Von den Bienen auf der Insel und Blütenpracht

«Sie brauchen jetzt Ruhe. Viel Ruhe.» Der Arzt stand weissbeschürzt am Spitalbett und klopfte mir auf die Bettdecke: «Also, fahren Sie ab nach Italien, lassen Sie sich verwöhnen –NICHTS SCHLEPPEN!»

Er lachte: «Geniessen Sie einfach das Paradies im Vorbezug – haha!»

HAHA!

Innocent verwarf die Hände: «Also ich kann jetzt nicht weg. Ich habe die Burschen!»

Die Burschen sind seine alten ­Militärköpfe. Alles Offiziere a.D. mit der betonierten Erinnerung ans Sturmgewehr. Die Retter Helvetiens treffen sich in unserem Stübchen zum Spargelfrass. Sie lassen die vollfette Zeit aufleben, als jeder noch an der Kanone sass. Und tauchen die Köpfchen in Mayonnaise light. Spätestens nach dem dritten Fläschlein haben sie den Krieg gewonnen.

Ich tuckere also alleine und in ­Etappen nach Italien. Da die Kräfte geschont werden müssen, habe ich die Strecke aufgeteilt. Und mir wunderbare Hotels ausgesucht. Nette, livrierte Hausdiener schleppen meine Hutschachteln. Und freuen sich ­darüber, dass ich nicht einfach auf ­gutbaslerische Art «danggerscheen, dasch alles» sage. Sondern sie mit ein paar Scheinchen schmiere.

Nachdem die Kreditkarten-Verantwortlichen bei meinem Freund Alarm geschlagen hatten, machte der auf grosse Szene: «Weshalb brauchst du zum Pennen diese Luxuskästen! Es gibt auch Bed and Breakfest – wir müssen aufs Alter sparen!» WIR SIND IM ALTER! Deshalb: «WER KANONEN ­FEIERN WILL, SOLLTE DAMIT NICHT AUF ARME SPATZEN SCHIESSEN, sauft eine Kiste weniger Riesling. Und schon ist die Kasse wieder ausgeglichen!»

Da war dann Waffenstillstand.

Auf der Insel erwarteten mich Mimosenbäume mit fussballgrossen, gelbflaumigen Kugeln an den Ästen.

Es war das Einzige, was mich erwartete. Gianni, den ich zum Gepäckabladen vorsorglich alarmiert hatte, liess sich durch seinen Sohn ­entschuldigen: «Mein Vater leidet an einem bösen Hexenschuss. Er muss sich schonen.»

«Ich mich auch», blaffe ich.

Da schellt bereits das Handy von Graziano. Und er jagt auf seiner Vespa davon, weil seine Mutter Zucchini für den Sugo braucht. Also lasse ich das Gepäck im Auto. Und warte auf ­bessere Zeiten. Eines muss man Gianni lassen: Der Garten ist eine Pracht: Rosen, ­Margeriten, Calle, Hortensien – alles in Vollblüte. Die Natur schiesst aus vollen Rohren.

Ich pflücke vom jungen Eisenkraut. Und braue mir einen Tee. Dann höre ich es zum ersten Mal – es ist dieses unheimliche Summen, von dem die Kembserweg-­Omi immer erzählte, wie es im Zweiten Weltkrieg über Basel von den amerikanischen Bombern zu vernehmen gewesen sei.

Ich äuge zum Himmel. NICHTS. Nur ein paar Möwen, die mich laut mit ihrem scheppernden Gekreische anlachen.

ALSO ALLTAG.

Doch dann entdecke ich im Eukalyptusbaum eine Traube, gross wie ein Punchingball. Das Ding vibriert. Und ist von einem Bienenschwarm umgeben.

ACH GOTTCHEN – denke ich. Augusto sind wieder mal die Biester ab.

Telefon zum Nachbarhaus: «Hier ist der geschundene Schweizer – vermisst du etwas?»

«Ja – sie haben mir meine Rente seit vier Monaten nicht mehr bezahlt. Der Staat hat kein Geld mehr.»

Das ist der italienische Alltags­schlager. Und wird von mir einfach überhört. «ICH REDE VON BIENEN!»

Pause.

Dann: «SIND DIESE ­VERDAMMTEN BIESTER WIEDER BEI DIR? DU DARFST SIE DOCH NICHT ANLOCKEN!»

Es scheint, dass Bienen auf mich fliegen. Ihre Königinnen voran. Das Volk hinterher. Und natürlich hängt die royale Bienen-Sache IN MEINEM GARTEN!

Augusto kam mit seinem Mercedes angebraust. Es ist erstaunlich, wie viele Italiener, denen der Staat keine Rente mehr schickt, mit einem Mercedes herumturnen.

«Sie sind alle tot», jammerte Augusto. Der Gute ist Bienenzüchter aus Leidenschaft.

Ich zeige zum Baum: «Die sehen aber noch sehr lebendig aus.»

«Die schon», seufzt Augusto, «aber neun von meinen zwölf Völkern haben den Winter nicht überlebt. Wir haben das grosse Bienensterben.»

«Es gibt Medizin…»

«ICH ESSE DOCH KEINE CHEMIE. Meine Bienen sollen natür leben...»,

«…und natür sterben!», kann ich es mir nicht verkneifen.

Er schaut mich unsicher an: «Hör mal – mein Honig hat dir noch immer geschmeckt und…»

Das mit dem Honig stimmt. Augusto ist für seinen «Miele ­dell’Argentario» weitherum bekannt.

«Ich habe heute Morgen neue Völker gekauft, drei sind leider ausgerissen. Die Königinnen sind sehr speziell.»

Er schaut mich grinsend an: «Aber welcher Queen muss ich das sagen…»

Augusto ist ein Scherzkeks.

Mittlerweile herrschte über meinem Stück Salami, das ich mir zum Tee gönnte, Hochbetrieb. Ich weiss nicht, weshalb in der Schule immer nur von Pollen und Blüten berichtet wird. BIENEN FAHREN TOTAL AUF SALAMI AB!

Ich habe nichts gegen heisse ­Bienen. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Also weg damit!

«Ich muss die Königinnen einfangen», jammert Augusto. «Aber sie ­hängen zu hoch – vielleicht fliegen sie ja wieder zurück!» Die Italiener sind alle Optimisten. Sie leben mit «es wird sich dann schon geben!» durch das Jahr. Erst, wenn sie hundert Mal ­gestochen worden sind, lüpfen sie ihre fünf Buchstaben.

Eine Stunde später sind die Bienen nicht mehr am Baum. Sie sind jetzt an der Schokolade im offenen Kofferraum. Und das macht das Einfangen wesentlich einfacher…

«Man sollte das Gepäck ins Haus tragen», versuche ich es bei Augusto.

«Es geht nichts über Schweizer Schokolade», strahlt er unter seinem Netz. Und dann: «Ich habs ja gleich gesagt – es wird sich geben!»

So trug er seine Königinnen ­behutsam nach Hause.

Mein Gepäck trug er nicht.

Dienstag, 13. Mai 2014