Immer vor dem Tag der Republik findet in unserem Hafenort Porto Ercole die grosse Regatta statt.
Man muss sich das wie 1. August oder Morgestraich vorstellen. Viele Lichter, viel Weisswein, viel Aufregung.
Zwei Stadtteile treten gegeneinander auf dem offenen Meer im Achter an. Viele Wellen wiegen. Und sie wiegen hoch. Vor allem emotional.
Wehe, du sympathisierst mit dem falschen Teil der Stadt. Da kann es schon auch mal passieren, dass dich der Metzger übersieht. Und du dir dein Stück vom Maremma-Rind auf dem Festland holen musst.
Oder dein Figaro schnippelt dir eine Schneise, nur weil du dich zur Bemerkung hinreissen liesst: «Die Blau-Weissen haben aber die krasseren Männer.» Der Barbier gehört jedoch dem Supporterteam der Rot-Weissen an. Und deshalb kannst du dir jetzt die Rübe kahl rasieren.
Einmal nur habe ich mich hinreissen lassen, bei den Blau-Weissen (das ist der Stadtteil mit der spanischen Festung) als Hauruck-Mann ins Boot zu steigen. Arturo fiel aus. Arturo ist sonst der Steuermann der Blau-Weissen – ein kleines, schmächtiges Männchen, aber – oho! – mit irrem Organ. Damit brüllt er den Ruderern das Kommando zu, dass man ihn bis zur Nachbarinsel hört: «Uuuno… due… treee… uuuno… due… treee!»
Leider war Arturo in der Nacht vor der Regatta am Polterabend seines Bruders aktiv gewesen. Zuerst am grossen Fass, das Zio Umberto für den Anlass gestiftet hatte. Dann an den drei heissen Polinnen, die bei der Abschiedsfeier eines lustigen Sexuallebens und vor den Fesseln der Ehe die letzte Würze und Weihe geben sollten.
Jedenfalls blieb dies nicht ohne Wirkung. Als die Mannschaft zwei Stunden vor dem Wettkampf umsonst nach dem kleinen Scheisser rief, war Panik. Und zero mit dem «uuuno… due… treee»-Organ.
Weil ich aber durch SEINE Fügung am Hafen herumlungerte, um den Fischern eine dicke, fette Orata für meine (bereits nervös aufs Mittagessen lungernden Gäste) abzuschwatzen, war ich zur falschen Zeit am rechten Ort.
Oder so ungefähr.
Ricco, Ruderer Nummer eins, schnappte mich jedenfalls wie Lumpi-Mieze die fette Maus vor dem Fischerboot von Enzo, der mir eben die Orata entschuppte.
Ricco schleppte also das nur zum Schein protestierende Bündel(«MA RICCO! CHE VUOI? E DOVE?») zum Bootssteg. Und präsentierte mich seinen Jungs: «Das ist alles, was ich auftreiben konnte, Burschen! Es ist mager, aber besser als nichts.»
ALSO «MAGER» WAR SICHERLICH DIE FALSCHE OPTIK. Zwar steckte ich gerade in einer entwässernden Eierkur. Aber es war noch immer genug Üppiges rundum dran.
«UND WAS WOLLEN DIE HERREN?», kicherte ich vergnügt.
Vergessen war der fette, geschuppte Fisch. Vergessen meine hungernden Gäste. Ich dachte nur an eines: «ABER HALLO – DAS GIBT DIE ORGIE DES JAHRES!»
Sie büxten mich um. Meine elegante, dottergelbe Leinenhose und der Armani-Cashmere in Orange (der mit dem silbernen, handgestickten A drauf) wurden gegen muffigelige weiss-blaue Turner-Shorts und ein Acryl-Unterleibchen (China!) ausgetauscht. Meine englischen Golfer wurden mir energisch von den Füssen gerissen. Und die waren platt wie ich auch: «Hallo, hallo – was soll das alles?!»
«Du hast uns doch immer gelöchert, wir sollen dich mal auf eine Ausfahrt mitnehmen. Es ist so weit. Und wehe, wenn du dich verzählst: uno-due-tre… capito?»
«Klaro», seufzte ich. Und begrub alle Hoffnungen. «Und brüll laut genug. Vor allem: Gibs uns so richtig. Wir müssen über uns hinauswachsen … also mach ein heisses Tempo … lass uns die Zunge raushängen und treib uns an wie Amanda ihre Freier!»
Amanda ist die 75-jährige Prostituierte des kleinen Orts. Ich möchte nichts Böses über die Domina in ihrer Lederkluft sagen und sie ist in der Spritz-Sprutz-Bar immer für einen lustigen Plausch gut – «ABER ICH HABE JA NICHT MAL DAS WERKZEUG DABEI!», protestiere ich.
Doch da kam auch schon Padre Luigi angewuselt und gab uns allen hurtig seinen Segen. Jeder bekam mit der Daumenkuppe ein Kreuz auf die Stirne gezeichnet und dann machte sich der Priester sofort wieder aus dem Staub, weil er auch noch die andere Mannschaft bekreuzigen musste.
Na, ich will es nicht gross in die Länge ziehen. NATÜRLICH HABEN WIR GEWONNEN.
Ich musste ja nach Hause, weil meine Gäste am Verhungern waren. Also habe ich die Blauen so angetrieben – undutree … undutree! – bis ihre Zungen das eigene Knie küssten.
DIESEN JUBEL AM ZIEL – ALSO DAS HÄTTET IHR MAL ERLEBEN SOLLEN. Die armen Kerle habens natürlich nicht mehr mitbekommen. Die lagen nach dem letzten Ruderschlag halb tot im Holz, während die Menge ausser sich war: Nach 35 Jahren hatte erstmals wieder der andere Stadtteil gewonnen! Sogar das toskanische Fernsehen schickte nach dieser Sensation einen Sonderkorrespondenten.
Etwas umständlich manövrierte ich den Kahn dann alleine – jawohl: mutterseelenalleine, weil diese Pfeifen noch immer nach Sauerstoffmasken bettelten! – an den Kai. Dort empfingen mich dann auch schon mit wutverzerrten Gesichtern die Rot-Weissen.
Anscheinend ist es Tradition, dass das siegreiche Hauruck-Männchen von den Gegnern ins Wasser geworfen wird. Von diesem frohen Brauch erfuhr ich aber erst, als ich laut japsend mit Tang im Haar an der Oberfläche wieder auftauchte.
Enzo hat mir dann («grande onore, Svizzerotto, grande onore») die Orata geschenkt.
Den Coiffeur musste ich allerdings für immer wechseln.