Monika mochte das Schwänzchen nicht.
Sie fand das magere Zipfelchen lächerlich. Einfach zum Abwinken. In letzter Zeit war vieles an ihrem Hansi zum Abwinken.
«Hansi» – das war auch so etwas. Ein Leben lang hatte sie ihn «Hansi!» gerufen.
Jetzt verbot er sich das. Und wollte «Little Joe» gerufen werden.
ABER HALLO – Monika hatte kein Gramm für Western-Romantik übrig. Sie war der «Ärzteroman»-Typ.
Ganz klar – Hansi steckte in einer Krise.
Männer fielen meistens nach ihrem 49. Geburtstag in so etwas. Sie fuhren dann Harley-Davidson. Und sie wechselten die Frau wie auch das After Shave.
HANSI – sorry: Little Joe – WAR JETZT ABER BALD EINMAL 75!
Er war zuvor nie auffällig gewesen – bis vor einem halben Jahr, als er vom Jassen heimkam und erklärte, er müsse etwas gegen seine Geheimratsecken unternehmen.
Monika gab es einen Stich: Die Geheimratsecken hatten Hansi so liebenswert gemacht. Und auch interessant. Eigentlich war es ja nun in seiner inzwischen reiferen Zeit das einzig Interessante an ihm gewesen…
Er gelierte sich plötzlich das wenige verbliebene Haar. Und sah immer so aus, als sei er eben aus dem Fluss aufgetaucht.
Und dann kam auch der grosse Moment, als er sein schütteres Resthaar mit einem Gummiband zusammenzurrte.
Hansi sah aus wie ein männliches Fräulein Rottenmeier.
Es blieb nicht beim Schwänzchen.
Plötzlich setzte Hansi auch die Golfmütze verkehrt herum auf.
Seine polierten Londoner Schuhe, mit denen er doch stets so pingelig gewesen war (Monika musste sie jeden Tag mit einer sackteuren Leather-Cream auf Hochglanz wichsen), hatte er gegen neonleuchtende Nike-Schlappen ausgetauscht. Und die Hemden trug er offen. DIES BEI NULL BRUSTHAAR!
Als er dann eines Morgens auch noch unvermittelt verlangte, Monika solle ihm ein paar Löcher in die Jeans schneiden, machte sie ihm die erste Szene: «DICH HATS DOCH! DU BIST KEINE 15 MEHR, HANSI!»
Er zuckte zusammen: «LITTLE JOE, BITTE!»
Und dann knurrte er auch noch mürrisch, man sei stets gerade so alt, wie man sich fühle. Es sei nicht sein Problem, wenn bei gewissen Leuten das Holz vor der Hütte vertrocknet sei…
Monika hatte drei Stunden auf ihrem Bett geheult.
Seine Enkel Nick und Bella fanden ihren mutierten Jung-Opi allerdings «echt cool».
Bella grinste: «Wir nehmen dich in die Disco mit, Little Joe. Dort kannst du mal so richtig abrocken. Und gehst der Omi daheim nicht auf den Keks…»
Das tat er dann auch.
Doch als er einen Augenblick verschnaufen musste, kam er sich in diesem lautwummernden Rahmen plötzlich so unpassend vor wie eine antike Wanduhr in einem Fitnesscenter.
«Kein Durchhänger, Little Joe!», munterte ihn seine Enkelin auf. Die andern finden dich vollfett und krass genialisch!»
Ein junger Boy mit Muckis wie Mortadella drückte ihm drei Pillen in die Hand: «Spül sie mit zwei Wodka runter, Little Joe!»
Da wollte er mal nicht so sein.
Als er später in der Notfallstation wieder zu sich kam, war sein Haar offen.
Ein bisschen sah er jetzt aus wie Mona Lisa, gebleicht.
Monika streichelte ihm weinend die Hände:
«Du könntest tot sein, Hansi. Man schluckt doch mit 75 keine Party-Pillen mehr!»
Er liess ihr den «Hansi» lächelnd durchgehen.
Das war immerhin schon ein Anfang…