Vom falschen Hermes in Jodhpur

Von der Wüste bis nach ­Jodhpur sind es zwei holprige Autostunden.Ein Paket Salznüsschen. Und eine Thermosflasche mit Kaffee, der auch als Tee durchgehen könnte.

Jodhpur ist der zweitgrösste Ort in Rajasthan. Man nennt ihn auch «die blaue Stadt», was Innocent zu einiger Hoffnungen Anlass gab («Vielleicht gibts dort endlich einen anständigen Apéro …?»).

Es gab keinen Apéro. Aber Jadoo. Und Jadoo war die Überraschung meiner Lieblingstante Hannchen.

Als sie erfuhr, dass ich bei Hertz einen Miet­wagen für die Wochen in Rajasthan gebongt hatte, annullierte sie alles. Und trommelte Jadoo ans Steuer. Denn: « … erstens weisst du ja nicht einmal bei deinen Hosenknöpfen, wo links und rechts ist. UND INDIEN HAT DEN VERKEHRTEN VERKEHR! Da kann Hertz dann auch gleich noch den Leichenwagen mitliefern! Nimms als Vorschuss aufs Erbe – aber ich organisiere dir Jadoo …»

ALSO DER RABENSCHWARZE MANN IN EINER MAKELLOSEN UNIFORM SO WEISS WIE FRISCH GEFLOCKTER SCHNEE SAH ­EINFACH UMWERFEND AUS – DIREKT EINEM SCHWARZ-WEISS-FILM ENTSPRUNGEN.

Jetzt erst kann ich Hannchen verstehen, dass sie jeweils unsern apfelgespickten Weihnachts-Puter schwänzt, um sich von Jadoo im indischen Norden herumstossen zu lassen.

«Jadoo!» – strahlte der Mann beim Autobahnhof.

«Au doo…» ulkte ich.

Doch als uns dann der Schneemann zu einer Karre führte, die sich als Zwitter zwischen ­chinesischem TukTuk und Göpfis Mistwagen ­entpuppte, griff sich Innocent schon erstmals an die Pumpe: «DA HOCKE ICH NICHT REIN. DAS IST JA LEBENSGEFÄHRLICH. HAST DU DIE REIFEN GESEHEN …» ABER HALLO – DA WAREN NICHT NUR DIE RÄDER PLATT.

Jadoo hat die gewinnende Art aller Inder, die noch wie Kinder strahlen und sich wie Schneekönige freuen können (natürlich sind Letztere hier Sonnenmaharajahs, aber nicht weniger lebensfroh).

Er lachte alle unsere Bedenken weg: «Ist Jadoo-Ferrari!»

Schon schnallte er die Hutschachteln auf dem verbeulten Blechdach fest. Und so fuhren wir die erste Runde – direkt zum wuselnden Markt von Jodhpur, weil Innocent über Zahnbrummen jammerte.

Auf dem Markt war allerhand los. Und das ist wahnwitzig untertrieben: ES HERRSCHTE DAS CHAOS TOTAL!

Tausende von Leuten schubsten einander herum. Sie hielten uns Tüten mit gebackenen Bananen, erbsgrüner Zuckerwatte am Stiel oder in Honig eingetauchte Gurkenschnitzchen hin.

«NICHTS ESSEN! NICHTS ESSEN! – SCHON GAR NICHT VON DER STRASSE!» – jammerte Innocent, als ich schon die vierte Ananas im Teig reingehoovert hatte. Doch dann wurde sein Lamento abrupt gestoppt. Jadoo zeigte auf einen alten Mann, dessen zahnloser Mund wie ein verschrumpelter Ballon aussah. Sein Ein-mal-ein-Meter-Stand war mit einem aufgerissenen Ledersessel belegt. Daneben baumelten zwei Plastik­taschen an einem Mango-Ast. Aus den Säcken ­fingerlte er seltsame Werkzeuge hervor: «Ist Zahnarzt … machen kurz Untersuchung … Frau Hannchen auch schon geflickt!»

UND: WUNDER! WUNDER! WUNDER!

