Kürzlich meldete sich in meinem E-Mail-Briefkasten jemand mit dem Namen Osnat Laster.
O.k. Nicht aussergewöhnlich.
Es melden sich schliesslich auch «Huldi Weibel» oder «Jörg Abächerli».
Die meisten wollen irgendein Kochrezept. UND DA BIN ICH NUN WIRKLICH NICHT DIE RICHTIGE ANLAUFSTELLE.
JEDER WEISS, DASS MEINE REZEPTE NIE AUFGEHEN. UND STETS IRGENDWO EIN EI ÜBRIG BLEIBT!
Osnat Laster jedoch wollte ihre Grossmutter. Es kommt eher selten vor, dass jemand bei mir eine Grossmutter bestellt.
Osnat ALSO: «Ich lebe in Israel. Ich züchte Hunde. Schwarze Pudel. Mittelgross. Und ich vermute, dass Sie einiges über meine Grossmutter wissen …»
«GROSSMÜTTER SIND MEIN DING!», mailte ich zurück. Und: «WIE HEISST DENN DAS GANZE?»
Zwei Tage kam nichts. Dann die Grossmutter. «FRIEDEL STRAUSS?!»
JA HEILIGER BIMBAM. DIE GUTE FRIEDEL! DIE ERSTE ROHKOSTFEE HELVETIENS. Aber zwischen den Pudeln der Enkelin und der Bircherraffel der Friedel liegt fast ein halbes Jahrhundert.
Ich maile also hurtig zurück: «Natürlich weiss ich einiges über die verstorbene Buchautorin Strauss – sie war eine ganz aussergewöhnliche Frau. ABER SIE HAT MIT HUNDEN NICHTS ANFANGEN KÖNNEN. SCHON GAR NICHT MIT FRISIERTEN PUDELN …»
Mail retour: «Ich möchte Sie treffen. Ich möchte alles über meine Grossmutter erfahren – auch wenn es vielleicht nicht schmeichelhaft ist. Ich habe niemanden mehr, den ich nach meiner Vergangenheit fragen kann. SIE ABER KANNTEN DIE OMI. Ich treffe Sie, wo immer Sie wollen – und ich nehme meinen Mann mit!»
DAS TÖNT DOCH SCHON GANZ HEISS!
DER MANN IST MIR LIEBER ALS EINER DER PUDEL!
Ich sagte also einem Treffen für den Frühling zu. Und es kam nochmals ein Mail: «Sie werden nie erraten, was aus mir geworden ist – ICH BIN KOCHBUCHAUTORIN UND HABE MEINE EIGENE FERNSEHSHOW!»
Na bingo.
Die Züchtungsrezepte für schwarze Wollpudel sind vermutlich nur Hobby. Also google ich mich mal im Internet schlau. Und WAHNSINN: Die Enkelin meiner guten Friedel ist in ihrem heissen Land ein noch heisserer Fernsehstar. Sie garantiert hohe Einschaltquoten und gute Küche – zumindest Letzteres hat sie ihrer Oma klar voraus. FRIEDELS KÜCHE WAR NÄMLICH IMMER DER GAU. Aber sie verkaufte ihre Kochschwarten wie warme Semmeln. Anders gesagt: Sie war in ihrer Zeit der Jamie Oliver der rohen Rüben.
Friedels Schlagwort «roh macht froh» kam zu einer Zeit, als Bioläden so selten waren wie ein ungefärbtes Haar an Berlusconi. Aber unbeirrt raffelte sie Rohgemüse zu Salaten, goss unschöne Saucen aus Joghurt und Kräutern darüber und war mit ihrem jugendlich strahlenden Wesen ihre eigene beste Reklame: mit 80 hob sie das Bein noch so hoch wie Zsa Zsa Gabor in der ersten Revue-Show.
Und mit 85 wäre sie aus Versehen als Jurymitglied beinahe zur Miss Universum erkürt worden – «das macht alles die Rohkost und Bircher mit seiner Raffel», erklärte sie einem Journalisten der BBC. Mittlerweilen waren ihre Rohkostbibeln bereits in 25 Sprachen übersetzt und auf der ganzen Erdkugel in den Buchhandel gestreut worden.
Ich war knapp über 20, als sie mich anrief: «Hallo junger Mann – Sie sind ein Schreiber ohne Geld, ich bin eine Rezeptautorin ohne literarisches Talent. Kneten wir uns zusammen: Sie puzzeln mir ein paar würzige Texte, ich rapse dazu den passenden Kohl – DAS WIRD EIN KNÜLLER!»
Sie wartete im Kunsthallengarten auf mich – ein ganz kleines Persönchen mit einem Kinn wie Nick Knatterton. Das Kinn sagte: So schnell kriegt ihr mich nicht unter!
Zuerst bettete sie ein Mäppchen mit Kochrezepten, die ihre stets makellos manikürten Hände auf einer Hermes Baby runtergehackt hatte, vor mich hin.
Dann schälte sie ein Konfitürenglas mit Undefinierbarem aus der Handtasche: «Da. Jetzt kosten Sie mal …»
Friedel taxierte mich kritisch: «Ihre Haut ist unrein … Sie haben einen Bauchansatz … und die Zähne sind von krankhaftem Gelb! ESSEN SIE GESUND – ESSEN SIE ROH. Und alles kommt ins Lot …»
Unter ihren strengen Augen musste ich dann das Konfitürengläschen öffnen. Sie befahl dem Kellner, einen Teller und eine Gabel zu bringen – UND DANN KAUTE ICH ERSTMALS GERAPSTE ROHE RANDE MIT AVOCADO UND BANANENMATSCH!
Nun ja, ein Wienerschnitzel war es nicht! Aber der Anfang einer wunderbaren Freundschaft – um es mal im Schlussspurt-Stil von «Casablanca» auszudeutschen.
Wir haben über 20 Jahre zusammengearbeitet – Scapa hat bei «Benteli» unsere Bücher illustriert, Geisen und Jüsp bei Birkhäuser. Friedel Strauss war nicht nur ein Hurrikan im Kochbuchgeschäft – sie war auch eine warmherzige, weise Frau.
Am eindrücklichsten ist mir ihr Rombesuch in Erinnerung. Sie kam von Tel Aviv und wollte noch ein paar Tage in der Ewigen Stadt geniessen. Sie hatte eben eine Promotionstour ihres Bestsellers «Die schönsten Rezepte meines Lebens» hinter sich. Das Buch erschien zu ihrem 90. Geburtstag.
Friedel Strauss wollte sich jetzt einfach nur über die Ewige Stadt und ein paar Tage Sonne freuen. Rasch verstaute sie ihren Koffer im Hotel, spazierte mit mir auf die Piazza Navona – DA RISS IHR EIN HUNDSFOTT AUF EINEM MOPED DAS TÄSCHCHEN AUS DER HAND!
Mir wurde schlecht. Ich musste mich übergeben – sie aber lachte nur: «Ich hatte meinen ganzen Schmuck drin. Der Safe im Hotel schien mir nicht zuverlässig genug …» Dann klopfte sie mir auf die Schulter: «Was regst du dich über eine solche Bagatelle auf? Die Nazis haben meinen Mann vor meinen Augen erschossen, da werden solche Dinge zu Peanuts …»
Ich schaue im Internet auf das Foto der schönen Enkelin, die ein Fernsehstar ist. Dann schreibe ich an Osnat Laster: «Ich freue mich, Ihnen Ihre Grossmutter näherbringen zu dürfen: Sie war eine ganz kleine, ganz grosse Frau!»