Also Goa war als Zückerchen gedacht: Schlusspunkt honigtriefendes Finale einer langen Reise … Ausruhen… weisse Strände… na ja Bilderbuchfaulenzen und so.
Der Hotelwagen brachte uns in ein Ressort, das an Prächtigem nichts zu wünschen übrig liess. Allerdings:
«Wir haben nur ein Einerzimmer…»
Innocent, vom langen Flug etwas gereizt: «WAS HAT DIE FRAU GESAGT?!»
Ich nicht weniger gereizt, kapsle seine Hörbedienung auf «on»: «WIR SIND AM ARSCH! FREI IST NUR DIE RUMPELKAMMER…»
Da war aber jemand im Nu hellwach!
«Wir haben ein grosses Zimmer mit zwei Betten bestellt. Und einem Garten…»
Schon zückt er sein Lendensacktäschlein. Nistelt in Tausenden von Papieren, alten Quittungen und drei Lagen mit diesen Pillen, die unsere Verdauung im Trockenen halten: «Hier – alles schwarz auf weiss! Und bezahlt ist es auch schon… wir hatten Frühbucherrabatt!»
Das Wunderbare an den Indern: Sie verbeugen sich vor ihrem Schicksal. Und lächeln immer. Das Schicksal waren wir. Und man kann ihnen gar nie böse sein. Auch jetzt nicht, wo wir in einem Zimmer landen, das eine wunderbare Aussicht auf den Carpark von 32 Touristengruppen hat. Und eigentlich nur aus einem handbreiten Schragen sowie einer Wasserschüssel besteht…
«Toilette?» – Wir fragen es beide wie aus der Kanone geschossen. Denn natürlich fordert der viele Tee, den wir hier trinken seinen Tribut – UND ICH SEHE NIRGENDWO EINE MÖGLICHKEIT, WO WIR DIESEN TRIBUT LASSEN KÖNNTEN!
Wieder das Lächeln. Wieder eine Verbeugung: «Sie sind nur zehn Minuten vom Frühstücksraum entfernt – dort hat es eine WC-Anlage…»
Und dann das sanfte Lächeln direkt auf mich gerichtet: «Hier ist Nichtraucherzone. Im ganzen Hotel… wir bieten auch Ayurveda-Massagen gegen Suchtverhalten.» Sofort versenke ich mein flammendes Bidis-Stäbchen im Wasserkrug.
Das mit dem Bidis ist so: Als junger Mann habe ich diese handgedrehten Zigarettchen aus dem Tendublatt mit dem feinen Faden, der alles zusammenhält, geliebt. Da wehte stets dieser Duft von Cannabis. Natürlich war alles nur vertrockneter Schutt statt Shit – ABER SO EIN BIDI MACHTE ENORM INTERESSANT. UND VERRUCHT. UND DA ICH SCHON ALS SCHÖNER, JUNGER MANN KEINEN SPRIT KIPPTE, WOLLTE ICH WENIGSTENS HIER EINEN HAUCH VON VERRUCHTHEIT UM MICH WEHEN LASSEN…
Mit den Jahren gab sich die Sache. Und Bidis waren in und um Helvetien eh kaum mehr zu haben.
In Jodhpur aber führte mich ein Freund ausserhalb der Stadt in eine Baracke, wo die Frauen des Ortes diese Zigarettchen noch handdrehten. Handfädelten. Und handabpackten.
Da konnte ich nicht so sein und unterstützte das indische Frauenhilfswerk mit einem ordentlichen Einkauf. Danach dampfte ich wie früher. Und da war dann auch wieder dieses entrückte Weltparfum von Shit und Verruchtheit.
