Also: Bergig ist das schon. Da sind die Hügel von Rom Flundern dagegen.
Wenn ich mir morgens diesen Ring aus Starkteig, den sie Simit nennen und der in seinem Sesammantel aussieht wie ein pubertierender Junge ohne Akne-Salbe? also wenn ich mir bei Mehmed, dem Bäcker, diesen essbaren Wurfring zum Frühstück hole, lege ich schon mal so meine tausend istanbulischen Höhenmeter zurück.
BERG RAUF. GERÖLL RUNTER. TREPPEN HOCH. GASSEN AB.
Ja hallo, Herr Messner? hier sollten Sie mal morgens eine kleine Gipfelpartie starten. Istanbul ist die tägliche Mount-Everest-Tour.
Auf meiner Ring-hol-Tour komme ich immer an Zafer vorbei. Er pappt eben den Döner zurecht. Und Döner, so hat er mir erklärt, heisse so viel wie «es dreht sich».
Tut es auch. ES DREHT SICH DER MAGEN. Das Lamm wurde nämlich drei Mal durch den Wolf gedrückt. Lammfrommtot und an der Sonne würdig ergraut liegt es da. Zafers wurstige Fleischerfinger kneten liebevoll ein weisses Meer von zerdrücktem Knoblauch in den Brei. Dann wird das Gräuliche rot bepfeffert? und mit Koriander-Samen gespickt.
Jetzt holt Zafer einen Spiess, mit dem kein Reinlichkeitswettbewerb zu gewinnen ist. Lammschicht für Lammschicht klebt er liebevoll aufs Rostige. Tätschelt das Fleisch, als seien es die Backen seiner kleinen Enkeltochter Yasemin (das nonstop brüllende Juwel der Familie). Und jetzt wundert sich der alte Türke noch über die Jugend, die hier lieber Kinderschokolade nascht, statt sich dieses kremierte Lamm reinzuziehen.
Kinderschokolade heisst übrigens «KINDER PINGUI? SÜTLÜ. VE CIKOLATA KAPLI». Da haltet ihr aber die Luft an, gelle? doch das mit dem türkischen Pinguin habe ich vom Werbefernsehen abgekupfert. Die Werbungen sind nämlich ganz ähnlich wie bei uns. Nur etwas bunter intoniert.
Und immer mit diesem süüüsüüüsüüüli-Singsang sowie einem Hauch von orientalischem Rock.
Mein türkischer Freund Murat? der sich jeden Tag drei von Zafers durchgewolften Lammportionen reinschnalzt und den knobläuchlichen Mundgeruch dann mit vier Spritzern «Ali Babas Mundspray» übersprüht?, also Murat war so unvorsichtig, Zafer zu erklären, dass dieser kleine Dicke in der Schweiz eine Kochsendung habe.
JA HALLO? DA WAR DANN ABER GROSS DER TEUFEL LOS.
Sofort legte Zafer Spiess sowie das Lammgerüschte zur Seite und baute sich für eine Lektion über türkische Fleischküche auf. Wir gehörnten Käsecracker-Fresser hätten doch eh keine Ahnung, wie ein richtiges Kebab vor sich gehe. Kebab bedeute nämlich Grill. Sis aber heisse Spiess und würde Schisch ausgesprochen. Mit je einem Strich unter dem «S». Der Strich mache das «Sch».
KAPIERT? Schischkebab sei also am Spiess Gegrilltes und habe mit MacDonald?s genauso viel zu tun wie die englische Queen mit einem Box-Ring. ALLES KLAR?!
Zafer hub dann seine Gastvorlesung mit Beschimpfungen über «diese mitteleuropäische Magerküche» und deren wässriges Resultat an: «Kein Wunder, haben die Weiber bei euch keine Pfunde auf den Rippen und kaum Staub auf den Knochen...»
Am Schluss des Monologs weiss ich, dass eine Frau wie auch ein Schaf ohne Fett am Arsch gar nichts wert sind. Ich meine: Das ist doch auch schon etwas.
Auch jetzt will sich Zafer wieder für einen Vortrag zum Thema «WESHALB GESÄUERTES SCHAFSHIRN EINE DELIKATESSE IST» aufbauen und ich kann ihn nur mit «muss noch zu Ali» stoppen. Was mir einen Blick der tödlichen Verachtung bringt. Denn Ali ist Milchhändler. In einem riesigen Plastikzuber hält er weisse Käselocken, die sie Cecil Peyniri nennen, für diejenigen bereit, die es gerne vollmundig haben. Zafer aber zürnt Ali, weil er denkt, dass Mohammed das Tier als Fleischpaket auf die Erde geschickt hat. Und nicht als Milch- oder Käselieferant. DESHALB: GEGENSEITIGE VERACHTUNG.
Ali verkauft mir noch drei Becherchen von diesem Ayran, den sie hier überall und immer trinken. Es ist so etwas wie durchwässertes Joghurt, schmeckt salzig, ist aber Labsal in einem Klima, wo deine Transpiration wie die Giessbachfälle loslegt.
Zu Hause wartet Innocent schon ungeduldig auf sein Frühstück. Er steht auf der kleinen Terrasse. Und schaut zum Bosporus.
Eine Möwe hat sich kaum drei Handbreit entfernt von ihm auf einen Kamin gelegt. Und döst dort vor sich hin. Manchmal zwinkert sie müde zu uns herüber. Dann sperrt sie den Schnabel auf. «Sie gähnt», sagt Innocent.
Die Hitze macht schon früh morgens schläfrig. Und selbst Möwen haben hier ihre Hitzekrisen.
Ich breite meine Köstlichkeiten aus: die Sesamkringel, welche bereits ihren Samenmantel abgelegt haben... den Lockenkäse in diesem Waschweiss, der noch leerer als Leerdamer schmeckt... ein Lammwürstchen, das mir Zafer mit unanständigem Augenzwinkern zugesteckt hat, sowie ein Pfund von diesem Pide, einem hauchdünnen Papierbrot, das ofenwarm ganz gut munden kann, aber erkaltet auch als Schuhkarton durchgehen würde...
Innocent wendet sich von der Möwe und dem Bosporus ab. Dann schaut er entsetzt auf die Auslese meiner Berg-und-Tal-Wanderung.
UND JETZT SCHNALLT MAL, WAS DER DOCH TATSÄCHLICH RAUSLÄSST: «Ja, hat es keine Gipfeli?»
Was hat Zafer doziert?? EIN LAND VON GEHÖRNTEN KÄSECRACKER-FRESSERN!
Von Höhenmetern am Bosporus und türkischen Käselocken
Samstag, 21. Juli 2012