Von sauren Aprikosen und türkischen Männercafés

Seltsam. Die Aprikosen bei meinem Türken an der Ecke schmecken immer zuckersüss. WIE HONIG.
Ganz anders als die vom Supermarkt. Die sehen dort zwar schön aus. Sind aber einfach nur ein Schluck Wasser mit Stein.
Wenn ich den netten Türken frage, wo er die Früchte herhabe, strahlt er mich an: «Ist schön Wetter in Basel... ist gutes Stadt!»
Er sagt das immer, wenn jemand ihn etwas fragt.
Ich vermute, dass irgendein soziales Amt für Migration ihm diesen Satz in seinen Schädel gehämmert hat. Aber er ist gut drauf. Also vergesse ich die Aprikosenherkunft. Und geniesse die Süsse des Augenblicks.
UND DANN DIE ENTTÄUSCHUNG!
Vor meiner Wohnung in Istanbul karrt Mehmed seine Fruchtauswahl aufs Pflaster. AUF DER KARRE IST ALLES DRAUF, WAS STIEL HAT: Pfirsiche, Orangen und Zitronen. Auch Aprikosen.
APRIKOSEN! Sie erinnern mich an den Basler Türken.
Denn sie sehen genauso hässlich aus wie seine. Aber ich weiss: Man soll die Frucht nie nach ihrem Äussern beurteilen. Erst der Biss offenbart ihre wahre Qualität. Deshalb lasse ich mir also zwei Kilos von diesen Aprikosen abwägen. Wobei Mehmed einen Schwall von Worten auf mich loslässt.
Und ich ihm freundlich antworte: «Ist schön Wetter in Istanbul... ist schönes Stadt!»
Da mir kein Amt so etwas auf Türkisch beigebracht hat, belasse ich es im Originalton meines geschätzten Basler Türken von der Ecke. Und Mehmed gibt mir noch drei Aprikosen obendrauf.
Dann kommts! Heisshungrig beisse ich das erste Früchtchen an? es ist sauer wie die Omi, wenn wir sie bei «Eile mit Weile» überholten. Na ja? du denkst, das kann ja einem Aprikosenbaum schon mal passieren. Spuckst das Säuerliche an den Trottoirrand. Dann haust du die Zähne in die zweite. NOCH SAURER. Kopfschüttelnd beisst du die zwei Kilos an. Und durch? KEINE SÜSSE DABEI. NULL TREFFER. Das muss eine Montagsernte gewesen sein? wie man so sagt. Ich bin enttäuscht.
Und kaufe mir im nächsten Kleinladen ein Kinderüberraschungsei. Da kann nichts schiefgehen.
Abends besuche ich mit meinen türkischen Freunden ein Männercafé: nur Schnäuze, Rauch und Wasserpfeifen.
Das Lokal liegt in einer dunklen Nebenstrasse am Fusse der Galatabrücke. Dicht gedrängt hocken die Mannsbilder an Sechsertischen, schauen melancholisch in Teegläser oder saure Milch. Und lauschen einem etwas baufälligen Alten, der türkische Töne ins Mikrofon weint. Es ist der Musikantenstadl vom Bosporus, wenn man so will.
Die Bedienung ist etwas arg schwuchtelig? und es gibt keinen krasseren Gegensatz als so einen Säbeltürken mit Dreitagebart, schwarz glühenden Augen und Schlangentattoos am Bizeps, der herumtänzelt wie ein dressierter Lipizzaner-Gaul, der gleich eine Pirouette drehen sollte.
Der Dreitagebart-Lipizzaner erkundigt sich also zuckersüss nach meinen Wünschen. Ich: «Ist schön Wetter in Istanbul... ist schönes Stadt!»
Und meine Freunde finden das nicht lustig. Sie puffen mich in die Seite. Reden in ihrer Sprache mit den vielen «üüüsi-üüüs» auf die Schwuchtel ein. NA, UND JETZT DÜRFT IHR DREIMAL RATEN, WAS DIE KLEINE SCHNURRBARTTÄNZERIN AN DEN TISCH JONGLIERTE?!? APRIKOSEN!
Hallo? das Tuntchen wedelte mit gespreizten Fingern nicht nur zwei Platten mit Datteln und Pistazien vor mich hin. Nein. Auch noch ein Schälchen mit Aprikosen. «DAS IST ABER ECHT HEISS VON DEM TATTOO-TANTCHEN!», grinse ich meine Freunde an. Diese schauten geniert weg. Denn das Tantchen knallte mir nun seine nicht mehr fingergespreizte, sondern zur Faust geballte Hand in den Rücken: «LASS ES DIR SCHMECKEN, DU FETTER SACK!» Überraschung! Überraschung!? Der Zartschnauzer hat seine tänzelnden Jugendjahre in Wuppertal verbracht. Dort das Abitur gemacht. Spricht fliessend Deutsch. Und studiert nun in Berlin Soziales. In Istanbul jobbt er einfach acht Wochen in den Semesterferien, «um wieder mal ein bisschen an den Wurzeln zu schnuppern», wie er sich gewählt ausdrückte. Er machte einen gezierten Knicks: «Ich heisse Zafer. Komme aus Berlin. Und bin Bottom...»
Nein. Fragt mich nicht, was «Bottom» ist. Zafer war jedenfalls einer. Und setzte sich später, als die Stimmung im Lokal noch schwermütiger als zehn besoffene Russen war, zu uns: «Ich liebe ja mein Land und bin tief in meinem Herzen immer noch Türke, obwohl sie mir den deutschen Pass gegeben haben? aber wenn hier ein Mann Männer liebt, wird es eine Oper. Und keine lustige. Drama bis zum letzten Ton. Du kannst so etwas nicht offen ausleben. Die bringen dich glatt um, weil du der Schandfleck der Familie bist.»
«Na, na, na», beschwichtigen meine beiden Freunde. Sie leben schon seit zehn Jahren als Männerpaar in Istanbul zusammen. Und haben da keine Probleme.
«Nun ja? Istanbul», seufzt Zafer. «Aber Istanbul ist nicht die Türkei. Kommt mal aufs Land. In eine kleinere Stadt. Oder hier in die Peripherie... da ist es aus mit Toleranz.
Meine Eltern wollen, dass ich die Tochter unseres Nachbarn eheliche. Da kann ich nicht viel dagegen machen. Ich muss mich entscheiden: Familie... oder mein eigenes Leben. Aber mein Leben ist doch die Familie... es ist verdammt schwer.»
Zafer schaut sich im Lokal um: «Die meisten dieser Männer hier sind verheiratet. Sie suchen eine Männerbeziehung? aber sie wagen es nicht einmal, in der Öffentlichkeit einem andern Mann den Arm um die Schultern zu legen. Sie kommen hierher.
Damit sie sich in ihrer Hoffnungslosigkeit unter ihresgleichen nicht so einsam fühlen...»
Noch immer singt das alte Männchen seine traurigen Melodien. Die Männer mit ihren rabenschwarzen Schnurrbärten und den Trauringen am Finger trinken ihre Sauermilch. Spucken Dattelkerne aus. Und beissen in die Aprikosen.
Auch diese schmecken übrigens sauer. «Montagsernte»? wie man so sagt.

Samstag, 28. Juli 2012