Donnerstag Als Assunta merkte, dass mit ihrem Sohn etwas anders war als bei anderen männlichen Gotteskindern, warf sie sich vor dem Altar auf die Knie. Trommelte auf ihre Brüste, die hinter schwarzem Tuch abgebunden waren. Und flehte IHN an: «Heiliger, Süsser? lass diesen Kelch an mir vorüberziehen. Massimo bringt Schande über uns. Läutere ihn. RÜTTLE IHN? MACH AUS IHM EINEN RICHTIGEN MANN!»
Dann warf sie etwas Münz in den Opferstock. Ging nochmals stöhnend in die Knie. Und küsste die Füsse des Gekreuzigten.
Massimo hatte schon als kleiner Bub mit Laras Puppe gespielt. Und sein Vater Franco schaute diesem Treiben mit verbissenem Mund und eng zusammengezogenen Augenbrauen misstrauisch zu, so wie er auch den Besuchen des Padre bei seinem gläubigen Weib und allen Beschlüssen, welche diese «Rompiballe» in Rom in affenteuren Sitzungen ausbrüteten, zusah. Er kaufte Massimo ein handliches Stechmesser, das schärfer war als eine Horde kalabrischer Fussballer, die drei Jahre lang keusch im Kloster auf dem Berg gelebt hatten.
Doch Massimo nutzte das Messer nur, um Fingernägel zu putzen.
Schliesslich versuchte es der strenge Vater mit einem Schiessgewehr. Als er dieses seinem Sohn mit einem forschem «Ecco!» hinhielt? ging bei dem kein Schuss der Freude, sondern nur ein hysterisches «Huch?!» ab.
Am selben Tag noch tauschte Massimo die Knarre bei Lara gegen ein rotes Lacktäschlein und einen kleinen Handspiegel ein. Der Vater klopfte ihn daraufhin so weich wie Arturo, der Metzger des Ortes, seine Rindfleischlappen, bevor diese zu Involtini gedreht werden. Das Involtini-Drehen wurde Massimo dank dem Eingreifen der Mutter, «lass deine Finger von meinem unschuldigen Sohn», erspart? nicht aber die Drohung. «Wenn du so einer wirst, bringe ich dich eigenhändig um...»
Wollte man der alten Fiorini aus dem Alimentari-Laden glauben, wurde er «so einer». Und um dem Sturmgewehr seines Vaters, mit dem nicht nur die Wildschweine der Umgebung hingestreckt worden waren, zu entkommen, verliess der junge Massimo die Familie ohne Absender. Das Einzige, das er zurückliess, war ein kleiner, handgeschriebener Zettel an seine Mutter: «Wie sollt Ihr es verstehen, wenn ich es selber nicht verstehe...?»
Der Zettel zeigte einen Kussabdruck von Massimos Lippen, die er sich vorher mit einem Billigstift von Standa scharlachrot geschminkt hatte.
Die Mutter fegte wieder zu den Füssen des Gekreuzigten: «Er ist ein guter Junge... er hat nur diese seltsame Art... wache über ihn und schicke meinem Alten die Pest an den Ranzen!»
Das tat ER dann auch, denn ER ist ein guter Mann, wenn man den richtigen Glauben hat. Während Massimo in Rom als Verkäufer in der Damenabteilung von Fendi zum Etagenchef avancierte, wurde sein Vater immer baufälliger. ER hatte ihm eine böse Krankheit geschickt.
Und schliesslich schickte Assunta einen Hilferuf in die ewige Stadt.
«KOMM HEIM? ICH SCHAFFE ES NICHT OHNE DICH. KEINE ANGST? DEIN VATER HAT ALLE WAFFEN UND ZÄHNE ABGELEGT!»
So kam es, dass Massimo bei Herrn Fendi kündigte und sein ganzes Erspartes für Opiumtropfen ausgab, die er dem Vater jeden Tag drei Mal durch den zahnlosen Mund einträufelte.
Der Vater schloss beim Erscheinen seines Sohnes jedes Mal gepeinigt die Augen? nie hätte er ihm einen Blick, geschweige denn ein Wort gegönnt.
Im kalabrischen Dorf schauten die Leute verunsichert weg, wenn der heimgekommene Sohn an ihnen vorbeiging. Nur der Padre grüsste freundlich, weil er mit der Schlechtigkeit dieser Welt vertraut war.
Und Assunta ging an einem Sonntag mit erhobenem Kopf samt schwarzem Schleier und dem Sohn (Armani-Anzug in Blau) an ihrer Seite an all den Gemeindemitgliedern vorbei in die vorderste Sitzreihe. Und küsste die Füsse des Gekreuzigten.
Vater Franco ging grusslos ab in eine andere Welt? nun kränkelte die Mutter. Und Massimo blieb bei ihr, pflegte sie bis zum letzten Atemzug.
Sie lächelte ihn an: «ER hat mich erhört? ich hätte mir keinen besseren Sohn wünschen können. Danke, Massimo.»
Dann schob sie ihm als Erinnerungsstück ihren Lippenstift aus den Jugendjahren hin. Und schloss die Augen für immer.
Massimo war zu alt, um nach Rom zurückzukehren.
Er blieb einsam im Dorf zurück. Manchmal besuchte ihn der Padre und berichtete von jungen Müttern, welche die Füsse des Gekreuzigten geküsst und gefleht hatten: «Oh Herr im Himmel, lass ihn nicht so einer werden... Oder wenn, dann so einer wie Massimo...»
Von Massimo, der «so einer» war
Samstag, 27. Februar 2010