom vorgestrigen Zopf ab. Und dachte an Irmi.
Irmi hatte ihm auf den Geburtstagsmorgen stets einen Gugelhopf gebacken.
Sie hatte eine Kerze in die Öffnung gesteckt. Und balancierte den Kuchen mit einem etwas scheppernden «Zuuum Gebuuurtstag viiiiel Glück» an sein Bett.
Wenn sie auf Zehenspitzen aufstand, um ihn nicht zu wecken und die Überraschung (die allerdings nach 50 Jahren keine mehr war) in der Küche vorzubereiten, tat er immer so, als ob er schliefe.
In ihm war dann ein stilles Glücksgefühl. Er wartete auf den Moment ihres leicht überdrehten «Zuuum Gebuurtstaag», so wie er als Kind auf das Klingeln des Glöckchens im Weihnachtszimmer gewartet hatte.
UND NUN ALSO EIN HARTES STÜCK ZOPF.
Er stand auf. Liess nochmals einen Kaffee von der Maschine in die Tasse zischen. Und dachte, dass es ein einsamer Geburtstag werden würde.
NA JA – SEINE SCHULD. ABER NICHT ZU ÄNDERN.
Irma und Karl hatten keine Kinder gehabt. «Wir genügen uns völlig», hatten sie einander getröstet. Und die wiederholten Fragen der Verwandtschaft mit «Wer will in eine solche Welt noch Kinder setzen?!» abgeschmettert.
Sie hatten Freunde. Es wurden immer weniger. Die Besuche auf dem Friedhof umso mehr.
Am Montag klopfte er jeweils im «Löwenzorn» einen Bieter mit Hans und Niklaus. Es war das einzige Mal in der Woche, wo er noch Menschen traf, mit denen er sich austauschen und Erinnerungen (wie etwa die mit dem Gugelhopf) erzählen konnte.
ALLERDINGS – MAN KANNTE EINANDER EIN LEBEN LANG. Da gabs auf der Schlussstrecke keine grossen Überraschungen mehr.
UND DANN WAR DA DIESER KRACH!
Hans hatte aus dem Garten drei Zucchini mitgebracht. Hans war 83. Er werkelte aber noch immer jeden Tag in seinen Gemüsebeeten: Zucchini und Tomaten, Kopfsalate und Radieschen – das war seine Welt.
«Das sind keine Zucchini», hatte Karl die Nase gerümpft, «das sind Zucchetti…»
Hans wurde rot: «Natürlich sind das Zucchini. Ich habe sie ja selber gepflanzt, du Hirni – was weisst denn d u schon von Gemüse…»
Ein Wort hatte das andere gegeben. Niklaus – der Sensibelste der Jassrunde (der beim Ausspielen auch immer am längsten zögerte) –, Niklaus versuchte zu schlichten.
Umsonst.
Sie brüllten einander Unschönes an den Kopf, sodass der ungarische Kellner einschreiten musste: «Gehts auch etwas leiser, ja…?»
Hans stand auf und stierte Karl mit roten Augen an: «Du bist ein rechthaberischer Riesenarsch!» – Dann verliess er den Jasstisch.
Auch Karl ging. Wortlos.
Zurück blieben ein ratloser Niklaus und drei Zucchini, die vermutlich Zucchetti waren.
Ein paarmal hatte es Niklaus noch mit Anrufen probiert. Dann war Ruhe. Und Karl endgültig alleine.
Jetzt hockte er an seinem Geburtstag im Fernsehsessel.
Und dachte an die Zeit mit dem Gugelhopf.
ER FÜHLTE SICH EINSAM WIE EIN AUSGESETZTER HUND.
Fast hätte er geheult.
Da schellte es an der Haustüre.
«Die Post», knurrte Karl und öffnete.
Da leuchtete ihm ein goldbrauner Gugelhopf mit brennender Kerze im Mittelloch entgegen. Und «Zuuum Gebuurtstaag viiel Glüüück…», sangen Hans und Niklaus.
Jetzt heulte Karl wirklich.
Hans klopfte ihm auf die Schulter:
«Issjagut! Ich habe dir einen Sack mit Zucchini mitgebracht. Na ja – es könnten auch Zucchetti sein…»