Von Sabiha Gökçen und einem explodierten Kaffee

Istanbul ist Basel näher als Herisau. Du hockst in den Flieger. Und bist in zweieinhalb Stunden dort. Nach Herisau: Stau. Stau. Stau. Und der beginnt gleich nach Basel.
Irgendwie zieht es mich im November immer an den Bosporus. Die Touristen sind weg. Du hast die Türken und ihr Kebab ganz für dich alleine. In Istanbul sind es gut 22 Millionen Türken. Und acht Tonnen Kebab am Tag.
Da ich den Billigflieger ab EuroAirport nehme (und es sieht ganz so aus, als pilgere Helvetiens türkische Gemeinde nach Basel, um hier mit Sack und Pack zum Bosporus abzuheben), da ich also easy fliege, lande ich im asiatischen Teil von Istanbul. Und zwar auf dem Flughafen mit dem seltsamen Namen Sabiha Gökçen.
Noch heute muss ich immer zuerst im Internet nachgoogeln, wie sich das korrekt buchstabiert. Und wenn ich dann Selim telefoniere ? «Ich komme bei Sabiha Gökçen an!» ?, so brüllt es zurück: «Ohhh? ütsch Tschabitscha Göögggschüüü.»
ICH MEINE: WIE SOLL DA EINER DAS WORT JE RICHTIG SCHREIBEN KÖNNEN?
Bald schon weht im Flugzeug dieser Duft von microwellisierten Käsebroten, die sie als «Croque Monsieur» verkaufen. Ich frage mich, ob es für Frauen keine Sandwiches gibt, aber da zwinkert wieder mal das feministische Teufelchen in unserm Herzilein.
Das laue Parfum von warmem Schmelzkäse und getoastetem Hawaiibrot kündet den Service ab Karre an. Ich lasse mir einen schwarzen Kaffee in den Kunststoffbecher pumpen. «C?est chaud», lächelt der nette Steward. Da ich mehr auf das gewundene Schlangentattoo an seinem Hals achte als auf seine mahnenden Worte, verbrenne ich mir prompt die Pfoten. Mit nicht sehr virilem Gejaule lasse ich den Kaffee fallen. Das Becherchen schlägt wie eine Kriegsbombe auf die hellblaue Jeans. Explodiert dort. Und verwüstet auch die (allerdings schon etwas baufällige) Gabardine-Hose meines Sitznachbars.
JA, DA KAM FREUDE AUF!
Man darf Flugzeuge entführen? Hostessen zwicken? und auch schon mal den linken Flügel in Brand stecken. ABER NIE EINEN KAFFEEBECHER IN EINER ZEHN ZENTIMETER ENGEN SITZREIHE FALLEN LASSEN!
Nun denn ? das Resultat war eine ganze Armada von wedelnden Tüchern, reibenden Lappen und Blicken, die mich am liebsten zu Staub gemörsert hätten. Die Gabardine-Hose meines Nachbars wurde mit Weisspulver oder Ähnlichem eingesprüht ? und kein Schwein dachte daran, mir nochmals einen Kaffee nachzuschenken.
Immerhin schlug diese Art von Becherabsturz eine kommunikative Brücke zu jenem Mann neben mir, der schon, als ich mich ächzend in den Sitz stopfte und sofort den Sicherheitsgürtel für Schwangere verlangte, keine Miene verzog. Stoisch und mit diesem abgewandten Blick, «NO COMMUNICATION, PLEASE!», kritzelte er Zahlen in ein Sudoku.
Der Mann hat mir auch nicht ein liebes Wort oder einen einzigen Blick gegönnt! UND MAN KANN WEISS GOTT ALLES VON MIR BEHAUPTEN, ABER SICHER NICHT, DASS UNSEREINS ZU ÜBERSEHEN WÄRE?
Nun denn ? der Kaffee hat ihn zum Reden gebracht: «Gottlob trage ich auf solchen Flügen immer alte Hosen. Ich bin da ein gebranntes Kind?» Jetzt schon.
Er räumte sein Sudoku-Heftchen zur Seite: «Mein Name ist Adem. Ich fliege nach Istanbul?» ACH NEIN? ICH HÄTTE GEDACHT NACH OSLO?!
