Von Tamilen in Rom und Schilf-Heuschrecken

Als ich Arun zum ersten Mal sah, machte er den Frosch. Er sass im Yogsasitz auf dem Asphalt der römischen Piazza San Silvestro.
Um ihn herum kurvten hysterisch hupende Taxis. Blaulichter rotierten wie sitzen gebliebene Helikopter mit ihrem Gleisslicht wild in die Atmosphäre und als die Carabinieri vorfuhren, dachte ich schon: «DER ARME MANN? JETZT ISTS AUS!» Doch die Ledergestiefelten zeigten dem Tamilen im Yogasitz nur den Stinkefinger und jagten mit hundert Sachen einer zitronengelben Falschblondine nach. Die Vespa der Tusse war noch höher frisiert als ihr Farah­-Diba-­Look? und ich kann mir vorstellen, dass die Carabinieri da nicht nur den Zeigefinger entgegenstreckten! Nun ja. Rom eben.
Arun schaute nicht rechts. Nicht links. Nur auf seine Frösche, die er zur Welt brachte. Und auf mich, der sich nun neben die Frischgeburten setzte. Und fragte: ob ers auch mit Heuschrecken könne.
Der Kopf des jungen Mannes guckte kurz hoch. Und lächelte: «Fünf Euro.» «Über den Preis reden wir später. Ich möchte einfach nur wissen, ob Sie auch Heuschrecken machen... Can you do also these animals which are hüpfing in the grass?»
«Fünf Euro!» Aruns Schwester mischte sich nun ein: «Wollen lustig Frosch?» Ich schüttelte den Kopf. Mir schwante ein Schwarm von Heuschrecken als Tischdekoration vor. Da war nämlich die Hochzeit von meinem Göttibuben. Wir erwarteten 75 Gäste auf der Insel. Und diese wiederum erwarteten ein Riesenfest. Das wäre alles kein Problem gewesen, wenn Innocent nicht eine klare Richtlinie mit «3.50 pro Kopf» vorgegeben hätte. DAFÜR BEKOMME ICH NICHT EINMAL DREI WEISSE ZUCKERMANDELN! «Es gibt keine Tischgarnitur für diesen Preis!»? jaulte ich ins Sture. Warf mich heulend zu Innocents Füssen. Küsste seine Sandalen. Und donnerte mit den Fäusten auf den verdreckten Boden ein.
UND DA HABE ICH DANN EBEN DIESEN HOCKENDEN TAMILEN MIT SEINEN SCHILFBLATT­FRÖSCHEN GESEHEN. MIT GRASHÜPFERN WÄRE DAS GESCHÄFT PERFEKT GEWESEN. DENN KÄTHI, DIE GATTIN DES BRÄUTIGAMS, SPIELTE IM FRAUENHOCKEY­TEAM DER GRASSHOPPERS. «Können Sie auch Grasshoppers for one Euro fifty?» «Drei Euro»? tönte es da. Und schon bastelte mir Arun so eine Heuschrecke aus grünem Schilf. Der Mann kapierte besser, als wir dachten. Und «due tschinquanta» war mir das heuschre­ ckige Tier wert. Seine Schwester redete nun wie ein Wasserfall auf den Künstler ein. Als sie kapierte, dass ich gar 75 von den Schilfblatttierchen haben wollte, durchfuhr sie eine freudig­heuschreckige Panik. Sie trommelte auf die Brust des Bruders ein, schrie seltsame Worte, die wie das Angebot einer chinesischen Menükarte tönten? UND ENDLICH NICKTE ARUN MIR ZU: «Va bene.» Arun sprach perfekt Italienisch. Er lebte schon drei Jahre hier. Und hörte sich jeden Tag das Lied der Passanten vom «Scheissausländer!» und «... nehmen unsere Arbeitsplätze weg!» an. Er schützte sich, indem er vorgab, nichts zu verstehen: «So geben die Leute Ruhe und lassen sich nicht auf eine Diskussion ein? und ich habe die Illusion, sie würden es gar nicht so böse meinen.»
Arun machte mir wirklich traumschöne Tierchen, die ich auf die Tische verteilte. Dazu weisse Zuckermandeln. Und Wiesenmohn (der allerdings bald schon abschlaffte).
ABER: WIR WAREN IM BUDGET. Und Innocent konnte sich nur noch über das Feuerwerk aufregen, das ich von der Nachbarinsel gen Himmel steigen liess.
Nach der Hochzeit wollte ich Arun wieder bei der Piazza San Silvestro aufsuchen. Aber vom Tamilen keine Spur.
Die Barfrau vom «Gran Caffè» gab mir dann den Tipp mit der Via Veneto: Harun war aufgestiegen. Und verkaufte in der Nobelstrasse kleine Körbchen mit farbfrohen Rosenkompositionen.
«Acht Euro», sagte er, als ich da aufkreuzte. Schaute wie immer nur kurz hoch. Und korrigierte sofort: «5.50? wenn Sie 75 Stück kaufen!» Haruns rosige Kompositionen machten Furore. Bald schon zog er in eine kleine Garage. Tünchte diese weiss. Und machte ein blumiges Geschäft daraus. Dort bestellte ich den Brautschmuck für die Tochter unseres Portiere Franco. Der rümpfte die Nase: «Weshalb bei einem Ausländer? Die nehmen uns die Arbeit weg...»
«Sie putzen Euch den Dreck für null und kein Geld!», gab ich ihm bissig Saures. «Alle diese hochnäsigen Contesse und Konsuln in unserm Palazzo halten sich Domestiken aus Manila oder Sri Lanka. Die krampfen ohne soziale Versicherungen und alles schwarz? ZUM KOTZEN! Und wenn ihr Butler aus Mombasa am Tisch mit weissen Handschuhen serviert, reden sie ungeniert von den Ausländern, die ihr liebes, altes Rom verändern würden... NOCHMALS ZUM KOTZEN!» «Ebbe», sagte Franco. Und dann nichts mehr. Heute ist Arun Besitzer des schönsten Blumengeschäfts von Rom. Politiker, Filmstars, ja gar der Vatikan bestellen seine Kompositionen.
In seinem riesigen Geschäft sitzt er wie früher im Yogastil vor den Blumenkörben. «Ich habe immer nur gearbeitet und nie zugehört, wenn die Leute geredet haben...», hat er kürzlich auf Canale 5 erklärt. Er schaut auch heute nicht hoch, wenn jemand nach einem Blumenkorb fragt. Man hört nur sein «250 Euro». Und dann: «200? wenn sie 75 nehmen!» Die Preise haben sich geändert. Er nicht.

Sonntag, 25. November 2012