Natürlich zeigte sich Innocent nicht sonderlich begeistert und wollte die Sache dramatisieren. («Ja kannst du denn im Leben nicht ein einziges Mal auf etwas verzichten – meiner Apnoe zuliebe!?») – Ich aber kitzelte seinen Schnauz: «DU SCHNAPS – ICH SHIT!» Und deshalb sind wir das, was die Fachwelt «an extraordinary partnership» nennt. Oder ämmel so ähnlich…
Ich griff in die «so geht es immer»-Trickkiste und somit ins Fach mit den Dollarnoten: «Ist nicht doch ein netteres Zimmer frei?»
Wieder Lächeln. Wieder Verbeugung. Dabei ein Schielen auf die Höhe des Betrags. «Bei der Küche haben wir ein Pfannen-Magazin…»
Ich blättere nach. Und bekomme für Innocent dann einen Raum, den er sich mit der Poolpumpe teilt.
Die Umgebung machte dann alles wett – dieser Sand, fein wie Mehl und so sauber, weil selbst die Sandflöhe Glacéhandschuhe tragen. Dann Kokospalmen. Und immer wieder die aufmunternde Warnung an Fettsüchtige: «Aufgepasst – es sterben mehr Menschen an fallenden Kokosnüssen als an Übergewicht!»
Beim abendlichen Candle-Light-Buffet schnallten wirs: Man hatte uns ausquartiert, weil so eine Novartis-Gesellschaft ihren indischen Treff durchführte. DAS WAR SCHLAG NUMMER EINS. Die restlichen Räume waren dann von Russen besetzt – SCHLAG NUMMER ZWEI.
Die Novartis-Menschen waren sehr, sehr laut. Sie nannten das ganze «ein hochprozentiges Brainstorming indischer Wissenschaftler». Aber das hochprozentige bestand schon beim Frühstück aus Wodka-Flaschen, welche die Russen herumstehen liessen.
UND DAS WAR DANN DAS DRITTE ÄRGERNIS.
Die Russen sind ja nette Menschen, wenn sie nicht gerade die Gay-Parade zu Blinis schlagen oder Diktator spielen. Natürlich fehlt ihnen das nette Lächeln der Inder und auch deren Verbeugungen – aber sie haben diese joviale Art, die immer zieht: Sie schöpfen sich am Frühstücksbuffet von der Orangenkonfitüre mit dem Suppenlöffel und schlecken den feinsäuberlich ab. Dann stecken sie ihn wieder in den Topf zurück. EINE WELT VON WONNEPROPPEN!
Sie lachen gerne und spätestens beim Mittagsbuffet, wo sie ihre Teller anhäufen, als seien wieder diese miesen alten Zeiten unter den andern Diktatoren angebrochen, sind sie so sturzbesoffen, dass zumindest ihre melancholischen Lieder in ein donnerndes Schnarchen übergehen.
So flohen wir also fast zwei Stunden den langen weissen Strand in Richtung Norden, wo wir in einem netten, kleinen Kokosnuss-Gasthaus Zuflucht fanden. Es war das einzige Restaurant das die Menükarte nicht in skurril kyrillischen Hieroglyphen führte.
Sofort servierten sie frisch gepressten Ananassaft. Sowie Fischhäppchen auf einem Ingwerwurzelbeet.
ABER DAS WAREN DANN WIRKLICH FERIEN!
Raj, der Besitzer dieser Hüttenpracht, eiste dann eigenhändig unser Gepäck im Russenressort los. Und wir durften im Zimmer seines Sohnes und der Schwiegertochter übernachten. Grund: die beiden waren auf Hochzeitsreise. Und diese führte nach Leningrad – Sa Sdorowje! – Oder «Prost Wladimir!»
Als wir zwei Wochen später in Rom landeten, kam uns hier alles wie ausgestorben vor.
«AUGESTORBEN?» – Franco, der Portiere. Und wollte sich gar nicht einkriegen. «Bist du verrückt…wir ersticken hier an Menschen: acht Millionen Touristen sind für die Heiligsprechung angesagt und…»
Acht Millionen? Und wo ist das Probem?
Wir zeigten dieses milde indische Lächeln auf den Lippen. Und machten vor Franco eine kleine Verbeugung.