Von verlogenen Verlegern und Schokomousse

Immer wenn ich zu viel von der Schokomousse reingelöffelt habe (und zu viel sind vier, fünf Portiönchen, die mit der Suppenkelle geschöpft wurden)? also, wenn mir der Magen übersäuert und die Glieder plötzlich so schwer werden wie drei Panzerwagen: DANN PENNE ICH MIES.
UND TRÄUME SCHWER.
So geschehen gestern.
Ich träumte, Herr Wanner, der Verleger eines aargauischen Allzweckblatts, würde lügen und falsche Zahlen ­herumerzählen. Der Bundesrat hat ihn dafür belobigt. Und auch sofort in sein Gremium für Presseangelegenheiten gewählt.
Als ich Innocent beim Frühstück davon erzählte, gähnte der nur? und stopfte sich mit gebutterten Laugengipfeln voll. «Das war kein mieser Film. Das sind miese Tatsachen. Dein Albtraum hockt ja auch im Verwaltungsrat des Wemfs? UND WEGEN SOLCHER VERLOGENER VERLEGER GLAUBT IN DIESEM LANDE KEIN MENSCH MEHR ETWAS, WENNS AUS DER WINDRICHTUNG DER MEDIEN KOMMT.»
Also? das Wemf ist dieser menschliche Götter-Apparat, der Zeitungsauflagen kontrolliert. Auch diejenigen meines Albtraum-Verlegers. Und dieser Ver­leger ist also im Verwaltungsrat einer Institution, die über Zeitungsauflagen berichten muss? SCHNALLT IHR ETWAS?! KOTZKOTZ!
Dieselben Zeitungen schreien sich die Hälse über Verfilzung in der Grosswirtschaft heiser. JA HALLO? WER BEKOMMT DA NICHT DEN GROSSAUSWURF?!
«Der Mann ist eigentlich ein armes Schwein», relativiert nun Innocent. «Seit einem halben Jahr schiebt er uns täglich drei seiner Zeitungen gratis in den Briefkasten, und dies obwohl wir dem Abonnentendienst schon sechs Mal telefoniert haben, sie sollen das gefälligst unterlassen. Ich muss den Mist ja noch entsorgen. Und dieser Mist ist nicht dreckfrei?»
«Weshalb ist er deswegen ein armes Schwein?»
«Weil sie weiterhin unbeirrt sein Geld in meinen Briefkasten stopfen. Und dennoch alles nichts bringt. Apropos: Könntest du mal frische Butter auf den Tisch bringen?!»
Eigentlich sollte Innocent ja keine Butter essen. Turmhohe Cholesterinwerte, pfeifendes Keuchen beim Schuhbändelbinden und ein geplatztes Hosengesäss sind nur drei der schrecklichen ­Symptome vor dem Zusammenbruch. Deshalb: «Tauch den Gipfel in die Ovo. Dann sag mir, wie man Medien anständiger macht?!»
Innocent schlürft unwillig den matsch­weichen, viola-bräunlichen Laugen­zipfel rein: «Isch weisch nischd?»
BITTE WIE?
Er schluckt. Dann. «Ich weiss nicht, ob ein anständiger Ton in den Medien überhaupt noch gefragt ist. Die Jungen wollen den Dreck? mit diesem Spruch hat sich doch dieser Berner Rockgrufti mit den schütteren langen Haaren bei den Teenies angeschleimt: «MEHR DRECK!»
Also danke. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein fünfjähriger Grossneffe Hans-Georg (einfach «Bubi» gerufen) Dreck will. Bubi ist ein äusserst ­sensibles Kind. Er fängt beim kleinsten Konfitürenklacks auf seinem weissen Hemdchen zu weinen an. Und will auch seine Fingernägelchen lackiert haben. Kurz? er kommt nach dem Grossonkel und dessen Familie: «Die aber hat nie im Dreck gewühlt!»
«Ach ja?», schaut Innocent nun von der Ovotasse auf. Im violetten Gebräu schwimmen durchweicht abgebrochene Gipfel in Fetzen. «Ach ja? Und dein lieber Vater, der schöne Hans? hat der sich in seinen politischen Propagandareden immer an die Wahrheit gehalten? Wie viele Zahlen musste er schönfärben, damit er für sein Tram­personal höhere Löhne und neues Rollmaterial bekam. Seine Wahrheit war auch nicht über jeden Zweifel erhaben.»
«MEIN VATER SASS ABER NICHT IM VERWALTUNGSRAT DER VERKEHRSBETRIEBE. SONDERN NUR ALS DEREN WAGENFÜHRER UND BEAMTER IM GROSSEN RAT!»
«Eben»? grinste Innocent, «und was ist der grosse Rat anderes als eine Ansammlung von Staats­beamten. DAS IST DOCH DIE GRÖSSTE LÜGE!»
Nun werde ich etwas spitz: «Welche Lüge?»
«? zu glauben, dass wir in diesem Staat noch etwas zu sagen hätten. Regierungsräte kommen. Regierungsräte gehen. ABER IHRE STAATSANGESTELLTEN BLEIBEN IM GROSSEN RAT HOCKEN. UND GENIESSEN DIE MACHT. Da hat das Volk schon längst nichts mehr zu pfeifen. Es sei denn, es gehört der grün-roten Partei an und hilft, die Propagandazettel in die Briefkasten zu stecken?»
Innocent betrachtet mich nun sehr ­kritisch: «Mir scheint, da ist jemand mit dem falschen Fuss aufgestanden? Oder haben wir Vollmondphase? Wie kommst du überhaupt dazu, über Politik zu reden? die interessiert dich doch sonst einen feuchten Dreck?»
Ich schweige schuldbewusst. Stimmt. Politik kanns mir nicht. Da wurde ich als Kind geschädigt? dieses ewige Gebrüll am Tisch, während ich nach der Schoggimousse gierte.
(«Könnte ich noch einmal von der Mousse?»
«SCHWEIG. SIEHST DU NICHT, DASS HIER ERWACHSENE DISKUTIEREN!»)
Unter so etwas leidet eine Kinderseele. Und es ist niemand da, der den Schaden später aufarbeitet. Oder ihn finanziell ausgleicht und sich entschuldigt, wie bei diesen schlecht behandelten ­Internats- oder Waisenkindern.
Innocent lacht plötzlich laut auf. Er wedelt mit der Zeitung. «Da schreibt ein junger Sozi, er habe auf den besten Tag der Thatcher ein Bier getrunken.DAS IST WIRKLICH EIN BRÜLLER!»
Ehrlich? ich finde das nicht lustig: «Man witzelt nicht über den Tod der andern? auch nicht über den seiner Feinde.»
Nun schlägt Innocent die Faust auf den Tisch, sodass die Ovo überschwabbt: «Dir hats doch ins Gehirn geschissen. So ein junger Mensch wird doch wohl auch mal einen politischen Witz reissen dürfen und?»
ENDE DER DISKUSSION.
ICH GEHE DIE HÜHNER FÜTTERN.
Und Schokomousse ist einfach nichts auf die Nacht.

Dienstag, 23. April 2013