Von Kochstunden in Kochi und der Familie Tata

Wenn ich mir vorstelle, dass ich vor 35 Jahren mit meiner guten Tante Hermine noch in einer Rikscha durch ein fast verkehrsfreies Delhi gehoppelt bin … Gut. Ich hatte bald einmal blaue Eier. Und die Tante zwei gebrochene Rippen, als der Fahrer diese dumme Kuh umgefahren hatte – und wir alle in der Scheisse lagen. ABER HEUTE?

Seit Indien seinen Mittelstand ständig mehr ­entwickelt, sind aus beingetrampten Rikschas motorgetriebene TukTuks geworden. Aus den ­TukTuks werden nun seit einem Jahr diese kleine Blechautos aus dem Hause Tata. Verkaufspreis um 1300 Franken! Wer bedenkt, was heute eine ­Nespresso-Kapsel kostet, muss hier gestehen: So ein Tata-Auto ist preiswert.

Tata – das ist eine indische Superfamilie. Ihr gehört einfach alles. Von den schönsten Hotels über Indiens Flugzeuglinien bis zur Autoindustrie. DA HÄTTE ICH ABER GERNE SO EINEN TATA-PRINZEN KENNENGELERNT. D A S WÄRE EIN LEBEN: MIT TATÜÜ UND TATAA DURCH DIE CURRYTÖPFE INDIENS!

Aber eben – bei mir ists jetzt ein ziemlich bau­fälliges Taxi, dessen Räder eiern wie Omis altes Grammofon. Unser Flugzeug nach Kochi fliegt in einer Stunde. Und wir stecken im Stau fest. Denn das einsame Delhi aus der Zeit meiner Tante ­Hermine ist heute ein aufgeregtes Ameisen­gewusel – und jede Ameise hat den Tata unterm Arsch. Gottlob haben sie die Kühe auf den Strassen der Grossstädte verboten – der Verkehr ist den aufstrebenden Indern noch heiliger als die Kuh.

Wir erreichen eben noch eine Minute vor dem Start die Abflughalle. Und bestechen die ganze Mannschaft, wegen unseres kolossalen Über­gewichts. Das ist nämlich so: Bei Inlandflügen sind 15 Kilo Gepäck erlaubt. Die Inder sind klein. Und die Stoffe leicht. Das reicht.

ABER WER RECHNET SCHON MIT EUROPÄISCHEN ELEFANTEN, DIE 23 HUTSCHACHTELN IM GEPÄCK HABEN! Die Strafe: viele Bestechungsgelder. Dazu vorgetäuschte Schreikrämpfe und Ohnmachtsanfälle. Wenn alles nichts hilft, zeige ich flehend auf Herrn Innocent: «Er ist 98 und kann nur mit einem Sauerstoffzelt reisen …» Der Gute versteht eh nichts und «Wass iss … was für Zoff mit Geld?!» UND DANN DÜRFEN WIR ENDLICH DURCH.

Nach drei Flugstunden und vier Päckchen total übersalzener Nüsschen landen wir in Kochi.

Und man muss schon sagen: Der Unterschied von Südindien zu Nordindien ist frappant. ABER HALLO: Im Süden scheint alles geordneter. Langsamer. Und «so viel sauberer», wie Innocent, die alte Putztrine, als Erstes zufrieden feststellt. Kurz: Man atmet in Kerala die Kolonien und europäisches Denken. Kumar, unser neuer Driver, trägt auch schon einen Louis-Vuitton-Gürtel. Imitation zwar. Aber immerhin.

«Endlich warm!», umarme ich Kumar.

Nachdem ich mir in Nordindien die Nase blau gefroren habe, schlägt mir die Hitze hier wie ein Hammer auf die Birne. Kumar strahlt, als hätte er persönlich eingeheizt: «38 Grad!»

Der zweitheisseste Moment erwartete uns am Meeresarm, als wir in einer Autofähre übers ­Wasser zum alten Teil von Kochi fahren mussten. Die Fähre ist gerammelt voll mit all diesen Blechmaschinen. Und wäre sie untergegangen, hätte ich auf dem Meeresgrund nicht einmal aussteigen können, weil die Autos Türe an Türe klebten.

