Von einer OP unten und Karajan oben

Mein Urologe nahm alles in seine geübten Hände.

Die Sache wog schwer: «Wir kommen um eine OP nicht herum …»

Ein Zittern überlief mich, wie die Pappel bei Ostwind.

Ich war noch nie im Spital. Nun gut – abgesehen von jenem schrecklichen Eingriff, als sie mir fünfjährig die Mandeln rausnahmen.

Eine Schwester narkotisierte das brüllende Kind mit einer stinkenden Ätherkappe.

Das Kind sah nur schwarz. RAAAABENSCHWARZ. Und immer kreisende Kreise. Als Nächstes bewegte sich ein Blechnapf auf den Buben zu. DEN KOTZTE ER DANN DICKE VOLL!

Meine Alten hatten mich mit «… und wenn alles vorbei ist, bekommst du so viel Glace, wie du willst» geködert.

ABER HALLO! DAS MUSS MAN SICH MAL VORSTELLEN. ES WAR ANFANG DER 1950ER- JAHRE. UND DA WAREN EISCORNETS SO RAR WIE JUNGFRAUEN AUF DER REEPERBAHN.

«ERDBEER-VANILLE» WAR DAS PARADIES JENER ZEIT – DER PARTYKRACHER KLEINER SCHNULLERLUTSCHER. UND WENN MAN KINDER AUF SO ETWAS HEISS MACHT, WERDEN SIE ZU HELDEN!

Also wurde ich. Ging hin. Und liess mich entmandeln. Das Schlimmste: Als ich wieder schlucken konnte, wartete ich heisslüstern auf die Eisberge mit dem Erdbeer-Vanille-Aroma.

Sie brachten mir jedoch lauwarmen Pudding!

DAS IST DER WAHRE GRUND, WESHALB ICH HEUTE NOCH JEDE PANNA COTTA AN DIE WAND KNALLE!

Und nun also mein Arzt, der alles wieder zwischen meinen Schenkeln zurechtbettet. Und die Gummihandschuhe auszieht. Er wirft sie im eleganten Bogen in einen Aluminiumeimer: «Es ist eine Bagatelle!»

DAS KAM ABER TOTAL IN DEN FALSCHEN HALS.

Wer mir zwischen die Beine kommt, weiss, dass es mehr als eine Bagatelle ist …

Deshalb: «HERR PROFESSOR. TUN SIE, WAS SIE TUN MÜSSEN. ABER ICH WEISS BESCHEID. UND EINE KLEINIGKEIT IST ES NICHT …»

Innocent hängte zu Hause natürlich den militärischen Offiziers-Granit raus: «HIMMEL – SEID IHR IN EURER FAMILIE ABER WEICHEIER!»

Und um die ging es allerdings.

Doch wir wollen nach diesem wunderbaren Osterfest und kurz bevor die Pfingsttaube hochfliegt, nicht näher auf Details eingehen – immerhin. So viel sei gesagt: Seit meiner OP-Erfahrung weiss ich, dass die kommune Redensart «jemandem auf die Eier gehen» schrecklich viel Grausames in sich birgt.

«Haben Sie gut geschlafen?», fragte die Stationsschwester, als sie mich um sechs Uhr morgens weckte. «Ja», log ich. «Himmlisch!»

«Na dann …», sagte sie mit dem Grinsen der Besserwisserin. Sie legte mir ein paar Stütz­strümpfe und ein Operationshemd bereit: ­«Kommen Sie zurecht?»

«Aber sicher», ulkte ich, «Stützstrümpfe sind seit je mein heissester Fetisch …»

Die nette Frau aus dem Schwarzwald begutachtete mich zehn Minuten später: «Sie tragen das OP-Hemd verkehrt herum. Es muss vorne offen sein. Nicht hinten …» Sicherheitshalber schaute sie nochmals auf die Krankenkarte: «Sie sind doch der, dems an den Sack geht …?»

Jetzt ulkte sie. Und ich schluckte nur.

Wie einst Patisseries und belegte Brote im Bahnhofbuffet auf dem Servicewagen herumgefahren wurden, haben sie auch mich appetitlich zurechtgelegt. Und auf dem rollenden Schragen in die sterile Welt der Anästhesie geführt.

