Innocent ist ganz dicke mit Fatima. Sie ist die Mutter von Murat, der uns in Istanbul wohnen lässt. Tag und Nacht hocken Fatima und Innocent in der Küche und bräteln sich durch das türkische Grauen. Gestern bekam ich Hammelnierchen an Rosinen serviert. Für heute haben sie mir einen Ziegenkopf im Tontöpfchen versprochen.
Innocents heisse Sympathie zu Fatima hat mit dem coolen Liebesentzug von Clooney George begonnen. Clooneys Rübe fehlt in Istanbul an allen Ecken. Kein Maschinchen weit und breit, das dir Dampf macht? kein verkapselter Espresso mit Georges Lächeln. Nein. Tee im Glas sowie Wasserpfeifen fürs Gemüt!
Als unser lieber Freund am zweiten clooneylosen Frühstück den Gaul raushängte, kam Fatima, weil sie die Rosen auf dem Balkon giessen müsse. Die Rosen waren reiner Vorwand. Die Alte wollte einfach kontrollieren, ob die beiden heidnischen Zwerge aus dem Bergenland die Wohnung ihres Götterjungen nicht zu Kleinholz geritten hatten.
Nun? es entspann sich ein nettes Gespräch, wobei Innocent das Lob auf die Gasküche und deren flammende Vorteile blies.
DAS WAR DER ANFANG.
Er bedauerte dann, dass man hier die Clooney-Maschinerie aus dem Schweizer Hause Nestlé nicht kenne, und schon war Fatima verschwunden, um eine Minute später mit einem Stilpfännchen und einem gelbbraunen Packen aufzutauchen: «Mehmet Efendi better than Clooney!», behauptete sie. Und wir waren schon überglücklich, als neben dem süsslichen Moschus in und um ihre schwarzen Tücher plötzlich ein Windlein von gemahlenem Kaffee wehte...
Fatima öffnete den Packen auf dem ein kaffeetrinkendes Männchen gezeichnet ist: MEHMET.
Nun muss man sagen, dass die Zubereitung von Mehmets Türkischem wesentlich schwieriger ist als der Maschinenknopfdruck bei George. Kommt dazu, dass Fatima aus den paar Tröpfchen türkischem Mokka eine russische Oper macht. Akt für Akt bringt sie Innocent die Kaffee-Symphonie der Krummsäbel bei: Pro Kopf kommt ein Tässchen Wasser ins Stilpfännchen.
ABER NUR EISKALTES WASSER BITTE!
Am besten seis direkt von der Quelle. Zur Not gehe es auch vom Hahnen. Schliesslich löffelt Fatima pro Kopf mindestens einen Teelöffel vom gemahlenen Mehmet ins Pfännchen. Gibt noch einen, zwei, drei drauf! Und rührt das Ganze mit zwei Hölzchen. Auf kleinster Flamme wird alles erhitzt, bis die Sache schäumt.
Also wenn Ihr mich fragt: Die Sache schmeckt wie geröstetes Kreidenmehl. Jedenfalls bleibt stets so ein verbröselter Rest Kaffeesatz im Mund zurück. DA IST MIR DER GEORGE AUF MEINER ZUNGE LIEBER!
Aber natürlich ist Innocent ganz weg von Fatima und deren Kaffeekochkunst. Als Dank lädt er sie zum Fischessen auf die Galatabrücke ein. Seit diese nämlich vor etwa fünfzehn Jahren saniert worden ist, hat man die untere Fahrbahn der einst zweistöckigen Konstruktion zur Touristenmeile ausgebaut: Fischbeizen noch und noch. Japaner, Chinesen, Amerikaner? alle hocken sich hier am Fish-Dish-Tisch, um dann von den Kellnern einen tiefgekühlten Turbot («garantiert fangfrisch aus dem Marmara-Meer») sündhaft teuer angedreht zu bekommen.
Der Oberkellner lässt einen Wagen mit der Ausbeute vom Tag anfahren? Fatima scheucht den Fischberg wie einen Schwarm lästiger Fliegen weg. Und bestellt Sardinen. Da sei man wenigstens sicher, dass die nicht auch aus China tiefgekühlt importiert worden seien. BINGO? WENN ICH EINER FRITTIERTEN SARDINE IN DIE VERBLICHENEN AUGEN SEHE, ÜBERKOMMT MICH DAS HEULENDE ELEND! Zugegeben, der Ort hier ist romantisch: Du hockst fussnah am Wasser. Vom oberen Stock der Brücke fallen Hunderte von Angelschnüren handbreit vor dir ins Wasser. Hin und wieder zieht einer die Schnur mit einem zappelnden Winzigfisch daran hoch. Und du kannst nur hoffen, dass die Sardine, die du hier isst, ebenfalls aus China eingeflogen wurde und nicht aus dieser grautrüben Brühe gefischt wurde.
Am Nachbarstisch wird ein Riesenfisch mit einer explodierenden Geburtstagskerze serviert. Die ganze Reisegruppe singt: «ZUM GEBUUURTSAG VIIIIEL GLÜCK...» Ein blondes Busenpaket winkt geziert ab: «Aach nai, Kalle... wie konntscht du auch rumsaage, dass y Geburtsag habb...»
Als ich vor 40 Jahren mit meiner Mutter da war, gabs auf der Galata keine Beizen. Nur am Brückenende eine Teebaracke, wo man die Wasserpfeife rauchen konnte.
Mutter und ich sassen auf zwei wackligen Stühlen. Und saugten wild an einer Nargile mit Rosentabak. Plötzlich aber bekam die liebe Mutter einen Lachanfall. Sie gackerte wie ein glückliches Huhn: «Die Minarette tanzen», hickste sie. Und wischte sich die Tränen aus den Augen. Tatsächlich kam das Festland langsam auf uns zugeschwebt. Die kleinen Fischerboote wurden zu fliegenden Drachen. «Genug!», knurrte der Tee-Beizer. Und zog uns beiden die Nargile weg. Der Rosentabak war mit Haschisch durchzogen gewesen. Und Mutter war nur Brunette Filter gewohnt...
«Ja? Istanbul hat sich verändert», lächelt Fatima nun, «nicht alles zum Guten. Aber auch nicht nur zum Schlechten.» In diesem Moment servierten die Kellner silberne Tässchen auf dem Tablett.
Fatima schaute den Kaffee entsetzt an? doch der Beizer zuckte die Schultern: «Nespresso... alle Touristen verlangen Nespresso!» Da sprach ich alle Reisegruppen und George Clooney heilig!
Von türkischem Kaffee und Mamma mit Hasch
Sonntag, 28. Oktober 2012