Von Schneeflocken in Istanbul und kalten Heizkörpern

Na ja, vielleicht wars nicht die beste Idee.
Aber ich wollte schon immer mal wissen, wie sie die klebrigen Knusperdinger aus dem Ofen zaubern.
UND ISTANBUL IST STETS EINE REISE WERT? ich meine all diese Minarette, wo hier mal keiner etwas dagegen hustet. Und die schönen Moscheen davor. Ganz abgesehen von den Turkish Delights...
UND WENN ICH FÜR EINMAL GANZ EHRLICH BIN: UM DIE GING ES MIR BESONDERS!
Falsch war dann das Datum. Istanbul? da denkt doch jeder: Du schwitzt, hasst das Sonnenflimmern vor den Augen und das einzig Coole ist ein Hammam.
ABER HALLO? NICHT IM MÄRZ!
Das Wetter ist da ein kleineres Kataströphchen? UND DIE ZIMMERHEIZUNGEN DIE GROSSE!
Na also? vielleicht schnallt ihr mal die Ganglien an unsere liebe Fasnacht zurück. WAS FÜR EIN WETTER! Und alles im frohen Lokalsound: Der Petrus ist ein Basler!
EIN TÜRKE IST ER JEDENFALLS NICHT!
Das wurde spätestens klar, als ich am Donnerstag nach dem letzten Zapfenstreich noch immer sonnenerwärmt und frühjahrsvorfreudig in einem T-Shirt, auf dem ein Smiley erwartungsfroh grinst, als ich da also von der textilen Seite her betrachtet sommerlich heiss bestückt aus dieser Charterkiste stieg und mir als Erstes Schneeflocken, GROSS WIE PFANNKUCHEN, um die Ohren fetzten.
JA BINGO! Als erstes rutschte ich auf der total vereisten Flugzeugtreppe aus. Ratterte wie die Roulettekugel vor ihrem finalen Zahlenloch die Turkish-Airlines-Stufen runter. Und? RIENS NE VA PLUS!? da war dann nicht nur die berühmte Moschee blau. Mein Steissbein dito.
«Welcome in Istanbul!», sagte Herr Muhamed.
Er trug ein weisses Plakat, auf dem «MR. MINI» stand.
Als sich niemand sonst als Mister Mini bei ihm vorstellte, war einigermassen klar, dass der Herr mit dem blauen Steissbein gemeint sein musste.
Wie der Muezzin auf dem Turm jammerte mir Muhamed vor, dass er so etwas noch gar nie erlebt habe: Istanbul im Schnee? und ich im kurzärmligen Smiley!
Irgendwie ist ja alles ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich meine: In Kairo hat mir Ahmed an der Brust geheult, als er seine Bude nicht auf zwölf Grad raufheizen konnte und an seinen Badezimmerscheiben Eisblumen blühten: «Ich kann dir versichern? in Kairo ist es sonst nie eisig!»
In Rom hat es vor zwei Monaten meine Heizungsrohre zerknallt und die Freunde, die in meiner Wohnung übernachteten, mussten sich morgens mit dem Föhn aus dem Bett loseisen.
HIERZU DOZIEREN DANN DIE WEISEN KLIMAFORSCHER, DASS SICH DIE ERDE KONSTANT ERWÄRMT, UND DIES NUR, WEIL ICH ZU VIEL RAUCHE! Die Erwärmung sei weltumgreifend und mit einem Durchschnittswert von einem Grad pro fünf Jahre die absolute Katastrophe. Wovon aber nie die Rede ist, sind diese Zwischenperioden, die heute all das wahr machen, was wir jahrelang mit «wisst ihr noch, als der Winter ein richtiger Winter war» bejammert haben. Ich meine: Schneeschaufeln in Adelboden... Eistanzen auf dem Lago Maggiore... Frostbeulen in Florenz. ABER DU ERWARTEST DOCH DIESEN WINTER NICHT IN ISTANBUL! Und jetzt könnt ihr euch mal die 40-Kilometer-Fahrt von diesem Flughafen, den sie nach der ersten emanzipierten Frau in dieser Gegend genannt haben, vorstellen. Natürlich konnte die Karre nicht geheizt werden. Nur die Klimaanlage brachte es auf den Gefrierpunkt.
Das dann immerhin. Mein Smiley-T-Shirt war das Einzige, das lachte!
Der Weg war lang, aber ich mache es kurz: Am andern Morgen kamen wir dann auch an. Es war mein Gemüsehändler Ogün, der mir die Adresse gab: «Ist Haus von Freund... hat Wohnung... kannst du mieten...» So reif Ogüns Tomaten auch immer sind, so unreif war meine Entscheidung.
Natürlich sah ich mich bereits in einem türkischen Harem haushalten? aber als ich dann dem «MISTER MINI»-Driver die Adresse in die Hand drückte, wurde der bleich und suchte gleich mal den Revolver. Er murmelte etwas, das wie: «össüdüdüüü... dülledü» tönte. Und nach einer Weile kapierte ich, dass es in etwa «alle zehn Minuten ein Killermord» hiess.
Es tagte also grau, als wir über die Galatabrücke schlitterten. Immer dunkler wurden die Gässchen, in denen sich Joghurthändler und Parkplatzwächter an offenen Feuerstellen die klammen Finger aufheizten. Und dann endlich hielt Muhamed vor einem Berg, der dieser Sprungschanze ähnelt, über die unser Simi in seinen besten Zeiten dem Sieg entgegensegelte.
«Dort ist unten...», zeigte der Fahrer auf ein kleines Haus, das mitten im Hang etwas schief stand. Und: «Nix geht mit Auto... mussen mit Fuss...»
Worauf ich beim grössten Schneegestöber die Karre verliess, mich auf den Computerkoffer setzte und als erster Schweizerbob in Istanbul die Firini Sokak runterjagte? so heisst das Gässchen nämlich.
Die Wohnung war dann wirklich allerliebst. Erfreut schaute ich auf die vielen Heizkörper. Aber wie ich auch drauftrommelte und Allah beschwor? sie blieben eisern eisig wie Frau Merkel, wenns um ihren Euro geht. Bald schon stand ich mit den Joghurthändlern und Parkplatzwächtern am Feuer.
Und schmauchte mir eins. Sie lächelten mir gutmütig zu und wir unterhielten uns in Basler Dialekt und Neutürkisch. Keiner hat den andern verstanden.
Aber der Kampf um die Kälte vereinte uns.
Als dann Mehmed, der in einer Garage Schuhe repariert, mich in sein Haus einlud, weil seine Frauen einen Baklava-Tag auf dem Programm hatten, da sagte ich freudig zu. IMMERHIN? DEREN OFEN FUNKTIONIERTE. Und ganz langsam taute auch mein Smiley wieder auf.

Samstag, 14. April 2012