Tom ist miesepetrig. Sein Lächeln ist gefroren wie eine Tiefkühlcrevette. Und er zeigts jeder und jedem: MIR STINKTS.
Danke. UNS STINKTS SCHON LANGE.
Tom ist mit sonnigen Erwartungen auf die Insel gekommen. Italienreisende haben das so an sich. Für sie bedeutet der Stiefel: Gelati à discrétion... tolle Weiber... UND VOR ALLEM SONNE.
Wenns mit den Weibern nicht klappt? na ja. Und Eis am Stiel haben wir auch zu Hause.
ABER DIE SONNE! Dafür verbucht Tom die Hälfte seiner 28 Ferientage. Dafür hat er sich flachbauchig getrimmt. Und dafür reist er nun an? mit einem knappen Badehöschen. Und 18 Dosen Schnellbräunungs-Spray im Koffer.
NEIN. KEINE SCHOKOLADE FÜR DEN FETTEN VETTER. Dieser stiert enttäuscht wie Dackel Waldi, wenn kein Knochen vom Teller fällt, in das voller Trimmseile gespickte Gepäck.
Tom ist gereizt: «Was willst du eigentlich? Bei dieser Hitze schmilzt doch jede Schokolade!»
ES SIND KNAPPE 5 GRAD!
Und dann sagt er das, was sie immer wieder sagen: «Du musst im Alter eh abnehmen!»
DIE WELT IST MIES. Und mein Vetter ihr Echo.
Gastgeber in Italien stehen stets unter Druck.
«Wie ist das Wetter?» Das ist die erste Frage, die einem Anrufer aus Helvetien stellen.
«Wie ist das Wetter?»? so kommen hier auch alle Reisenden an. Nicht: «Wie gehts dir denn?»
Oder: «Was kochst du Gutes?»
NEIN. NUR: «WAS MACHT DAS WETTER?»
Keinem würde etwa einfallen, zu fragen, was in diesem Land die Regierung macht. Es scheint, dass in Italien nur noch das Wetter interessant ist.
Lügt man sie an: «Es ist so heiss, dass der Sand unter den Zehen glüht...», sind sie im Norden muff. Und neidisch. Sagt man, wies ist: «SCHEISSWETTER. REGEN. UND EINE KÄLTE, DASS WIR DIE WEIHNACHTSDEKORATIONEN WIEDER HERVORGEHOLT HABEN», dann strahlt die Schadenfreude. Es ist das Einzige, das strahlt. Die Sonne jedenfalls nicht.
Als wir eine Woche vor Ostern aufkreuzten, lampten die Palmen wie der Wedel eines depressiven Hundes. Die jungen Tomatenstauden sahen aus, als hätte sie ein Karnickel durchgekaut.
Und Gianni, der Gärtner, verwarf die Hände wie Mutter Oberin, wenn eine ihrer Nonnen schwanger wird: «Es ist eine Katastrophe... Kälte und Regen...
NUR REGEN... Ich habe der Mutter Gottes bereits meinen halben Jahreslohn in Kerzen geopfert, Signore... Aber, Madonna mia, SIE will einfach nicht hören... SIE straft unser Land für die Lustlaunen seines Präsidenten... SIE LÄSST UNS BUCHSTÄBLICH IM REGEN STEHEN... Doch was kann das arme Volk für die Bunga-Bunga-Freuden seines Chefs?!»
Es schüttet nicht nur in die Tomatenstauden. Gianni flennt mir auch das Erbsbeet voll. Natürlich ist es kleinkarierter Unsinn und mal wieder typisch kommunes Volk, wenn es seinem Chef alle Schuld in die gelackten Schuhe schiebt? ABER ICH MUSS SCHON SAGEN: VOR BERLUSCONI WAR DAS KLIMA BESSER!
Seit Ostern also schaue ich übers Meer. Und sehe nichts. Nur Grau. Grauenvolles Grau. Selbst das Wasser wellt gräulich. Abends hocke ich mich vor den Fernseher, um den Maresciallo anzuhören. Der Maresciallo kommt vor der Tagesschau wie das Amen in der Kirche. Er trägt eine nachtblaue Uniform. Zu glatt brillantiertes Haar. Und einen Schnurrbart, der uns anzeigt, dass hier ein Gesicht und nichts anderes ist.
Während bei uns nämlich Wetterfeen ein Hoch haben, sind sie in Italien im Tief. Die langbeinigen Blondinen sind für Quizsendungen reserviert.
DAS WETTER ABER IST IN ITALIEN EINE ZU ERNSTE ANGELEGENHEIT, ALS DASS MAN ES EIN PAAR HOCHHACKIGEN PUMPS UND EINEM BUSEN ALLA DOLLY BUSTER ÜBERLASSEN KÖNNTE.
Der Maresciallo also zeigt mit einem langen Stock auf all die vielen Ts, welche da Stiefel auf und Stiefel ab schweben. Ich stiere auf die Hs im Norden. Innocent ruft seit Wochen jeden Morgen schadenfröhlich an: «Rat mal, wie viel Grad ich hier auf der Terrasse habe?»? Während er also seinen Frühstückstee oben ohne und unten mit nimmt, schaue ich aus dem Fenster. Und sehe, wie die ersten Eisvögel auf unserm gefrorenen Pool ein paar Runden drehen.
UND EBEN DANN SCHLEICHT SICH AUCH MEIN FITTER VETTER AN. Misslaunig schreit er nach einem heissen Grogg. Und tobt: «JA, IST DAS HIER GRÖNLAND?! ICH GLAUBS JA NICHT... DREI WOCHEN NUR SCHIFF!»
Und wie aufs Stichwort donnert auch schon der erste Schlepper übers Meer? es könnte allerdings auch ein Eisbrecher sein.
Okay. Genug lamentiert. Die Kembserweg-Omi hat schon gesagt: «Wir können fast alles machen? aber sicher nicht das Wetter!»
Ich rezitiere den Satz meinem Vetter. Schliesslich ist es ja auch seine Omi. ER ZEIGT JEDOCH NUR STUMM DEN STINKEFINGER. Doch damit hat noch keiner die Wolken weggeschoben.
Ich switche nachts dann noch kurz auf «10 vor 10». Und da sagt die Moderatorin grad, dass die Trockenheit in der Schweiz beängstigende Formen angenommen hat.
Und hier in Italien prasselt gemütlich der 21. Regentag an mein Fenster.
Im Zimmer von Tom höre ich das energische «KLACK» des Sicherheitsschlosses an seinem Gepäck. Dann kommt er mit seinem Koffer. Es scheppert leicht? 18 Dosen Schnellbräunungs-Spray sind bereit für die Rückreise.
Von Regentagen im Süden und dem Neid des Nordens
Samstag, 21. Mai 2011