Hildi schaltete den Fernseher aus.
Sie hatte eine Illustrierte durchgeblättert, um sich über das blaue Blut dieser Welt auf dem Laufenden zu halten.
Walter brütete über einem Sudoku.
Am Fernseher war sich eine politische Talk-Runde verschiedenster Parteien darüber einig gewesen, dass Frauen nicht geschlagen werden dürfen.
Hildi schüttelte den Kopf: Weshalb konnten sie nicht wieder mal so einen schönen Film mit Theo Lingen und Paula Wessely zeigen? DA HATTEN ES FRAUEN IMMER GUT.
«Weshalb stellst du ab?» – Walter schaute von seinem Sudoku auf.
«Es schaut ja doch keiner. Und wir sollten der Umwelt zuliebe Energie sparen, Walter!»
«Ach das bisschen Fernsehen…» brummelte er. Und dann: «Hier habe ich die -5- zwei Mal…»
Hildi sagte nichts. Sie konnte mit «zwei Mal -5-» nichts anfangen. Schon in der Schule brachten ihr Zahlen das Chaos.
«UNBRAUCHBAR!» – hatte sie der Mathematik-Pauker vor der ganzen Klasse abqualifiziert. «HILDEGARD – SIE KÖNNEN EINFACH NICHT LOGISCH DENKEN! SO WIRD NIE ETWAS AUS IHNEN!»
So ein Arschloch!
Immerhin hatte sie drei Kinder grossgezogen. Ein Haus mit Garten geführt. Und den Fahrausweis nach dem zweiten Anlauf geschafft. Dass sie keine geometrischen Gleichungen lösen konnte, war in ihrem Hausfrauenleben kein Hindernis gewesen.
UNBRAUCHBAR! Ha. Lehrer waren einfach betonköpfige Besserwisser.
Nun – manchmal kam sie mit dem Monatsbudget nicht ganz klar. Walti versuchte, ihr ein Haushaltungsbuch schmackhaft zu machen. Also kaufte sie eines. Einen wunderbar gebundenen Lederschinken mit 350 blankweissen Seiten. Hier sollte sie täglich ihre Ausgaben notieren. So schrieb sie also: «EIN HAUSHALTUNGSBUCH – Fr. 128.50 (Leder).» Es blieb ihr einziger Eintrag.
«…sie geben es als ‹leicht› an. Aber das Sudoku hier ist mehr als ‹mittelschwer› », knurrte nun Walter.
«Weshalb können wir nicht wieder mal zusammen ‹Tschau Sepp› spielen? Oder die Mörgelis zu einem ‹Schieber› einladen?»
Hildi setzte sich auf die Armlehne von Waltis Fauteuil. Sie streichelte durch sein Haar – «es wird dünner, immer weniger» dachte sie. Dann drückte sie ihm einen leichten Kuss auf die angehende Glatze.
«Lass das, Hildi» – Walter tönte genervt – «so kann ich mich nicht konzentrieren. Ich habe eine –5 zu viel…etwas stimmt nicht…»
Hildi lachte leise auf: typisch Walti. Schon wenn sie mit den Kindern «Eile mit Weile» gespielt hatten, war er stets muff geworden, wenn sie ihn wieder «heimschickten». Und er am Verlieren war. «Ich mache ein paar belegte Brote…dazu eine gute Flasche Rotwein. Und wir jassen wie in den schönen alten Zeiten…» – Hildi brachte das Thema wieder auf die Mörgelis zurück.
Walti schaute nun von seinem Sudoku auf: «Mit dir macht Jassen keinen Spass, Hildi – du kannst die Karten nicht im Kopf behalten. Du weisst nie, was gelaufen ist – und spielst die unmöglichsten Tricks aus. Du kannst nicht logisch denken, Liebes…»
Er tätschelte nun ihre Hand: «Das macht aber nichts, Hildi – vielleicht macht dies ja gerade deinen Charme aus. Überdies ziehe ich deine Backkunst dem logischen Denken vor…»
Er klopfte sie nun auf den Rücken: «Apropos – hats noch von der Zwetschgenwähe…und vielleicht mit etwas Rahm, wenns nicht zu viele Umstände macht…?»
Sie erhob sich seufzend. Nein. Es machte keine Umstände. Dafür war sie ja da – und immerhin wurde sie nicht geschlagen.
«In der obersten Reihe musst du die -5- neben der -3- einsetzen – dann gehts auf!», sagte Hildi nun.
Und ging ab in die Küche, um den Rahm zu schlagen.