Von Gedanken bei Sonnenuntergang und Medusen…

Winter ist die helle Zeit auf der Insel: die Sonne steht tief. Und schüttet Gold auf Felsen und Olivenhaine..

Die Nächte tauchen sehr bald ins Teerschwarze ab. Wenn man Glück hat, hängt der Milchstrassen-Verantwortliche die Sterne raus. Vor dem Eindunkeln aber verfärbt sich der Himmel violett und rosig. ER zieht mal wieder alle Register – auch wenn sein Bühnenbild aussieht, als wären 100 000 Tucken mit der Schminkpalette ausgerückt!

Solche Stimmungen und ein Meer, so spiegelglatt als hätte es der Glaser eingesetzt, diese melancholisch-verträumte Januar-Romantik also lassen die Gedanken in die Zukunft fliegen.

„Wo willst du begraben sein?“

BITTE WIE? BITTE WAS?

Innocent schaut von seinem Sudoku auf: „Ich frage dich – wie, wo und mit wem willst du begraben sein?“.

OH HIMMEL. ER HALLUZINIERT.

Ich jage von der Coach auf. Agatha Christie’s „MORPHIUM“ fällt zu Boden. Und ich fühle Innocent’s Stirn. Sie ist etwas warm. Aber das kommt von diesem miesen Joli, den sie hier „ZIO PEPE“ nennen, und den Gianni uns in zehn 5-Liter-Flaschen herbeigekarrt hat. 2 Euro - den Preis kann man schlucken. Und nicht etwa pro Liter - 2 Euro pro 5-Literflasche! DA HATTE INNOCENT WEIHNACHTEN!

„Ich mache mir einfach Gedanken, was passiert, wenn wir einmal nicht mehr sind…“
Ich hole seine Honigtabletten. Es sind chinesische. Aber sie helfen gegen Januar-Depressionen.
„…es wäre schön hier irgendwo begraben zu sein!“.

ALSO JETZT REICHTS! :„Ich gedenke noch nicht abzukratzen, Herr Innocent!“

Er schaut mich mit diesem Blick des abgeklärten buddhistischen Tempelmönchs an – ein Gesicht, das alles hinter sich gelassen hat. Die Stimme tönt getragen. Sie vibriert leise: „NICHT W I R BESTIMMEN - DIE REGIE LIEGT IN ANDERN HÄNDEN!“.

Ganz klar: ER HAT ZUVIEL VOM SUPPENFLEISCH GEGESSEN. UND ES WAR ZU FETT! FETTES SUPPENFLEISCH LIEGT IHM IMMER BESONDERS SCHWER AUF.

„Ich hole Dir ein Alkaseltzer…“

Nun verlässt ihn die Gelassenheit des buddhistischen Mönchs: „JA KANN MAN MIT DIR NICHT EIN EINZIGES MAL EINE VERNÜNFTIGE DISKUSSION FÜHREN?!“

Ich sehe im Gesprächsstoff um meine Gruft nichts Vernünftiges.

„…wir fliegen in ein paar Tagen nach Indien. Wir könnten abstürzen. Oder Du wirst im Ozean von einer Seeschlange gefressen…“.

Ich denke nicht daran, im indischen Ozean zu baden. Ich bin eh kein Meerbader. Seit mich ein Strauss von wippenden Medusen mit ihren giftigen Schleiern eingewickelt hat, ziehe ich den Pool vor.

Das mit den Medusen passierte exakt hier an unserm Insel-Strand. Das Wasser war badewannenwarm. Ich stürzte mich mit Jauchzen in in die sanften Wellen. Aber leider direkt in die Arme von hunderten von Meeresquallen.

Die Schleier brannten, als hätte sich das Fegefeuer auf meinen Bauch gelegt. Brüllend enstieg ich den Wellen. Die Leute jagten hgerbei. Jeder wusste einen andern Rat. Und einer rief aufgeregt „PIPI SOPRA…PIPI SOPRA!“. Na danke. EINE PISS-DOUCHE HÄTTE MIR GERADE NOCH GEFEHLT. Das musste ich jetzt wirklich nicht haben. Seither : NUR NOCH SCHWIMMBAD. ODER BADEWANNE.
Und deshalb ist die hypothetische Annahme, ich würde im indischen Ozean von einer Seeschlange gefressen absoluter Bockmist!

