Leuchtkäfer (ein Märchen)

Emma war stinkmuff.

Sie lag am Boden. Und wieder hatte sich so ein Macho auf sie gesetzt. Ärgerlich warf sie ihn ab: «MACH DIE FLIEGE!»

«Dumme Zicke», knurrte das Männchen. Und flog davon.

Als kleiner Leuchtkäfer-Freier war er Kummer gewohnt. Die halbe Nacht hatte er unter einem Zahnglas verbracht, weil ihn so ein radelnder Naturfreund im toskanischen Agriturismo-Zimmer gefangen gehalten hatte. Verzückt war der Radel-Städter vor dem nervösen Geblinke im Glas gehockt. Immer wieder hatte er gerufen: «Das ist Natur pur…  er macht Begattungszeichen für ein Weibchen … ist das nicht entzückend, Milly!»

«Ja», hatte Milly geseufzt. Und: «Es wäre schön, wenn du auch mal blinken würdest, Karl-Otto…»

Zurück zu Emma. Sie lag im Gras. Das Käferweibchen, das zur Familie Coleoptera gehörte, war einmal mehr stinkmuff auf seinen Schöpfer.

NATÜRLICH HATTE ER SEINE ART WIEDER BEVORZUGT!

Die Männchen konnten fliegen. Und die Weibchen mussten am Boden herumblinken. Sie waren gerade noch recht fürs Kinderkriegen. Und vorher diese enervierende Leuchterei – DAS WAR KEIN LEBEN FÜR EINE LAMPROHIZA SPLEDIDULA!

Ihre Mutter kroch an: «Was ist los, Emmilein?»

«Sorry – aber ich pack das nicht! Mir stellts bei diesen Glühmännern ab. Schau sie dir an – ein Haufen wichtigtuerisch blinkender Kerle. Und was entpuppt sich da: ein mieser, kleiner Wichser mit Madenschwanz!»

«EMMA!»

«Issdochwahr!»

Die Mutter schüttelte den Kopf: «Du solltest stolz darauf sein, unserer Art anzugehören. Wir sind die Käfer der Liebe, Kleines – denke nur an Irma la Douce. Sie war auch ein Glühwürmchen. Und dann das Berlinerlied vom ‹Glühwürmchen›…»

«Pfeif drauf!» – zischte Emma. «Ich wäre lieber ein Nashorn. Die können kämpfen und…»

«Über Nashörner wurde kein Lied komponiert…», meinte die Mutter spitz.

Sie wusste, dass ihre Stunden gezählt waren. Aber zu gerne hätte sie noch ihre Enkelkinder kennengelernt.

Also versuchte sie es im hoch dramatischen «Special light»-Effekt: «Ich werde die kleinen Würmchen nicht mehr erleben…» Sie schluchzte laut: «WAS IST AUCH MIT DIR LOS, EMMA – IM GANZEN WALD BLINKT ES SCHON HERUM…»

In diesem Augenblick setzte sich eine kleine Waldschnecke zu Emma: «Psst – ICH bins. Wo drückt der Schuh!»

«VERPISS DICH!», glühte Emma.

Da sah sie aber, dass es der liebe Gott war und kam ein paar Hundert Volt herunter:

«Du hast bei mir irgend etwas falsch programmiert … ich kanns nicht mit diesen Macho-­Männchen. Ich bin ein emanzipierter Käfer. Ich möchte Zeichen setzen. Kämpfen. Die Welt retten…!»

E R war nicht sonderlich erbaut über diese Worte. Aber weil E R immer gerecht ist, sah er seinen Programmierungsfehler ein: «Wärst du lieber ein Männchen?!»

«Tu mir das nicht an – nicht d a s!», jammerte die Mutter.

«ICH WILL EINFACH FÜR ETWAS AUF DIESER WELT GUT SEIN – UND NICHT EINE VERLOGENE ROMANTIK AUFLEUCHTEN LASSEN, DIE LÄNGST IM INDUSTRIESTAUB ERLOSCHEN IST!»

«EMMA!» – die Mutter schrie verzweifelt auf.

Aber da hatte E R auch schon wieder das Szepter in die Hand genommen. Und Emma zugelächelt: «Du sollst deinen Willen haben…»

Seither blinkt Emma kämpferisch an einem Zebrastreifen als Warnlicht rasenden Autofahrern entgegen.

Wer ein Ohr für Märchen hat, kann hören, wie das Licht, wenn ein Wagen ungebremst vorbeibraust, «DU WICHSER!» zischt…

Montag, 12. Mai 2014