Von Kastraten, Countertenören und heissen Wienern

Backtechnisch gesprochen ist die Zeit der Salz­burger Festspiele das Sahnehäubchen der Stadt. Danach wieder: TOTE HOSE. O. k. Da sind noch diese aufgeblasenen Nockerl, die stets leicht übersüssten Mozartkugeln, und dieser stimmungsvolle alte Friedhof, auf dem aber kein moderner Christ seine Gebeine bis zur Auferstehung ruhen lassen möchte. Natürlich gibts auch den Karajan und seine letzte Liegestätte. Dies im salzburgnahen Anif. Hier hat er gewohnt, gewirkt und den Taktstock abgegeben. Schlussvorhang. Sein Kopf aus Bronzeguss sagt uns, dass Karajan nicht nur einen bronzeharten Schädel hatte. Sondern dass er auch hinter der Friedhofskirche begraben liegt. Die Gruft des Meisters ist recht bescheiden. Kein Brimborium. Nur ein schlichtes Kreuz. Und drum herum alles etwas verwildert.
Dennoch knipsen Horden von Japanern drauflos. Zu Hause zeigen sie dann die Fotos mit den ­verwelkten Blumen herum. Und erklären ihren Landsleuten, sowohl Mozart wie auch Karajan seien ohne Ikebana begraben worden. WIR RUNDAUGEN AUS EUROPA SEIEN EBEN GRAUSAME ROHLINGE!
«Na, Buaberln... heut Obend hobts den Tschulio Tscheesare», gibt uns Liesel beim Morgenessen den Abend-Händel durch. «Da singens dann oll die Kastraten...» «LIESEL!» Das war Herbert, ihr Mann. «Es sind keine Kastraten, Schatzi. Es sind Countertenöre!»
Liesel zuckt die Schultern und schaut dabei keck zu Innocent: «Und wos mochts den Unterschied? Se goggern ollemol wie Hühner, die grod en Ai glegt hobn. Y muoss olleweil lochen, wenn y su ne Gefiepsel hör. Und y frog my dann, ob er saner Kugeln noch beide hott oder obs em die oi weg­rosiert hoben, wie bei die Eunuchen im Horem!»
«LIESEL, DU DUMME GANS!» Das war wieder der schwer geprüfte Ehemann. «Bei Händel gabs Kastraten. Aber heute haben diese Sänger noch alles, was zu einem Mann gehört. Sie bringen die Stimme mit eigener Technik auf die Höhe und?»
«Und wia weisst du dös? Hosts schun d Mozort­kugeln der Herren Sänger gsehn?» GENERVTES SCHWEIGEN DES GEPRÜFTEN.
Und Liesel lächelt überlegen: «S Guschtel, wu aner der Kostroten os Zimmerherr nächtigt, hot durchs Schlüsselloch gschaut und...»? «LIESEL! DIE HERREN WOHNEN ALLE IM SALZBURGER SACHER!» Damit war das Thema erledigt. Aber Liesel ist wie eine Händel-Oper ? sie kann nie zum Schluss kommen. Deshalb: «Wos y was, dös was y!» Schliesslich sammelt sie die Frühstücks­teller ein und zwinkert mir zu: «Für den Föstspiel-Boll hob y mer e schöns Klaiderl schneidern lossen. Wüllst es sehn?» Die Seidenrobe ist dann nichts anderes als eine lange, schwarze Seiden-Auffahrt zu zwei Basketball­körben. Und dort holen Liesels aufgepumpte Wurfbälle die Punkte. Innocent ist ganz weg: «Ach Liesel, du bist und bleibst mein heisser Hase!»
GOTT, SIND MÄNNER PRIMITIV: BASKETBALL UND ZWEI HOPSENDE MÖPSE? SCHON IST DIE WELT IN ORDNUNG!
