Von Reiskugeln in Catania und der Drittliga

Paolo brauchte nicht lange zu werben.
Ich sagte Ja, bevor er noch recht runterschlucken konnte.
Und dann stieg ich ins Flugzeug nach Sizilien.
Holzklasse. Sicherheitsgürtel für Schwangere, weil BAUCH XXL.
Na ja? die Vorfreude auf all das, was kommen würde, hat den bedrückenden Engzustand gelockert.
Ich war guter Hoffnung.
Und ich wusste: SIZILIEN BRINGTS IMMER.
Paolo hätte also gar nicht zu zirpen brauchen. Ich fahre eh auf Sizilien ab. Meine römischen Freunde (ganz zu schweigen von denen im Bossi-Norden) machen auf Herzkasperl, wenn ich von der Insel im Süden schwärme:
«ALLES MAFIA... ALLES GAUNER... WIR VERLOCHEN DORT UNSER HARTVERDIENTES GELD. UND DU FINDEST SO ETWAS AUCH NOCH GUT!»
Ja. Tu ich. Ich bin mir nämlich fast sicher, dass das viele Geld nicht in die Mafia-Hosentasche von Sizilien fliesst. Sondern in die mafiösen politischen Säcke von Rom. Gut. Ich kanns nicht beweisen. Nur so ein Gefühl.
Zurück zu dieser Insel, die Zeus der Aphrodite zum Geschenk gemacht hat. Sie musste ihm dafür vier Nächte lang Geschichten erzählen. Und Lieder vorsingen. Mit EasyJet bekommst du Sizilien heute billiger. Dazu der Euro-Runterrutsch.
Ich sage nur: EINE SIZILIANISCHE ZITRONE PRESST SICH FAST UMSONST.
Bevor du in Catania landest, winkt der Ätna. Nein.
Sorry. Das Bild ist falsch. Er raucht dir entgegen.
Und ist den feurigen Kettenpaffern unter uns gleich mal sympathisch. Überhaupt geht in Catania nirgendwo «IL FUMO UCCIDE» um. In Italien überleben wohl politische Pfeifen. Nicht aber der Raucher. Ausser eben in Catania? hier schmaucht einer gemütlich die Camel neben dem dampfenden Vulkan. Letzterer ist allen ein beeindruckendes Vorbild? auch wenn er hin und wieder spuckt.
Als ich vor zwei Jahrzehnten mit Innocent zum ersten Mal Sizilien betrat, war ich so gelb wie unser Post-VW. Wir fuhren damals nämlich einen ausrangierten Volkswagen der Postbetriebe. Und mit diesem auch übers Meer? genauer: auf der Fähre durch die Meerenge von Messina. Der Meeresgott war uns nicht sehr wohlgesonnen.
Er rüttelte mit seinen Wellenarmen an Darm und Magen. Aber Innocent war schon damals das, was man «bis auf den Grund stabil» nennt.
Jedenfalls kam er rosig und vergnügt in Messina an, während ich nicht nur am kleinen Kötzerchen litt. Die Fische reden heute noch davon! MIT DEM FLUG IST ALLES EINFACHER: Du schwebst übers Meer. Der Ätna winkt. Die Sonne lacht. UND DU KANNST ENDLICH DIESEN VERDAMMTEN SCHWANGERSCHAFTSSICHERHEITSGÜRTEL LOSKLICKEN!
Das alte, etwas verwitterte Flughafengebäude wird durch eine bunt gekleidete Sizilianerin aufgemotzt. Sie strahlt wie die Sonne. Und sie hält den Gästen einen Korb mit orangefarbigen Nespole entgegen: «BENVENUTI IN SICILIA!» Nun sind Nespole ja nicht meine speziellen Freudenfrüchte.
Ich meine: Diejenigen, die wir vom Inselbaum pflücken, schmecken immer wie abgestandenes Wasser. ABER ÜBERRASCHUNG! ÜBERRASCHUNG!
Diese hier sehen zwar verschrumpelt aus? ABER SIE VERSPRÜHEN AUF DEM GAUMEN EINEN SAFT VON HONIG, ORANGEN UND TAUSEND TRÄNEN ALLER SIZILIANISCHEN MUSEN.
Ja hallo? da war der Korb der lieben Frau aber bald leer. Und mein Bauch, der XXL-ige, voll.
Paolo wartete am Ausgang.
Paolo ist auch bei den Medien. Aber mehr Fussball und so. Er war selbst mal am Ball. In irgendeiner Drittkategorie von Siracusa.
Aber Weiber und diese Reiskugeln, die sie hier «Arancini» nennen (sie werden mit einem Hackfleisch-Tomatensugo gefüllt und mit Mozzarella gespickt, paniert und frittiert)? ALSO DIE GÖTTER WISSEN, WESHALB SIE SIZILIEN ZUR LIEBLINGSINSEL ERKOREN HABEN. Aber zurück zu Paolo: Weiber und Reiskugeln haben ihn aufgerundet. Er hat sich beiden zu oft ergeben.
Die Sizilianer sind nun mal Menschen der Lüste.
Deshalb wars aus mit dem Drittliga-Fussball? und Paolo verlegte seine Schüsse anderswohin. Vor allem auf die Kamera. Heute ist er ein begnadeter Erstliga-Fussball-Fotograf.
Der Knipser steht nun also mit einer Papiertüte zum Empfang bereit. Und hält mir deren Inhalt hin: «Benvenuto? versuch mal unsere Nespole!»
UND DANN WAR AUCH DIESE TÜTE LEER.
Wir packen meine drei Koffer und die Geschenkpackung aufgeweichter Toblerone-Rippchen auf Paolos Vespa. Er stülpt mir einen leicht angeschlagenen Reservehelm auf die Birne (und dafür hatte ich zwei Stunden lang Locken geföhnt): «Als Erstes zeige ich dir die Villa Bellini? BELLINI... verstehst du?... er ist aus Catania. Das heisst: Er war. Nun ist er tot.»
Eine Viertelstunde später stand ich vor ihm. Der Komponist schaute etwas grimmig von seinem Sockel in einen herrlichen Park. Und Paolo seufzte. «Irgendwie hat es ihm bei uns nicht so gefallen. Er haute schon jung ab nach Paris. Aber als er tot war, haben wir Vincenzo samt seiner Musik zurückgeholt. Morgen schauen wir sein Opernhaus an... immerhin hat die Callas hier Bellinis Norma gesungen! Das war 1950. Da war sie noch sehr rund...»
«Wo gibt es denn hier diese herrlichen Reis-Vulkane, die ihr Arancini nennt?», lenke ich das Interesse auf kulinarisches Gebiet. Eine Stunde später sitzen wir am Hafen. Und donnern die Herrlichkeiten rein. Der Bauch ist jetzt XXXL-Liga. Aber ich tröste mich an der Callas: Sie soll ja in ihren vollen Zeiten am schönsten gesungen haben.

Samstag, 26. Mai 2012