Dumping-Preise

Giuseppe schloss die Ladentüre.

Schliesslich drückte er den silbernen Knopf auf der alten Kasse.

Diese ratterte. Doch nur kurz. Und Giuseppe wusste: DAS WAR KEIN GUTER TAG.

Früher hatte die Kasse fast eine Minute gerattert. Der Rekord waren 95 Sekunden gewesen. Nach einem „Heiligen Abend“.

Giuseppe schaute auf den Kassenstreifen, wo Tageseinnahmen und Kunden-Frequenz in etwas verblichenen Ziffern vermerkt waren.

Der Alte schüttelte den Kopf: 8 Personen. Und die Einnahmen lagen weit unter 100 Franken.
DAS WAR EIN MIESER START IN EIN NEUES JAHR!

Schon sein Vater - er war aus Brescia in den kleinen Schweizer Ort eingewandert – hatte diesen Laden geführt. Zuerst hatte er sich als Maurer hochgearbeitet. Dann drängelte ihn Assunta diesen Laden und das Haus zu kaufen. Ein Alimentari-Geschäft war stets der Traum von Giuseppe’s Mutter gewesen.

Die Sache florierte. Die Schweizer mochten Mailänder-Salami und Mortadella aus Bologna – vieles war ihnen fremd. Aber mit der Zeit lernten sie die italienischen Genüsse und Qualität, die Assunta bot, zu schätzen. An Weihnachten funkelten Panetone mit goldfenen Schleifen im kleinen Schaufenster – an Ostern überzuckerte Biscuit-Tauben aus Modena und Marzipan-Lämmchen aus Sizilien.

Als dann im Ort der erste Einkaufscenter öffnete, blieben viele Kunden weg. Sie kamen nur noch, wenn sie von dem speziellen Mortadella haben wollten, der eben tausend Mal besser schmeckte als die eingeschweisste Wurst vom Supermarkt.

Auch einige Alte blieben treue Kunden – die Packungen im Riesenladen waren ihnen zu gross. Bei Assunta konnten sie sich einen Apfel abwägen lassen. Oder einfach nur drei Eier kaufen.

Eigentlich wäre Giuseppe gerne Automechaniker geworden. Aber „du bist unser einziger Sohn. Und du wirst das Geschäft weiter führen. Wir haben uns nur für Dich abgerackert…“, sagten die Alten.
Sie starben weg Und Giuseppe hatte den Laden am Hals. Es war zu spät, um auf den Beruf des Automechanikers umzusatteln. Also verkaufte er weiterhin Früchte. Gemüse. Und italienische Spezialitäten.

Wenn die letzten gebliebenen Kunden auf dem Gegentrottoir vor seinem Laden beladen mit den Tragsäcken des Supermarkts vorbei gingen, schauten sie weg. Und er auch. Irgendwie schämte er sich für sie.

Der Todesstoss gaben ihm dann die Geschäfte, welche ein paar Ägypter in seinem Ort eröffneten. Die jungen Kerle waren nach der Revolution geflohen – nun überschwemmten sie den Ort und auch verschiedene andere Dörfer im Kanton mit Billig-Ware. Der Verkaufspreis der ägyptischen Orangen war fast um die Hälfte niedriger als der Einkaufspreis, den die Schweizer Händler Giuseppe machten.

Mit riesigen Plakaten priesen die Ägypter ihre Dumping-Preise an – selbst der Super-Markt konnte nicht mehr mitziehen. Und die Leute standen vor ägyptischen Artischocken Schlange.
Eines Morgens entdeckten die Menschen im Ort vor dem Geschäft Giuseppes handgeschriebene Plakate. SUPER-HIT DISCOUNT! Der Händler unterbot auch die niedrigsten Preise der Ägypter. Und die Leute stürmten das Geschäft.

Am Abend war Giuseppe ausverkauft – und die Kasse hörte nicht mehr auf zu rattern. Er lächelte zum Himmel: „Verzeiht mir – ich wollte das einfach noch einmal erleben…“

Dann schoss er sich mit der Pistole in den Kopf.

Als seine Nichte Josefina die Beisetzung ihres ledigen Onkels organisierte, meinte ihr Mann: „Im Nachbardorf hat ein Tamile ein Bestattungs-Unternehmen eröffnet. Er äschert die Leute für den halben Preis ein – und steckt das Grabbouquet umsonst dazu“.

Giuseppe konnte sich nicht mehr dagegen wehren.

Aber im Ort sagen sie, sein Geist gehe heute noch um…

Montag, 20. Januar 2014