Vor einigen Tagen fragte mich ein Journalist: «Welchen Wunsch hast du noch offen?!»
Die Frage hat mich überrumpelt. ABER TOTAL, KANN ICH EUCH SAGEN.
Meistens fragen meine Journalistenkollegen: «Wie ist das, für ein Blocher-Blatt zu schreiben? Und wirst du unterdrückt?»
Ich glaube, sie möchten mich gefoltert in Ketten sehen. Aber dieser Kollege war nett. Er wollte etwas über Weihnachten, Stimmung und Engelshaar schreiben.
Er schaute sich in meiner Wohnung um. Atmete drei Mal tief durch. Und konnte nicht glauben was er da sah. In seinen Augen blinkte das wahre Entsetzen: WIE KANN EINER DAS GANZE JAHR NEBEN DEM WEIHNACHTSBAUM SCHLAFEN?
Zum Schluss überraschte er mich mit der Frage. «Hast du noch einen Wunsch offen?»
Ja klar? habe ich. ABER ES IST NICHT JEDERMANNS SACHE AM ANDERN TAG IN DEN ZEITUNGEN LESEN ZU MÜSSEN: ER WÜNSCHT SICH NUR NOCH ZWEI DINGE? EINE ROLEX UND EINE NACHT MIT CLOONEY!
Und da habe ich eben die Sache vom Wachsjesuskind gesagt: «Das Einzige, was mir noch fehlt, ist ein Wachsjesuskind.»
EIN WACHSJESUSKIND?
«Ja klar? früher haben sie in Neapel Krippenfiguren aus Wachs gemacht. Auch das Jesuskind. Wir hatten so eines...» Immer an Weihnachten drapierte Mutter das rosige Baby auf ein Kissen aus rotem Samt. Sie büschelte Engelshaar über die etwas lädierten Stellen. Und besprayte das nach Schimmel und Estrich miefende heilige Kind mit ihrem kölnischen Allesretter aus dem Hause 4711.
Als Kind fährt dir so etwas total ein. Erst später kapierst du, dass dir deine Mutter da etwas vorgaukeln wollte? denn wo sollte Maria in Bethlehem für ihren Kleinen so ein Samtkissen hergenommen haben? Wir alle wissen, dass sie auf dem Esel nicht mal einen Sattel hatte. ABER SAMT IM STALL? Eher unrealistisch.
Ich schmücke also die Interview-Antwort aus: «Als geschundenes Kind lässt man sich gerne solche Dinge vorgaukeln. Die Märchenwelten lenken von allen traurigen Sachen einer kleinen Bubenwelt ab und...»
«HATTEST DU EINE TRAURIGE KINDHEIT?»
Nun, die war nicht trauriger als ein Journalistenleben in der Jetztzeit. Deshalb: «Nein. Hatte ich nicht. Aber es war etwas hektisch. Auch in meiner Fühlwelt. Und da waren solche Dinge wie ein Wachsjesuskind unter dem Baum eben ein sicherer Wert.»
Der Journalistenkollege schaute nun ähnlich ratlos wie in jenem Moment, als er unter meinem Weihnachtsbaum eine phallische Kerze entdecken musste. Ein Gast hatte mir den Gräuel mit den Worten «nur ein Gag» mitgebracht. Und dann anzüglich gegrinst: «Macht nicht so dick wie Pralinen!»
«Und wo ist denn das Wachsweihnachtskind deiner Jugendzeit?»
Sollte ich ihm jetzt wirklich diese schreckliche Geschichte von Tante Lucies Dobermann erzählen? Ich habe eh nie begriffen, weshalb sich meine kleine, zierliche Tante, die Spinnen, Regenwürmer und Männer wie den Teufel fürchtete, ausgerechnet so ein Riesenkalb als Lebensgefährten halten musste. Aber vielleicht machte so ein Dobermann weniger Scherereien als ein Ehemann. Jedenfalls habe ich als Kleinstkind schon mitbekommen, wie meine Mutter Lucies «Tobi» neidvoll als Gattenersatz betrachtete und zu ihrer Cousine seufzte: «Du hasts gut? jeden Tag einen Topf Hundefutter und dann ist Ruhe!»
ICH MEINE, SOLCHE SACHEN PRÄGEN EIN KIND. Und ich stellte mir meinen lieben Trämler-Vater am Hundenapf vor.
Aber zurück zu «Tobimann» (wie Lucie den Riesenschlitten nannte). Als sie ihn zum ersten Weihnachtsessen mitbrachte, wedelte er animiert die untern Reihen am Christbaum kahl. Ich meine: Omas schönste Kugeln waren nur noch Staub und Bruch. Und bevor Lucie eingreifen konnte (das Hundekalb hatte eh die Kräfte von zwei ausgewachsenen Bullen? das zarte Tantchen hätte genauso gut einen Elefanten durch die Rushhour boxen können. O. k. Das ist ein falsches Bild. Ich meine ja nur: DIE KRÄFTE WAREN UNGERECHT VERTEILT (UND DIES EINDEUTIG ZUGUNSTEN VON TOBI)? bevor sich also Lucie dem Hundechaos entgegenstemmte, hatte das Tier plötzlich Schaum vor dem Mund.
«Er ist tollwütig», knurrte die Kembserweg-Omi. «Holt sofort das grosse Fleischmesser!» Aber dann entdeckte meine Mutter das kleine Bein vom Jesuskind in der Hundeschnauze: «MEIN WACHSJESUS!», schrie sie. «ER FRISST MEINEN WACHSJESUS!»
Tobimann schäumte noch einmal kurz auf. Und dann war das Wachskind Geschichte.
«Seither habe ich unter dem Baum nie mehr ein Wachsjesuskind gehabt. Und deshalb ist es neben Clooney George mein einziger Weihnachtswunsch.»
«Aha», nickte der Schreiber-Kollege. «Aha.»
Und am andern Tag stand in Grossbuchstaben auf der Titelseite des Lokalblatts: «ER WÜNSCHT SICH NICHTS SEHNLICHER ALS EIN WACHSJESUSKIND».
Es ist unglaublich, wie viele Menschen irgendwo auf dem Estrich so einen Wachsjesus herumliegen haben. Ich wurde mit E-Mails sowie Telefonaten bombardiert. Und die Paketpost legte Extraschichten ein.
Innocent schäumte auch: «WAS SOLL DIESER QUATSCH MIT DEM WACHSWEIHNACHTSKIND?»
«Wenn ich schon nie eine Rolex bekomme», maulte ich.
Ach so? Rolex war übrigens keine im Angebot.
Und falls bei Ihnen irgendwo George Clooney auf dem Estrich herumliegt? Sie haben ja meine Nummer...
Von Weihnachtswünschen und einem Interview
Sonntag, 16. Dezember 2012