«? wir kommen im asiatischen Teil an. Bei Sabiha Gökçen?» ? «Ich glaube fast, wir kommen alle bei Sabiha an!», sage ich eisig.
Weiss der Himmel, weshalb ich jetzt so pampig zu ihm bin. Immerhin habe ich diesen türkischen Adem ja glühend abgebrüht. Vorher hat er keine Silbe hervorgebracht ? kaum schüttet man heissen Kaffee an ihn, legt er los wie ein Wörterbuch. Vermutlich einer der masochistischen Sorte. «Wissen Sie, wer Sabiha Gökçen ist?» ? «Ja. Mein Flughafen?», antworte ich noch immer unwillig.
Nun lacht er erstmals auf. «Gut. Ja. Aber es war die Adoptivtochter von Atatürk. Das kleine Mädchen, dessen Vater von Sultan Abdül ins Exil geschickt worden war, zeichnete sich als Superschülerin aus. 1925 wurde Sabiha dem jungen Atatürk bei einem Schulbesuch vorgestellt. Sie erklärte ihm, sie habe nur einen Wunsch: das Gymnasium zu besuchen. Also adoptierte er sie. Und nannte sie?Gökçen? ? die Himmelsbezogene?» Sie wollte also hoch hinaus?
«Ja und nein. Sie war für eine türkische Frau jener Zeit wohl sehr mutig. Und aussergewöhnlich progressiv ? aber das?Himmelsbezogene? zeigte sich in ganz etwas anderem: Sie wollte fliegen!»
Tatsächlich wurde Sabiha die erste türkische Pilotin. Sie ging 1936 zur Luftwaffe. Später zu den Kampfpiloten. Ihr Mut soll sprichwörtlich gewesen sein ? es hagelte Ehrungen und Orden. Ja, sie erhielt als Major gar die Leitung über die türkischen Kampfpiloten und schloss sich später ? mehr als Hobby ? noch der Kunstfliegerstaffel an.
«Da konnte der Adoptivpapa aber stolz auf seine kleine Gökçen sein?»
Ironie ist nicht die Stärke von Adem. Er zuckt die Schultern: «Ja. Und nein. Sie tat dies im Alleingang ? eine militärische Karriere ist den Frauen in der Türkei erst seit 1990 möglich. Sie war eben die Tochter von Atatürk?»
Mittlerweile haben die Hostessen und der Schlangenhals-Steward die Gabardine-Beine von Adem entpudert. Und wir dürfen uns zur Landung bereit machen. Mein Nachbar grinst: «Die Hose sieht jetzt besser aus als vorher. Und ich habe sie mit dieser Geschichte vollgelabert?»
«Ach, das war ganz interessant? ich weiss nur nie, wie sich die Dame richtig schreibt. Und wie man sie ausspricht?Adem ist da einfacher?» Jetzt lacht er richtig los: «Ja. Adem ist eigentlich Adam. Und der geht zu seiner Braut nach Üsküdar. Ich arbeite in Wollishofen. Und lebe seit 18 Jahren in der Schweiz. Meine Eltern haben mich als Zwölfjährigen hierher mitgenommen. Nun heirate ich die Freundin meiner Kinderzeit. Sie war immer in Üsküdar. Und ich habe sie jedes Jahr besucht?»
Wir sind gelandet. Ich entschuldige mich bei der Crew für den Zwischenfall mit dem Bombenbecher. Und verabschiede mich von Adem: «Dann wünsche ich Ihnen und Ihrer künftigen Frau viel Glück?»
Seine Augen leuchten: «Wir sind für einander bestimmt. Unsere beiden Mütter haben das schon so gesehen. Und alles arrangiert?»
Ich lächle. Und denke, dass Sabiha wirklich eine sehr fortschrittliche Türkin gewesen sein muss?
Selim winkt beim Ausgang: «Hallo?hier sind wir!» Er steht mit der ganzen Familie da. Und ich schaue sie alle an: «Wisst ihr eigentlich, wer Sabiha Gökçen ist?» ? «Tschaaabischaa Gögggschüüü?», strahlt Selim. «Sie wäre in diesem Jahr 100 geworden?»
Eine grosse Frau. Aber ein schwieriger Name.

Dienstag, 10. Dezember 2013