Schon waren Innocents dentale Schmerzen verflogen.

Das Nette an Jodhpur sind zweifellos die vielen Kühe auf dem Markt. Jeder weiss, dass sie hier heilig sind. In Mumbai haben wir die Euter-Vrenis vergebens gesucht. Dort sind sie zwar auch heilig – aber unheilig verboten.

Die Kühe also torkeln herum und haben ein böses Leben. Sie laben sich nämlich an den grossen Abfallbergen mit den Plastikflaschen. Und schon geben sie ihre Fladen im Nirwana ab, weil Plastik selbst von vier Kuhmägen nicht verdaut werden kann.

Es ist somit kaum verwunderlich, dass die Tiere auf den Blumenkohl eines Kleinhändlers scharf waren. UND NICHTS WIE DRÜBER!

Das drahtige Männchen jagte die Heiligen mit Stecken und allen Verwünschungen dieser so sanften Hinduwelt zum Teufel (sofern es diesen in der Hinduwelt gibt) – und Jadoo seufzte: «Die Kühe sind eine Plage. Und die Schweine auch … aber die dürfen eh nur ganz, ganz niedere Kasten essen!»

DAMIT IST SCHWEINSFILET IM TEIG FÜR IMMER AUS MEINEM MENÜPLAN GESTRICHEN!

Immer enger wurden die Strässchen und Gässchen, bis Jadoo vor einem verschlissenen Vorhang geheimnisvoll wisperte: «Hier auch kaufen Hannchen … bestes Händler von Nordindien-Staat!»

Er lotste uns über tausend Treppenstufen eine Holzhütte hoch. Dort im Hüttenhimmel ­standen schon händereibende Teppichhändler: « … nur zeigen … nix kaufen!» ALSO DIESEN FILM SPULEN SIE DIR JA IN JEDEM TÜRKISCHEN BAZAR AB. DAFÜR BRAUCHE ICH NICHT NACH INDIEN!

«Frau Hannchen immer kaufen vieles Kelim …», sagt Jadoo.

Ich zeige ihm den Zeigefinger: «Hannchen hat nur Spannteppiche. Wenn du weiter so lügst, wirst du auch im nächsten Leben TukTuk fahren …»

Jadoo schaut mich traurig an: «Frau Hannchen wollen Stolas, wo machen für Hermes …»

Schon lässt der händeringende Händler einen Zeitungsausschnitt herumgehen. Abgebildet ist Pretty Womans Wonnemann: RICHARD GERE. Er hat hier tatsächlich für seine jetzige Pretty Woman so einen Pashmina-Shawl erstanden und beim Journalisten lamentiert, er habe für dasselbe Stück bei Hermes in Paris 3900 Euro bezahlt …

«Was kostet er hier?», will Innocent sofort wissen.

Der Händler sieht dessen Augen und weiss: die Ratte kommt in die Falle: «Keine 200 Euro – nur 198! Mein Vater produziert sie selber!»

«WIR KAUFEN zehn!» – ruft Innocent euphorisch. Er hat das Vibrieren, als wären die UBS-­Aktien um einen Hundertstel-Punkt gestiegen.

«Wir nehmen 20 für 130 Euro das Stück», ­verhandle ich.

Wir einigen uns auf 40 für 140 Euro.

«Gutes Kauf», lobt Jadoo bei der Fahrt ins Hotel.

Und das wars weiss Gott. Die Bruchbude, in die er uns nun brachte, hatte keine Heizung. Es war noch eisiger als in der Wüste. Und auf dem ­vereisten Wasser im Waschbecken fuhren die ­Fliegen Schlittschuh.

Das Heisseste dieser Nacht war ein frischer Kuhschiss.

Wir deckten uns also mit Jodhpur-Hermes zu.

Der Zimmerboy begutachtete die Decken. Und flüsterte dann: «Ich kann besorgen für 45 Euro Stück! – Mein Vater fabrizieren selber …»

JADOO WIRD AUCH IM NÄCHSTEN LEBEN TUKTUK FAHREN!

Dienstag, 18. März 2014