Von eiskalten Nächten in Jodhpur und Ganesha

Natürlich sind die Inder lammfromm. Und ihr freundliches, einfühlendes Lächeln betört unsere hektischen Seelen. ABER IHR SOLLTET SIE MAL AN EINEM FLUG­HAFENSCHALTER ERLEBEN. ABER HALLO – KICKBOXEN IST EINE STREICHEL­EINHEIT DAGEGEN!

Vor Autobustüren oder Postschaltern gibt es keine Klassenunterschiede. Keine Kasten. Keine Platin Miles Card.

ES GIBT NUR DEN ANGRIFF NACH VORNE.

Beim Flugschalter fängt das Leben – B – an.

B WIE BLEIHANDSCHUH-BOXEN!

Ich setzte Innocent bei drei frommen Mönchen ab. Und startete in meiner Reihe den Kampf nach vorne. Als ich mit blauen Flecken und einer ­blutenden Lippe endlich am Schalter bin, faucht mich die Sari-Lady an: «34 Kilo Übergepäck – ­Elefanten transportieren wir nur nachts!»

DA KONNTE ICH DANN LANGE AUF LUSTIGES HÄSCHEN MACHEN!

ALLES UMSONST.

SIE NAHMEN MIR SO VIELE RUPIEN AB, DASS DER HERR MAHARANA, DEM DIE FLUGLINIE GEHÖRT, SICH MIT DEM GELD EINEN NEUEN HAREM AUFBAUEN KANN.

Harems sind übrigens in Indien verboten. ­OFFIZIELL. «Aber inoffiziell: hohohooo!» – hat Lalit, unser indischer Freund, gelacht.

Ich weiss nicht, was «hohohooo!» bedeutet. Aber Lalit ist Grossvater und dennoch eine heisse Nummer. Er macht mich jeden dritten Schritt auf die schönen Inderinnen aufmerksam. Später zeigt er uns die Vorbereitungen auf die Hochzeit des Udaipur-Prinzen: «Gibt grosses Fest und vieles Tanz mit Freude…» – strahlt er. «Heiratete der Prinz eine Frau?» – diese harmlose Frage hat Lalit dann krass irritiert. Weitere Hinweise auf schöne Frauen waren damit abgewürgt.

Da Innocent die Reisekosten dimmen wollte («ICH BIN JETZT EIN RENTNER – DA KÖNNEN WIR NICHT EINFACH EINEN DRAUFHAUEN!»), liegt unser Hotel irgendwo vor Jodhpur. Anders gesagt: am Rand der zweitgrössten Wüste dieser Welt. Was wir dann antrafen, war wüst genug: zwei, drei abgemagerte Kühe, die hier heilig sind und ­liegengebliebene Plastikflaschen kauen. Und daran schrecklich verenden. Ich weiss nicht, ob sich Ganesha mit dem Elefantenkopf so das Glück der Kühe vorstellt… ABER DA LOBE ICH MIR DEN ADELBODNER GÖPFI, DER IMMER SO ­LIEBEVOLL ZU SEINEM LYSELI SCHAUT. Jedes Jahr hängt er ihr eine noch grössere Glocke um. Und treibt sie dann stolz auf die Engstligenalp zu den guten Kräutlein.

HIER? – PLASTIK!

Natürlich gehören hier die Kühe jedem und keinem. Somit auch den Bauern in den Dörfern. Sie ­sammeln sie einfach auf dem Wegrand ein, wie unsereins die Gurken im Garten. Es ist ihnen auch piepegal, ob die Tiere heilig sind oder nicht. Ihre Milch ist es nämlich nicht. Sie wird zu köstlichen Joghurts gemolken. Oder dann zu Trockenpulver verarbeitet. Das Pulver wird übrigens mit Maismehl vermengt, mit Wasser angereichert, bis ein fester Teig entsteht – und der im schwimmenden Öl ausgebacken. IST KALORIENBOMBIG – ABER MIT MELASSE UND NÜSSEN DAS NIRWANA DER GÖTTER.

Also – damit der Bauer seine Kuh wiedererkennt, bindet er ihr nicht wie Göpfi eine Glocke um den Hals. Das wäre zu teuer. Das kann sich nur der Schweizer Bauer mit allen Subventionen leisten. NICHT DER INDISCHE ALLTAGSKNECHT!

Der Jodhpur-Buur bindet dem Tier eine alte, kaputte Sandale um. So weiss er stets: HALLO – die mit dem halbem Lederschuh gehört zu mir.

Zurück zur Übernachtung. Wir schlafen in Zelten. Da ist nichts gegen zu sagen. ABER EHRLICH – WER NACH INDIEN FÄHRT, NIMMT JA NICHT GLEICH DIE BETTSOCKEN MIT. Und schon gar keinen Zobel, weil das hier nur die Maharanas tragen.

UND WER SAGT DIR AM FLUGSCHALTER, DASS DIE NACHT IN DER WÜSTE BEI JODHPUR NOCH EISIGER IST ALS WEIHNACHTEN AUF DEM JUNGFRAUJOCH?

WIR ALSO, OFEN- UND BETTSOCKEN-LOS, IM ZELT!

Gleich neben uns jault alle dreissig Sekunden ein Schnellzug auf. Sie haben die Zelte nämlich an der Bahnlinie Jodhpur–Udaipur aufgestellt. Und verkaufen das ganze als «typisch nordindische Erlebnisferien»!

Wenn die indischen Tänzerinnen dann beim Fackelgeflacker zu Flötenspiel auf dem roten Sand herumhuschen und fünf Wassertöpfe auf dem Kopf balancieren, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten, so haben wir hier eine wasserklare Aussage: Nasses ist bei uns kostbar! Es soll nicht verschwendet werden. ALSO: NUR EINMAL ZÄHNEPUTZEN AM TAG!

Innocents Übelhörigkeit ist ein Geschenk für den Alten. Er hört weder die weinenden Flöten noch die grellen Schreie der Eisenbahn. Nein. Er hat nur Augen für den hüftenwippenden Touristenbrunz mit den Kübeln auf den verschleierten Rüben.

«Schöne Weiber haben sie ja hier…», sülzt er. Und muss entschuldigt werden. Wer demnächst 80Jahre feiert, ist verbal nicht mehr in der emanzipierten Frauenwelt von heute anzutreffen…

Plötzlich entdeckt uns der Direktor des Zeltlagers. Er steckt in der Tracht der Einheimischen. Und kommt aufgeregt auf uns zugewatschelt: «Ohhh Söör from Switziland… häppi willcumm diiir Switzi!»

Seine Helferinnen überschütten die «Switzr» mit gelben Blüten und drücken Rotes auf unsere eisige Stirn. Innocent sieht aus wie eine angeschossene Kuh – aber das Zeichen, so erklärt uns das lustige Männchen unter tausendfachen Verbeugungen, soll Glück bringen.

DAS BRACHTE ES DANN AUCH.

GANESHA (oder wer es immer war) REISTE MIT UNS.

Er legte eine Herde verdauender Kühe auf die Schienen von Udaipur–Jodhpur.

UND SO WAR ES PLÖTZLICH WUNDERBAR STILL. Man hörte nur noch die Flötenspieler. Eine Trommel. Und die Glöckchen der Mädchen.

WIR WAREN IN INDIEN ANGEKOMMEN.

Dienstag, 4. März 2014