Tante Finni war die mit dem Kropf.
An ihrem Hals hing eine fleischliche Kugel. Gross wie ein Kinderkopf.
«Das ist mein Bubu», sagte das Finneli, wenn Kinder erschrocken darauf zeigten. Sie liess Bubu dann auf und abtanzen ? eine Technik, die sie mittels Hyperventilation und Luftanhalten beherrschte. Den Bubu-Tanz führte sie auch an Familientreffen, Hochzeiten und runden Geburtstagen vor.
Finni war die Schwester meiner Kembserweg-Omi. Und weil niemand sie mit ihrer Fleischkugel am Hals heiraten wollte, blieb sie eine strickende Jungfrau. Sie strickte für alle. Stricken war ihre Leidenschaft. Und diese Leidenschaft war aus einer Not heraus erstanden ? es gab für Finneli nämlich keine Jäckchen, mit denen sie ihren Kropf hätte abdecken können.
Also strickte sich das Finneli Pullover mit verlängertem Hals, eine Art Rollkragenpulli, nur dass der Halsroller weit ausgestrickt wurde, sodass er schon eher einem Einkaufsnetz ähnelte. Und da hinein kam dann die Ware ? der Bubu.
Ich liebte Finni und ihren Kropf, denn erstens war sie, wenn man ihr lieb den Bubu streichelte, immer für einen Fränkler gut («kauf dir etwas Schönes!»). Und zweitens führte ich sie gegen 10 Centimes für einmal Bubugucken allen meinen Schulkameraden vor.
Allerdings ? als ich zwölf Jahre alt und schon recht gut mit Bienchen, Blüten und der ganzen summenden Geschichte vertraut war, nahm mich Finni auf die Seite: «Hast du denn schon ein liebes Freundinchen?»
DA WAR GOTT VOR!
Ich schwärmte zu jener Zeit für Schwimmlehrer Zimmerli, der keinen Kropf, aber anderes Verhülltes in der Badehose trug.
«Kennst du das Dorli Abächerli von der Sierenzerstrasse?»
Ich kannte es. EINE DUMME KUH! Sie hatte Zähne, die auf jeden Kuchen einen Vorsprung hatten.
«Es hat so allerliebste blaue Äuglein?»
Schwimmlehrer Zimmerli hatte braune. Und war stämmiger Natur. Überdies war das Dorli ein milchiges Arschgesicht.
«? und es bestickt lustige, kleine Nastüchlein mit Zwergchen im Kreuzstich!»
JETZT ROCH ICH DEN BRATEN! DAS FINNI WOLLTE MICH GEGEN EIN ZWERGENTÜCHLEIN AN DORLI VERSCHACHERN.
«Mir ist nicht nach Weibern!», gab ich klaren Bescheid.
Aber Tante Finni zeigte sich ziemlich schwer von Begriff, was die verirrten Gefühle ihres Grossneffen anging. Sie legte Dorli auf Eis. Und brachte Irma ins Spiel: «Irmchen macht Ballett und tanzt bereits eines der zarten Schneeflöckchen fürs Kindermärchen.»
Ach jerum. Was sollte ich mit zarten Schneeflöckchen, wenn mir nach einem stämmigen Schwimmlehrer war?
«Irma schielt!»
«Das kann man richten.»
«Sie hat eine Haut wie ein Streuselkuchen.»
Nun baute sich Finni auf. Ihr Kropf bebte vor Empörung: «JA HIMMEL ? WAS WILLST DU EIGENTLICH?» Ich wollte Herrn Zimmerli.
Als ich Herrn Zimmerli hinter mir und meinen 17. Geburtstag vor mir hatte, gab Finni immer noch nicht auf.
Sie versprach mir einen Zehner, wenn ich an ihrem Strickkränzchen Kaffee servieren würde. Es kämen ein paar Freundinnen?
Na gut. Ein Zehner war ein Zehner. Ich ging hin. Und sah nichts Schönes: Sie hatte die Grosstöchter ihrer Strickfreundinnen an die Tassen geholt ? und wuselte sofort zu mir in die Küche: «Sag mir, welche dir gefällt; ich werde die Sache mischeln!»
«SIE HABEN ALLE ZU VIEL BUSEN!», gab ich gleich mal die Hausordnung durch. «UND SIE KICHERN SO DUMM.»
«O Gott», sagte die Tante. Ihr Bubu zitterte nervös: «Ich habe Lilli versprochen, dass ich ihre kleine Lucia an den Mann bringen würde und?»
DIE KLEINE LUCIA HATTE DEN CHARME EINER LEICHENHALLE UND DAS GEWICHT EINES AUSGEWACHSENEN NASHORNBULLEN? NON, MERCI!
Finni fingerlte ? nervlich total am Gong ? an ihrem Kropf herum, der wie die sinkende Abendsonne zu glühen begann. Also machte ich mich aus dem Staub, bevor sie ganz explodieren würde. Und liess den versprochenen Zehner sausen.
Als mein Vater nach diesem Kuppelversuch die Grosstante auf den Couch zog und ihr erklärte, «also du gutes Finni ? mein Sohn hat einfach nichts mit Frauen am Hut; am besten, du bringst die Weiber zu mir», da hat sie geweint: «Der arme Bub. Ich kenne einen Heiler im Appenzell, der hat auch bei einem etwas defensiven Muni Wunder wirken können?»
ICH FUHR NICHT INS APPENZELL.
Als das Finni ihr Stüblein nicht mehr verlassen konnte und nur noch im Bett lag, um aufs Paradies zu warten, als das Persönchen immer dünner und durchsichtiger wurde und ihr Kropf noch grösser und schrecklicher schien ? da rief sie nach mir.
Ich setzte mich an ihr Bett. Und hielt ihre Hand.
Ihre Haut war weiss wie Pergament. Aber ihre Augen hatten noch immer das listige Blitzen von einst: «Hast du mir meine Kuppeleien verziehen?»
Ich streichelte ihren Bubu. Und nickte stumm. Mein Hals war eng ? und ich war eh nahe am Wasser gebaut.
«Dein Innocent ist ein braver Kerl; da hast du gut gewählt. Und er ist grosszügig. Erst gestern hat er mir ein Töpflein mit Honig mitgebracht.»
Sie hüstelte: «Das Verfalldatum ist zwar schon vor über einem Jahr abgelaufen gewesen. ABER TROTZDEM. Die Geste zählt.»
Sie nahm meine Hand: «Es geht nicht mehr lange. Du musst mir aber versprechen, dass sie mich nicht in einem dieser schrecklichen Hemden in die Kiste legen werden. Bubu würde sich total deplatziert vorkommen. Nein. Sie sollen mich in meinem Strickpullover beerdigen. Und du schaust, dass der Kropf schön zugedeckt ist.»
Sie zeigte nun auf die Kommode: «Dort ist mein Portemonnaie; ich schulde dir immer noch die zehn Franken vom letzten Kuppelversuch. Kauf dir etwas Schönes.»
Ich habe Finni in die Arme genommen. Und meine Tränen fielen auf ihren dicken Kropf.
Zwei Tage später trug sie zum letzten Mal ihren Strickpullover.
Von Kuppelversuchen und einem Kropf
Dienstag, 23. Juli 2013