Innocent kann solche Panikmomente einfach ­ausschalten. Und sich penetrant auf Wichtigeres als den Tod durch Ertrinken konzentrieren: «Hier tragen die Männer Röcke … ist das nicht lustig?»

Ach Gottchen – er ist eine harmlose Seele. Er kennt Männer in Röcken nur vom Morgestraich. Und Kumar, der seine etwas zu enge weisse Baumwollhose dank dem falschen Louis Vuitton auf der Höhe hält, seufzt: «Für Chauffeure ist es verboten, mit Rock zu fahren. Dabei ist der Rock so viel angenehmer bei dieser Hitze. Immer Luft untenrum …»

SO GENAU WOLLTEN WIRS JETZT AUCH NICHT WISSEN.

Aber da landeten wir gottlob schon in diesem Teil der Millionenstadt, die ein einziges Dorf ist. Und überdies ein romantisches Touristenpflaster –Inter­laken auf Südindisch, wenn man so will.

«Die Masters haben morgen Kochkurs bei Nimmy Paul. Ist sehr berühmte Frau und Fernsehkoch …», freute sich Kumar für uns. Nimmy Paul wohnt in einer luxuriösen Villa im vornehmen Viertel, weit weg von den Tourimeilen Kochis. Es ist alles Gold, was glänzt. An den Wänden hängen die Ahnen in Fotorahmen, etwas verblichen zwar, aber sehr hemlig, wenn ihr wisst, was ich meine.

Nimmy ist die achte Dynastie ihrer Kaste (was immer das heisst), und schon ihr Schwieger­vater hat dem Maharadscha gedient. Innocent ist hin und weg und hyperventiliert in Bewunderung, als hätte er den Chili pur geschluckt …

Die Starköchin führt uns in ihren Garten, wo sie eine Sommerküche aufgestellt hat. Hier dreht sie ihre berühmte Fernsehshow: «Ihr müsst einfach wissen, dass sich die nordindische Küche wesentlich von derjenigen des Südens unterscheidet. Wir essen weniger scharf. Das wäre ja bei diesen Temperaturen auch nicht auszuhalten. Und wir führen im Speiseplan viele Fische. Und viele Garnelen …»

Nimmy zeigte uns dann, wie ein richtiges Curry zusammengesetzt wird. Kein Pulverzeug und so. Sondern getrocknete Ingwerwurzeln, roter Chili, Kardamom, geröstete Linsen, Nelken – je nach Rezept werden diese Dinge gemörsert. Und zusammen mit viel gehackten Zwiebeln und Knoblauch in noch mehr Sonnenblumenöl angeröstet. Dann mit etwas Wasser abgelöscht. Und schon hat man eine ­Currypaste. Wers gelblich mag, gibt noch etwas Kurkuma hinzu. «Also Kurkuma hilft besonders bei Arthrose … und Koriander gegen Wassersucht», sagt Nimmy.

Merke: Die indische Küche läuft parallel mit einem Heilungsprozess. Jedes Leid, jeder Schmerz kann durch Gewürze oder ein Gemüse gelindert werden. Nur gegen «tumbe Ohren» sind auch die indischen Kräuter machtlos.

Man muss neidlos zugeben: Sie ist eine Meisterin ihres Fachs. Im Nu mörsert Nimmy sich durch ihre hölzerne Gewürzbox und knallt vier verschiedene Currygerichte in die Pfannen. ­Letztere sind übrigens aus schwerem Guss. Weil das für die Gewürze die beste Basis sei.

Dreimal dürfen Sie nun raten, wer auf dem Markt von Kochi sofort vier Pfannengarnituren aus Guss erstehen musste.

ABER HALLO: SPOTTBILLIG!

So ein Pfännchen kostete nicht mal drei Schweizer Franken. ES WOG ALLERDINGS 18 PFUND.

Mit viermal acht Pfannen zu je neun Kilo das Stück standen wir wieder am Flugschalter. Wir haben Schreikrämpfe losgelassen und Ohnmachten inszeniert – dann aber dennoch Übergewicht blechen müssen. Mit dem Geld hätte Nimmy zehn Villen für zwölf weitere Dynastien einrichten können …

Hier ist ein Quotes für ein Interview oder bei einem Leitartikel, der vier Zeilen lang ist»

Dienstag, 1. April 2014