Teegespräche

Milli (eigentlich Emilie) rührte hektisch im Tee. Ihre kleinen Äuglein blickten leicht verächtlich zum Visavis, das sich mit «Torta alla Nonna» vollstopfte. Die Pinienkerne klebten Hanni wie gelblicher Herpes am Mund. Und: «Nein. Das Alter ist kein schöner Anblick», seufzte Milli stumm. Die Freundin verkniff sich aber jeden lauten Kommentar. Immerhin war Milli nun auch schon über 80. Und Hanni gar drei Jahre älter, obwohl – das musste Milli neidlos zugeben – ihr genüsslich schmatzendes Gegenüber wesentlich glatter aussah als sie selber.

Hannis Gesicht war faltenlos prall wie ein Kuh­euter vor dem Melken. Ihr Busen, vollgespickt mit Kuchenbrosamen und einem Rest Ei, wogte rauf und runter wie ein Hochseedampfer bei Sturm.

«HANNI – ICH KAUF MIR EINEN TAMILEN!» – unterbrach Milli gereizt das rhythmische Dlaggen der oberen Zahnprothese ihrer kauenden Freundin.

«DAS IST NETT – MILLI!», lächelte Hanni über ihren Kuchen hinweg. Und schob den Punschring mit dem Rahmtupfer näher zu sich.

Millis Nerven tanzten Tango: Nein. Hanni war nun wirklich nicht die Kerze, die auf der Torte am hellsten leuchtete.

«ICH KAUFE EINEN TAMILEN, HANNI!»

Nun war der Pinien-Herpes mit drei Spritzern Schlagrahm überdeckt: «IST FRÜHJAHR DENN DIE RICHTIGE JAHRESZEIT FÜR TAMILEN?!»

«PAVEL HAT GEKÜNDIGT!», knurrte Milli. «Er will wieder in die Slowakei zurück. Er sähe in der Schweiz keine Chance!»

Als Milli ihre ersten Arthrose-Schübe hatte, alarmierte sie zuerst die Verwandtschaft. Aber die hatte kein Gehör. Niemand wollte die zwar reiche, aber etwas ruppige Tante pflegen.

Wohl waren ihre Nichten wie Neffen alle brotlos. Sie steckten in einer siebten Weiterausbildung oder besuchten diese neuartigen Hochschulen für Kunst. Eine praktische Arbeit schien nicht das erhoffte Glück der übersättigten Schweizer Jugend zu sein.

Also gab Milli ein Kleininserat auf. Pavel meldete sich – Slowake, Taxichauffeur a. D. Er war nach einer Sauftour mit Kollegen in die Blaskontrolle geraten. Da nicht nur das Polizeilicht blau war, pflückten sie seinen Ausweis. So kam ihm die Alte mit den Arthrose-Schüben ganz recht. Pavel war nicht unbedingt nach Millis Geschmack. Aber ihr Vorzugsbewerber, José aus Malaga, hatte sich auf einen Butlerjob versteift. Die Zeit, wo Spanier als Sklaven in die Schweiz kamen, sei vorbei. Josés Vater besitze ein Tapas-Restaurant in Muri. Er selber habe sich in Bern zum Butler ausbilden lassen. Mindestlohn: «Sechsneun». Und Zulagen.

Gottlob waren die Slowaken noch nicht so weit. Doch eines Morgens war Pavel vor Millis Bett gestanden. «Ich gehe, Frau … Schweiz nix gut. Hier keine Ausländer mehr. Schweiz machen Türe zu. Wo ich sollen jetzt Slowakenweib finden…»

PROBLEME HATTEN DIE!

«Ich glaube, Tamilen sind einfühlsamer…», sinnierte nun Milli laut. «...und noch einiger­massen günstig!»

Hanni schob den Teller von sich. Sie machte ein Bäuerchen, sodass der Busen zitterte: «Myggy Sarasin hat einen Kenianer… sie ist recht zufrieden. Er hat Muskeln wie Wassermelonen. Und kann sie Huckepack vom Bett aufs Klo tragen…»

Milli schauderte.

«…Kenianer arbeiten meistens schwarz», setzte Hanni noch einen drauf. Und rief nach dem Kellner: «Haben sie Linzer?»

Der Kellner lächelte schräg. «Ich hatte vor zehn Minuten meinen letzten Arbeitsmoment, gute Frau … Bewilligung abgelaufen. Ich fahre zurück nach Kosovo. Holen Sie ihre Kuchen selber …»

«Undankbares Pack», knurrte Milli.

Und Hannis Busen bebte empört: «Höchste Zeit, dass denen einmal einer sagt, wo der Bartli den Most holt…»

Doch welcher Schweizer Bartli holt noch selber den Most?

Und wer wird ihm den morgen bringen?

Montag, 14. April 2014