„Vielleicht kommst du auch unter eine heilige Kuh…oder der indische Koch würzt Dein Curry mit einer Dosis Digitalis extra…“ – Inncoent war in seiner Schwarzlaune so wenig zu bremsen, wie Herr Vettel, wenn er mal durchgestartet ist…

„Vielleicht könnten wir endlich das Thema wechseln…schau Dir nur diesen herrlichen Sonnenuntergang an…!“

„EBEN!“

Was EBEN?!

Er hüstelt: „Auch die Sonne geht unter…alles verschwindet einmal von dieser Welt…und deshalb frage ich Dich: wo willst du ewig ruhen?“.

Solche Diskussionen machen mich wahnsinnig. ICH GEHE WORTLOS ZUM ESSTISCH UND HOOVERE DAS ALLERLETZTE ANISBROT REIN. Das war etwas leichtsinnig. Denn das Anisbrot hatte die Konsistenz eines Grabsteins (um beim Thema zu bleiben). Und mein „Dreier oben links“ geriet arg ins Schaukeln.

„Siehst Du was Du angerichtet hast! Mein Zahn ist zur Hälfte draussen – und die andere Hälfte schwankt wie Onkel Alphonse nach einer Männerchorprobe!“.
Innocent setzte erneut die Buddhisten-Miene auf: „Es passiert schneller etwas, als man glauben mag…und deshalb sollten wir uns jetzt einmal sachlich überlegen was passiert, wenn es endgültig passiert…“

Er machte eine Kunstpause. Angelte sich eine etwas ausgetrocknete Marzipandattel. Und fuhr fort: „Ich meinerseits möchte, dass meine Asche hier verstreut wird…oben beim Olivenwald, wo man diese herrliche Aussicht auf Giglio hat und…“

„…na danke. Ich soll dich dort herumstreuen, wie den Puderzucker über die Christstollen?!…“
„WER SAGT DENN, DASS D U STREUST. VIELLEICHT STREUE I C H ZUERST. ES GIBT KEINE REGEL WER WEN ZUERST STREUT - DAS ENTSCHEIDET E R!“.

Bingo!

Nun klopft mir mein Freund auf die Schulter:“Jetzt haben wir doch 45 Jahre miteinander verbracht. Gute Zeiten. Schlechte Zeiten…“

Ja heiliger Bimbam! Jetzt bemüht er auch noch diesen Serienkleister aus der TV-Kiste.

„…da wäre es doch schön, wir würden uns beide hier für die restlichen paar Milliarden Jahre der Natur hingeben. Wir schreiben das ins Testament. Der erste wird vom zweiten ausgestreut. Der zweite von den Erben…“

BIS ES SOWEIT IST, IST NICHTS MEHR ZU ERBEN. UND ICH KANN MIR BEIM BESTEN WILLEN NICHT VORSTELLEN, DASS DAS ERBSCHAFTSAMT EINE REISE HIERHER UNTERNIMMT – DIES ALLES UM EINE URNE AUF EINEM PLATZ, DER VON WILDSCHWEINEN UMGEGRABEN WIRD, AUSZUSCHÜTTEN…

A propos: „ICH WILL AUF GAR KEINEN FALL VON DEN WILDSCHWEINEN UMGEGRABEN WERDEN!“

Innocent lächelt: „Der Wind wird dich davon tragen…vielleicht auf den Berg zur Militärstation…vielleicht ins blaue Meer!“.

ZU DEN QUALLEN WILL ICH SCHON GAR NICHT. Dann lieber zum italienischen Militär. Dort ist noch Leben, in der Hose…!

Innocent schaut übers Meer. „Jetzt ist die Sonne untergetaucht!“.

„Ich mache dir ein Schleimsüppchen…“ – stoppe ich jede weitere Diskussion ab.

Morgen ist das Thema gegessen. Das Schleimsüppchen auch.

Und die Sonne geht erneut auf.

Dienstag, 14. Januar 2014