Von zwei Schwestern und Aescher Wurzeln

Wenn meine Grossmutter, die vornehme mit dem Ypsilon in Meyer wie auch in Lydia, wenn die schicke Oma also von ihrer Schwester Elly erzählte, war ihr Ton stets säuerlich. Na ja, so ähnlich, wie wenn ihr Schwiegersohn, der Trämler-Hansi, in ihr Haus stürmte und brüllte: «Gibts in dieser Bude auch ein kühles Bier?» Elly hatte Lydia den Mann weggeschnappt. Deshalb das Säuerliche. Tausendmal hat das doppelte Ypsilon ihr Drama an Familientagen, Totenmählein und Taufen besungen? und immer mit derselben Ouvertüre: «EIGENTLICH HÄTTE ICH JA CONTESSA ISOTTA WERDEN SOLLEN. UND NICHT MEINE SCHWESTER ELLY. DIE HATTE DOCH ZÄHNE WIE EINE SPRINGMAUS. DANN WAR DA AUCH IHR LEICHTER STICH IN DEN AUGEN. ALSO EHRLICH? ES WAR MEHR ALS EIN STICH. SIE SCHIELTE, DASS JEDES GEGENÜBER BEIM SUCHEN NACH BLICKKONTAKT AUGENWASSER BEKAM!»
Die Geschichte fing in Stresa an. Die beiden Schwestern wurden aus Aesch weggeschickt? und zwar in ein Pensionat für höhere Töchter. Hier lehrte man ihnen auch Italienisch. Nach dem Büffeln der Vokabeln kam die Fröhlichkeit am See. Am Ufer des Lago Maggiore wurde die Oma von einem schnittigen Galan angemacht. Man einigte sich auf eine Bootsfahrt. Doch schon damals «IMMER MIT!» Das MIT war zu jener Zeit eine Anstandsdame, «also musste Elly mich begleiten. Wir stiegen beide in das schmale, wacklige Holzschiff. Der Galan wartete am Ufer mit einem Arm voller Rosen. Er hatte sie für mich gekauft? UND WARF SIE NUN SPONTAN MEINER SCHWESTER ZU. NA JA? ITALIENER HALT! IRGENDWIE MUSS IHM ELLYS SPRINGMAUSMUND EINGEFAHREN SEIN. Ich aber hockte wie ein vergessener Schirm während der ganzen romantischen Bootsfahrt stumm auf der Hinterbank. Die beiden gaben einander Händchen. Es konnte einem übel werden bei so viel Seifenoperromantik? nicht nur, weil dieses verdammte Boot so schaukelte.»
Die Schwester heiratete aufs Gut. Der Galan entpuppte sich als Conte Isotta. Die Grosstante wurde Contessa. Und schickte ein Leben lang elfenbeinfarbige Namenskärtchen mit eingestochenem Wappen herum. Das Wappen stach der Oma Meyer tief ins Herz? es hatte ein Krönchen. Und sie nur das Ypsilon. Als Kind verbrachte ich viele Ferien auf dem Schlösslein am Orta-See. Ich zog dort meine erste richtige Pasta asciutta rein. Und eine Minestrone, die nicht aus Trockenfutter im Suppenbeutel bestand. Vor allem aber gab es Küsse. Viele Küsse. Die italienische Verwandtschaft reichte mich herum wie einen bunten Lollipop. Alle leckten an mir. «Che bel bimbo!», jubelten sie. Und verdrückten mich schier. Da war das Ypsilon erneut sauer. Dort drückte nämlich keiner. Künftig hatten die Schwestern keinen Kontakt mehr. VOLLBREMSE VONSEITEN DES YPSILONS. Und: «Die Lydia war doch nur sauer wegen des eingestochenen Krönchens auf dem Briefpaper!», so stichelte die adlige Muhme.
Die Contessa schenkte den Isottas zwei Töchter. Die eine blieb ledig. Und auf dem Gut. Sie war mit der Kirche und den guten Werken verheiratet. Die andere mit dem Bürgermeister von Florenz. Aber man darf nicht vergessen? ein Teil ihrer Wurzeln wurzelte bei beiden in Aesch, Kanton Baselland.
Die zwei Schwestern entzweiten sich? wie schon die Mütter. Keiner weiss Genaueres. Mein Vetter Antonio vermutet, dass sein Vater auch mal bei der keuschen Schwägerin sein gutes Werk machen wollte. ITALIENER EBEN!
Na ja? jedenfalls war Zoff. Und als meine Tante vor einem Monat hochbetagt ins Jenseits abritt, ging während der Abdankung im Duomo von Pistoia das schwere Portal knarrend auf. Die hochbetagte Schwester schleppte sich am Rollator zum Sarg. Schaute ins friedliche Gesicht der Toten. Und knurrte: «Ich musste entbehren? du nicht. In der Hölle sollst du schmoren!» Daraufhin sang der Nonnenchor.
Als mein übrig gebliebener Vetter und ich endlich am Grab standen und Antonio es mit der Heulerei ein bisschen gar arg übertrieb, drückten mich wildfremde Menschen an sich. Sie schlabberten wie damals, als ich noch der Lollipop war. «Mich hat keiner geküsst!», jammerte mein Vetter daheim. «Dabei bin ich doch die Waise!»
«Kannst du ein paar Teller mit den Krönchen drauf abgeben?», begann ich gleich einmal das Erbe aufzumischen.
«DU BIST WIE DEINE GROSSMUTTER!», jaulte Antonio genervt.
Na ja? Aescher Wurzeln eben.

Samstag, 3. September 2011