Ich hatte der Ärztin beim Narkotisierungsgespräch zehn Tage vorher meine Oper vom Äther-Käppchen vorgesungen. Sie war eine einfühlende Seele: «Huch ja – das waren noch Zeiten. Aber ich verspreche Ihnen – bei mir wird nicht gereihert! Sie bekommen eine Spritze in den Rücken. Tut gar nicht weh. Und dann ist untenrum Ruhe. So kann sich der Herr Professor Ihrer Sache ungestört annehmen …»

«Aha – und was passiert oben?»

«Sie können zuschauen. Oder sie dösen dank einer klitzekleinen Pille einfach mal weg. Und wenn sie erwachen …»

«… bekomme ich Vanillepudding! Nein danke. Ich schaue lieber zu!»

Die Mannschaft gab wirklich alles. Mir gab sie einen Kopfhörer. Der OP-Helfer, der alle meine Schläuche und pochenden Werte überwachte, zuckte bedauernd die Achsel: «Wir haben nicht viel Musikauswahl – Sie wissen ja: Das Gesundheitswesen muss sparen. Klassisch oder Rock?»

Ich weiss nicht, ob Rockmusik bei einer OP, wo es ums Subtilste des Mannes geht, ideal wäre … deshalb: «Klassisch – danke!» Das Männchen machte einen Knicks. Seine Augen über dem Mundschutz lachten vergnügt: «Die Wiener Philharmoniker sind am Eingeigen – Sie hören «Die vier Jahreszeiten» von Vivaldi. Es dirigiert Herbert von Karajan …»

«Ach Gottchen, der dirigiert aber im Himmel …», fiepte ich etwas verwirrt.

«So geht es uns allen einmal …», lächelte der Narkosehelfer. Und nickte anerkennend: «Ihr Puls haut durch wie bei einem Marathonläufer in der Endphase …»

Der Professor zwinkerte mir über seinem Mundschutz aufmunternd zu: «Na dann wollen wir mal …»

Vivaldi hatte mit seinem Frühling begonnen.

Drei Mal habe ich alle vier Jahreszeiten durchgemacht. Vor mir werkelte das Ärzteorchester an meinem Instrument herum. Manchmal tauschten sie unter ihren Mundtüchern lustige Bemerkungen aus. Ich verstand so viel wie in diesen bayerischen Fernsehfilmen, wo man auch nie weiss, ob der Bauer jetzt etwas gesagt oder ob die Kuh gefurzt hat.

Beim dritten Mal Herbst klopfte mir der Narkosehelfer auf die Schulter: «Die Herrschaften sind am Rückzug. Bald ist alles überstanden …»

Dann hörte ich den Applaus (auch zum dritten Mal) – er galt Herbert von Karajan und seinen Wiener Philharmonikern. Aber als der Professor mit Zeige- und Mittelfinger das V-Zeichen zu mir machte, da applaudierte ich mit. Und «nanana», tätschelte der Narkosehelfer wieder meine Schulter. «Nanana» – dann tupfte er mir die Tränen weg.

Als meine Unterseite wieder spürbar war, durfte ich aufs Zimmer. Und die Stützstrumpf-Schwester wedelte mir fröhlich mit einer Menükarte entgegen: «Sie haben ein Affenglück … der Professor hat gesagt, Sie dürfen alles essen. Suchen Sie sich einfach das aus, wonach Sie Lust haben …»

Ich brauchte nicht lange zu überlegen: «Gibt es auf der Karte auch Glace …? Ich meine richtigen Gelato …? Eis?»

Sie schaute mich leicht ungläubig ab: «Aber sicher, unsere Spital-Hotellerie ist erstklassig und die Küche berühmt, also was möchten Sie jetzt?»

«ACHT MAL VANILLE-ERDBEER!»

So bin ich heute mit der ganzen Ärzteschaft, meinen lieben Eltern, Gott hab sie selig, und allen Spitälern wieder versöhnt.

Ich hab zwar bereits nach der siebten Portion nach dem Blechnapf gerufen – aber diesmal war nicht das Ätherkäppchen schuld …

Dienstag, 29. April 2014