Herbert will nicht hinter Liesel nachstehen. Er hat sich einen zündroten Smoking schneidern lassen und sieht aus wie ein riesiges Knallbonbon: «Wenn Herr Pereira dieses Kaff schon mal mit einem Ball aufrüscht, wollen wir uns ein bisschen Mühe geben!» Liesel schaut ihren roten Glanz­träger verliebt an. «Wos sogts zu manem Herbert?»
Innocent rümpft leicht säuerlich die Nase: «Die neue Art des österreichischen Red Bull?» Und dann war Händel.
«Giulio Cesare in Egitto» waren fünf lange ­Stunden kurzweiligste Unterhaltung. Dazu Frau Bartoli als schwarz perückende Kleopatra. Sie verführte Cäsar als Nachtclubtänzerin mit kniehohen Sado­stiefeln und mit zartem Boafächer auf einer Rakete davonschwebend. EIN BRÜLLER, SAG ICH EUCH.
Da war auch unsere gute Basler Bekannte Sophie von Otter mit von der Kriegspartie. Die Arme gab sich im Mezzo-Schmerz der Flasche hin. Ihr Sohn Sextus wurde mit seiner schmelzenden Counterstimme der Liebling des Abends. Überhaupt haben die Herren mit den hohen Tönen ganz schön abgeräumt? das Publikum war von den männlichen Frauenstimmen hingerissen.
Die Vorstellung zu Cäsars Ägypten-Feldzug begann um halb sieben Uhr. Um acht hatte ich Riesenkohldampf. Händel macht Hunger. Und als die Countertenöre sangen, konnte ich nur noch an heisse Würstchen denken. DANN WAR ENDLICH PAUSE.
«Ich hole uns Wiener», rief ich Innocent zu, der eben einen in Goldlamé gewickelten Leuchtturm anbaggerte. «Bring der netten Dame auch zwei mit», rief er mir nach. «Es geht noch drei Stunden, bis Cäsar die Cleo in die Pfanne kriegt, haha!»
Um Innocent wurde es abrupt eisig still.
Aber natürlich hört er so etwas nicht, weil er dank seinem Kleinstkind im Ohr eh nur mitbekommt, was er will.
Es scheint, dass die Countertenöre auch bei vielen andern Zuhörern die Lust auf Würste geweckt haben. Jedenfalls: RIESENGEDRÄNGE VOR DEM WIENERSTAND! Und schon bald hatte ich die ­ersten Senfspuren von ungeschickten Händen, welche wurstbeladene Kartontellerchen vorbei­balancierten, auf dem lindengrünen Seidenkittel. JA, HALLO? DAS JACKETT WAR EIN FINALSTÜCK DES MÜNCHNER SCHNEIDERMEISTERS MOOSHAMMER, BEVOR DAS SCHICKSAL IHM DEN SCHLUSSSTRICH MACHTE. Endlich hatte ich drei Pärchen der Wienerwürste samt dem Süsssenf auf dem Karton und äugte nach Innocent sowie seiner neusten Verehrung. NICHTS DA. TAUSEND LEUTE HIER UND DIE BEIDEN WEG! Der alte Hallodri wird doch mit seiner Lust wie Cäsar auch bis zum Schlussakt warten können! Es klingelte bereits zum zweiten Mal, als ich noch immer mit sechs Würstchen in der Hand wild, aber erfolglos herumspähte. Dann schnappte ich zu. Vier ohne und zwei mit Senf.
Eines kann ich euch flüstern: Es ist nicht einfach, einen fünfstündigen Händel mit sechs Wienern im Bauch durchzustehen. Der Süsssenf kletterte hoch wie die Höchsttöne der Kastraten, die ja keine waren. Sondern Countertenöre.
Zu Hause wartete Liesel mit Palatschinken auf uns: «Und Buaberln... sads schlauer geworden? Hobens nun oder hobens kane?»
«Sie hatten alle prachtvolle Stimmen», antwortete Innocent diplomatisch, «doch keiner hatte dieses kräftige Holz vor dem Haus wie mein Lieserl-Hase.»
Damit war wieder mal alles, aber nichts gesagt!

Samstag, 15. September 2012