Donnerstag - Verrückte Welt. Während mir das Hemd am Hintern klebt und die Deo-Stifte wie Stafettenstäbe von Hand zu Hand gehen, lasse ich «Oh du Fröhliche» sounden und knete mich durch Weihnachtsstollen, um endlich in Stille-Nacht-Stimmung zu kommen.
Linda hat mich im letzten Moment davon abhalten können, das Vinyl-Tännchen mit Lametta zu bewerfen. Die Kerzchen, die ich an den Kunststoff genistelt habe, beugten sich in der Hitze wie die Sympathisanten der Rheumaliga. Und die Fondant-Maus vom letzten Heiligen Abend tropfte sich aus dem Stanniol und hinterliess auf dem Parkett eine Zuckerlache mit Himbeergeschmack.
Linda kreischte unweihnachtlich schrill, als ich zum Streichholz griff: «Ja bist du total verrücktiges? Alles sein abgefackelt, noch bevor Feuerwehrmannig einstürmen und machen schaumiges Schweinerei? JETZT NICHT WEIHNACHTSFEIRIG - JETZT FROHES SCHWUMM IN RHEINIG!»
Die Gute. Sie redet, wie sies versteht.
Ich streichle ihr sanft über das verhutzelte Köpfchen, wo die wenigen Härchen mit einer hippen Perücke abgedeckt werden. Die Falschhaare im Schnitt einer Nana-Mouskouri-Mähne sind schwärzer als der Rock eines römischen Priesters und die Seelen einiger Päpste, deren Namen wir hier nicht nennen wollen - aber das Schlimmste: Lindas Kopf wird seit dem 80. Geburtstag von Tag zu Tag kleiner. Er schrumpelt in sich zusammen wie dieser Apfel, den man auf der Hurd vergessen hat - und so kommt die Mouskouri-Pracht beim Temperament der fröhlichen Seele vehement ins Rutschen und dreht sich auf dem Köpfchen wie Innocents neuste Salatschleuder. Das Resultat: Sie sieht aus wie dieser lustige Hund, der auch nicht aus den Haaren raussieht und sich nur noch mittels seines Geruchssinn vorwärts bewegen kann.
NUN WARS MIT LINDAS GERUCHSSINN EH NIE WEIT HER. So torkelt sie also im Stubenstaub herum, bis es Innocent zu viel wird und er ihr die Perücke im Besenkasten versteckt, wo die lustige Putzerin seit drei Jahren eh nie mehr reingeschaut hat.
Aber wir müssen auf die Weihnachtsfeier zurückkommen. Und natürlich ist es jetzt die falsche Saison, das Licht der Freude anzustecken und den wächsernen Jesus ins Krippchen zu legen, wenn er nach 30 Hundstageminuten nur noch als geschmolzener Pfannkuchen Maria zu Füssen liegt.
ABER WAS SEIN MUSS, MUSS SEIN.
Wir stecken nämlich mitten in den Aufnahmen zu den TV-Weihnachtskochsendungen, wo wir für Herrn Wherlock nussige Nussknackerchen backen und für Bo Katzman den Heilig-Abend-Fisch in glimmrigen Kartoffellamellen braten. DIES BEI 48 GRAD VOR UND AB HERDPLATTE (uneingeschaltet!).
«Weshalb muss Weinhnachtssendig sein in August?», jammert Linda und frisst sich durch meinen Haselnuss-Rohteig. «Ist unsinnig, alles viel zu frühig abzudrehen und kein HALLELUJA in Haus!»
Stimmt.
Aber zur Adventszeit bekomme ich dann keinen vor die Kamera, weil sie überall tanzen, singen und «kling Glöckchen, klingelingeling» jodeln müssen. Deshalb: ADVENT IM AUGUST - BRINGT GANZ NEUE LUST!
Linda jault auf. Ihre Beisserchen (ein Geschenk von Verehrer Egon) haben vor einer Haselnuss kapituliert: «ICH HASSE NÜTSE... WESHALB KOCHST DU WEIHNACHTLIGES MIT NÜTSEN!?»
Eigentlich wollte ich ein Mandarinensorbet kreieren. Aber sorbettieren Sie einmal, wenn vor dem Haus der Asphalt kocht. Da wird jede Eisbombe zum See.
«Linda - sei nett und zünde eine Wunderkerze an!», versuche ich meine Nerven einzukriegen. Drei Minuten später singt Bing Crosby, von dem ich nie weiss, wie er sich richtig schreibt, das schöne Lied von der «White Christmas».
Linda sitzt brummend unter der Vinyl-Tanne, von ders nun Sterne sprüht. Einzig ihre Magnum, die sie sich reinlutscht, ist das falsche Ding zur falschen Zeit...
Freitag - Seit Innocent aus der Rheinfelder Klinik ausgebrochen und vor den therapeutischen Marterinstrumenten geflohen ist, dirigiert er die Welt aus seinem alten Kinderbett («Nein. Ein neues kommt erst ins Haus, wenn die Matratze durch ist - das ist noch gute alte Vorkriegsware!»)
Natürlich schmerzen ihn die neuen Knie doppelt, seit er die Rechnung für den ärztlichen Griff ins Ersatzteillager bekommen hat - nicht nur die Halsschlagader, auch die beiden neuen Kniescheiben sind in seiner Aufregung angeschwollen wie das Soufflé im Umluftofen: «Für dieses Geld könnte ich mir ja einen Ferrari kaufen...» «... und wo willst du im Ferrari den Rollstuhl verstauen, wenn du nicht mehr gehen kannst!», versuche ich ihn auf die gütige Art in die Realität der Sulzer-Gelenkerei zurückzuhieven. «Immer hast du das letzte Wort!», knurrt er nun. «Du hast übrigens wieder zugenommen...» So etwas kommentiere ich nicht.
Aber ich wünschte mir, der gute Herr Doktor hätte für den Preis eines Knochenservice und Ölwechsels auch gleich noch Innocents Giftzähne rausgehämmert...