Von Ladurées schrillen Macarons und Pariser Chic

Donnerstag An der Decke fliegen Engel. Sie sind so zartblass wie stehen gebliebene Rahmtörtchen. Die Himmlischen umschwirren eine Jugendstil-Madame mit Hochsteckfrisur und enggeschnürtem Mieder. Madame trägt lächelnd eine Kuchenplatte in den Händen. Darauf: allerlei Backwaren. Und knackfrische Trauben.
UND DIES ALLES AM PLAFOND!
Dazu noch üppig vergipste Stuckatur, als hätten die Zuckerbäcker mit dem Rahmbläser gewütet.
Ich weiss nicht, wer die Dame an der Decke ist. Vielleicht Madame Ladurée persönlich? Eines aber ist sicher: Ich werde auch bald an dieser Decke sein, wenn nicht endlich eine dieser herumstehenden Serviceamseln sich in den Arsch kneift und meinen Wunsch nach drei Macarons aufnimmt. Es scheint, dass die Engelchen an der Decke des Ladurées weitaus aktiver sind, als das Personal auf seiner irdischen Welt.
Immerhin: das Personal sieht zum Fressen aus? wie die Auslage von Ladurée auch. Die Pariser Confiserie aller Confiserien, nur drei Cremetörtchen von der Madleine entfernt, hüllt ihre Saaltöchter in bodenlange, schwarze Jupes. Die Junten sind aus diesem Stoff, den man nicht bügeln muss und ihr glänzendes Gewebe besteht weniger aus reiner Baumwolle als aus einer chemischen Zusammensetzungsformel.
Die Blusen übrigens dito: Acryl-Rüschen und grosse Tupfen erinnern an das Fasnachtssujet dieser lustigen Frauen-Guggemuusig Schränzgrytte und ihren Jubiläumszug «mir sinn aifach numme schöön». Der Vorzug der Frauen-Gugge: Sie trägt Larven und ist zünftig im Schritt.
Der Service im Ladurée tut das nicht. Und hat Dauerpause.
NOCH IMMER KEIN BEDIENUNGS-GUTZI WEIT UND BREIT, DAS MEINE BESTELLUNG NACH ORANGENSAFT UND DREI MACARONS AUFNIMMT!
Die Macarons von Ladurée sind übrigens weltberühmt. Man sagt Frau Ladurée habe das Rezept schon für Napoleon gestossen. Das Wunderbare an diesen Macarons sind ihre schreienden Farben: von diesem zuckersirupartigen Framboise über durchgehoppeltes Ostergrasgrün bis zum dottrigen Smily-Gelb. Würde man die Macaron-Farben in Töne umsetzen, wären die Dingerchen reif für den Grand Prix Eurovision: schrill? mit pflaumenweichem Inhalt.
Vor einem halben Jahrhundert schon hat mich meine süsssüchtige Mutter nach Paris geschleppt, um sich bei Ladurée die pistachegrünen Tortenschachteln mit diesen Macarons abfüllen zu lassen.
Mein sozialistisch und gewerkschaftlich links durchgeboxter Vater tobte. Aber da es Mutters Geld und Launen waren, konnte er nichts ausrichten? das war schon damals das Los des Gewerkschafters.
Mutter zog ihre gezupften Augenbrauen hoch: «Ich will, dass das Kind neben der Tramschienen-Kultur auch noch andere Werte entdeckt...» Vater jaulte auf. «Du verführst ihn zu kapitalistischen Orgien, die mit Diabetes enden!»
Mutter eisig: «Lieber süss sterben, als auf krummen Schienen durchs Leben scheppern!»
Das war so ungefähr der Unterhaltungs-Cocktail zum Mittagessen, das allerdings zügiger serviert wurden als meine Macarons bei Ladurée.
DIE SIND NOCH IMMER NICHT DA! UND DER SERVICE AUCH NICHT!
Mutter liess die Ladurée-Makronen in meterhohe Paketberge verpacken. Der Berg wurde schon auf der (damals noch) neunstündigen Heimfahrt nach Basel zünftig abgetragen. Total übersüsst stiegen wir beim französischen Teil am Bahnhof aus? Vater winkte jenseits des Zolls. Und sah gallenbitter aus.
Immerhin: Mutter drückte ihm einen Kuss auf die Trämlermütze und eines dieser Heftchen in die Hände, die SEINER Vorliebe von Zucker entsprachen.
(Im Morgarten-Depot hat dann die halbe Trämler-Mannschaft diesen Soft-Zucker von damals durchgeblättert und genau so glasige Augen bekommen, wie unsereins vor der Ladurée-Vitrine.)
Natürlich wurden Mutters vornehme Bridge-Freundinnen bald zum Tee bestellt. Die kunterbuntigen Dingerchen kamen auf Dreistöckerchen drapiert. Die Pariser Mandelbiscuits riefen «Aaahs» ud «Ooohhs» hervor? aber auch den Neid von Nelly Blickensdorfer. «... und dafür reist du nach Paris? Also ich kann mir nicht helfen, aber ich finde die Marzipanhärdöpfel von Schneiderhahn mindestens so gut, ja weltweit die besten!» Schlucken mussten sie den Chic von Paris trotzdem.
Jahre später hat dann Nelly Blickensdorfer die Bridge-Damen triumphierend zu diesen kleinen Kügelchen eingeladen, die Sprüngli als Luxemburgerli anrollen liess und die künftig jeder und alles von der Limmatstadt nach Basel mitbringen sollte. Mutter aber biss nur zur Häfte an. «Sehr schön... aber typische Zürcher Schaumschlägerei. Mit einem Pariser Macaron hat das gar nichts zu tun!»
All dies schwirrt mir durch den Kopf, während ich in dieser Ladurée-Oase noch immer darauf warte, meine Macaron-Bestellung aufgeben zu können. Ich warte umsonst.
Schwärme von Japanern, Amerikanern und irgendwelchen Ostländern stürmen das kleine Café. Sie schauen sich lärmig um? und gehen wieder! Auch ich gehe nun. Und kaufe mir in der erstbesten Bäckerei an der Rue de l?Arcade eine Marzipankartoffel. Nelly Blickensdorfer hatte recht: Die von Schneiderhahn waren besser...

Donnerstag, 30. April 2009