Von telefonischen Umfragen und «Sie haben gewonnen!»...

Donnerstag Immer schellt das Telefon. Und immer will irgend mal einer deine Meinung.
AUFGEMERKT? WIR WAREN NOCH NIE SO GEFRAGT WIE HEUTE!
Denn jeder fragt.
Etwa zum Thema: «Trinken Sie zum Frühstück Milch? Oder Magermilch? Oder Ganzmagermilch?»
Und wenn Ganzmagermilch? WESHALB GANZMAGERMILCH? Und keine Magermilch?
Eigentlich trinke ich Kaffee schwarz. Das ist aber nicht der Punkt. DER PUNKT IST, DASS ICH HÖRNLI IN DER PFANNE HABE UND DIE ZU EINER PASTA-RÖSCHTI PRÄGLE.
Deshalb (mit diesem gereizten Unterton, den Tagesschausprecherinnen an sich haben, wenn sie über die SVP berichten müssen): «Ich bin am Kochen... können Sie Ihre dämliche Umfrage nicht zu einer anderen Zeit machen?»
Die nächste Frage kommt wie aus der Pistole abgedrückt: «KOCHEN SIE MIT MAGERMILCH? ODER MIT GANZMAGERMILCH?»
Da bin ich so sauer, wie die Ganzmagermilch. Und lege auf.
ABER ICH LEGE NICHT LANGE. DENN ES SCHELLT SCHON WIEDER:
«Liebe, liebe Frau -minu? ganz herzlichen Glückwunsch!»
Na danke. Glückwünsche verunsichern einen krass. Besonders zu diesen unglücklichen Zeiten.
«Ich bin nicht Frau -minu...»
«Oh? sind Sie die Haushälterin?»
«Nein. Ich bin der Freund des Hauses...»
STILLE.
Dann «Aha? ja lieber Herr Freund, hier ist die wuppertalische Lotto-Zentrale. SIE HABEN GEWONNEN!»
Da mir bereits vor drei Tagen die norddeutsche Glücksspirale, vor einer Woche das Bieler Fliegenpilz-Casino und eben erst gestern noch die Lotto-Gemeinschaft «Ali Sex» übers Telefon zu meinem frischerzockten Reichtum gratuliert haben, bin ich da doch etwas skeptisch.
«Ich habe Hörnli auf dem Herd.»
Die Stimme aus Wuppertal lacht hysterisch auf. «Ach Gottchen? Sie sind mir vielleicht noch ein Spassvögelchen, Herr Freund. HÖRNLI AUF DEM HERD? haha! Wo Sie sich doch ab sofort drei Privatköche und einen 5-Sterne-Service mit heimischem Dialekt erlauben können. HÖRNLI AUF DEM HERD? haha. Zu köstlich?! Sind Sie noch dran, lieber Herr Freund?»
NEIN. WAR ICH NICHT.
Ich hielt den Atem an. Stellte mich tot. Und schickte die Glückssträhne aus Wuppertal einen Telefonanruf weiter.
Ich kam noch nicht in die Küche, als Herr Amadeus Bröcklein mich bereits wieder an den Apparat im Flur zurückschellte...
«Hallo, lieber Herr -minu? Sie erinnern sich?»
OH GOTT. UND OB!
Diese süssliche Stimme mit dem Brechreizeffekt einer sirupgetränkten Zuckerwatte vergisst keiner ungestraft. Irgend eine meiner lieben Freundinnen hat mir Amadeus Bröcklein eingebrockt:
«Er beliefert auch das Königshaus mit seinen Tischtüchern. Da habe ich gedacht, DU bist die richtige Adresse für ihn...»
Schon betete mir Herr Bröcklein alle Namen des deutschen Adels herunter, für die er schon Tischtücher geschneidert und Servietten bestickt hatte. Natürlich war ich geschmeichelt, dass dieser blaublütig schneidernde Bröcklein nun auch auf das bescheidene Haus einer Trämlerstochter gefallen war (obwohl? UND DAS MUSS AUCH EINMAL GESAGT WERDEN? die Begum ja auch eine Trämlerstochter und die Thatcher sogar aus einem Krämer-Haushalt stammte)? ich hatte also wieder mal den Schub des Grössenwahns und wollte weder meiner Freundin Elisabeth von den Buckinghams noch der verstorbenen Monacassin Grace («Che seraaa, seraaa...») nachstehen.
KURZ? ICH BESTELLTE DAS GANZE SORTIMENT. Und zahle heute noch ab...
Herr Bröcklein zwitschert also im Tonfall eines durchgelutschten Bonbonregens: «Darf ich wieder mal hereinschauen, lieber Herr -minu? wir haben neue Damastfarben: Das lichte Gelb des gefrorenen Eiercognacs. Und die liebliche Bläue der Augen von Husky-Hunden. Mögen Sie Husky-Hunde, Herr -minu?»
«NEIN!», gebe ich gereizt zurück. «Ich bin der Hängebauchsau-Typ. Überdies essen wir unsere Fischfritten nur noch vom Kartonteller. Der Tipp kommt vom Königshaus in Schweden...»
Diesmal hat Herr Bröcklein zuerst aufgehängt.
Die Kulturredaktorin dieser wunderbaren Zeitschrift «heute ich? morgen du» gab die Zeitangabe gleich ganz klar durch: «Ich brauche nur fünf Minuten für ein Kurzinterview zum Thema: «SO LEBE ICH KULT». «Also: welches Buch lesen Sie in diesem Moment? Welchen Film schauen Sie sich heute Abend an? Welches Konzert besuchen Sie morgen? Welche Ausstellung haben Sie...»
Ich wollte eben etwas vom Bullen von Tölz sagen, als fette, schwarze Schwaden um die Ecke zogen. ES WAREN DIE DUNKLEN VORBOTEN EINER TOTAL VERKOHLTEN HÖRNLI-RÖSCHTI. Ein Feuerhorn penetrierte hysterisch die plötzliche Stille.
Zehn Minuten später schellte das Telefon erneut: «Löscherli? von Ihrer Feuerversicherung, lieber
Mann!»

Donnerstag, 5. Februar 2009