Von Gwendolyn, der drei Mal starb

Als ich die Ente hinten im Kostümkasten entdeckte, begann ich zu hypern. Warf mir drei von den rosa Pillen ein. Und wollte den Gräuel in einem Kleidersack entsorgen.
Die Larve mit dem überdimensionierten Entenei als Kopflaterne schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an. Sie hatte schon damals diesen ­entsetzten Blick einer Tierschützerin, der man Foie Gras auf Brioche serviert.
Die Entenfigur war Gwendolyn mit Enten­geschichten im Plural.
Ganz kurz: Zu jener Zeit gabs in den Medien noch keine Kolumnen. Nur Geschichtlein. Gwendolyn war der Held eines solchen: DIE ENTE-CLOONEY, quasi.
Jedenfalls lebte der Enterich auf meiner Terrasse. Und stand gesinnungsgemäss schon vor 40 Jahren etwa dort, wo heute diese lustige Jungsozialistin ihre politischen Eier legt. Gwendolyn führte einen harten Terrassenkrieg gegen meine Blumentopf-Ameisen. Denn die waren arbeitsam und kannten nur eines: der Königin zu dienen.
Bref: Ich habe mich beim Schreiben der ­Gwendolyn-Geschichten immer köstlich amüsiert.
Leider war ich der Einzige.
Meine Redaktoren hatten von Gwendolyn die Nase gestrichen voll. Sie liessen den Enterich in der 326. Folge brutal in ein japanisches Küchenmesser laufen ? dies war sein Ende: à l?orange.
In Erinnerung an seine wunderbare Kriegerzeit nannten wir unser Dreier-Pfeifergrüppchen nach ihm. UND DANN KAM INNOCENT.
Eigentlich hat er mit Fasnacht nie etwas am Hut gehabt. Er flieht Jahr für Jahr mit seinen Weibern auf die Rigi. Lässt sich drei Kisten Kirsch ins Chalet schicken. Und läutet eine Fondue-Woche ein.
DAMALS NICHT. DAMALS WOLLTE ER EIN ­EINZIGES MAL AN DER FASNACHT MITMARSCHIEREN!
Er versprach uns eine «Kostüm-Überraschung»? «Ihr werdet dann Augen machen!»
JA. DAS TATEN WIR.
Nie werde ich jenen Horrormoment vergessen, als eine halbe Stunde vor Morgestraich in der Schlüsselzunft dieses irrfiebrig-nervige Chaos herrschte ? UND ES MIT EINEM SCHLAG EISIG STILL WURDE.
Es war Innocents Auftritt. Er hatte sich den Entenkopf mit dem leuchtenden Riesenei aufgestülpt. Dazu trug er eine Boafeder über grellen Seiden-Ziegeln, aus denen ihm eine Freundin so etwas wie einen Frack zusammengepinnt hatte. Der Bauch war mit einem Kissen gestopft ? der Entenhintern mit zwei. Und aus dieser prallen Seidenpracht schauten zwei grellrote Strumpfhosen-Steckchen hervor, dünn und dürr.
Es war zu spät, als dass wir noch hätten verschwinden können. Innocent hatte uns schon entdeckt. Er brüllte unter dem Larvenkopf ­hervor: «Ja, was sagt ihr jetzt?» Wir sagten nichts.
Wir schauten einander nur stumm an. Und die Blicke stellten eine einzige Frage: «WIE WIRD MAN SO ETWAS SO SCHNELL WIE ­MÖGLICH LOS?»
Mittlerweile hatte Innocent eine Mitbewohnerin seines Hochhauses entdeckt. Er schwaderte auf sie zu: «GUTEN MORGEN, FRAU BIRKENMEIER? MACHEN SIE AUCH FASNACHT?»
Das Ding, das sich Frau Birkenmeier nannte, sass bleich in einem dieser weissen Wolkenfummel, die Anfang der Siebzigerjahre Fasnachtsmode waren, vor einem Tee. Die Wolke liess sofort ein Gewitter los: «WAS SOLL DAS? ICH BIN DAS DORLI. WEISST DU NICHT, DASS MAN AN EINEM MORGESTRAICH EINANDER DU SAGT? UND WAS SOLL DIESER IDIOTISCHE AUFZUG MIT SEIDENFETZEN UND BOA?! DAS IST NICHT FASNACHT!»
Wie viele Male habe ich in meinem Leben diesen Satz «Das ist nicht Fasnacht!» hören müssen. Ich weiss bis heute nicht, was Fasnacht eigentlich ist. ABER HIER MUSSTE ICH FRAU DORLI BIRKENMEIER RECHT GEBEN: DIESE SEIDIGE ENTE WAR ES EINDEUTIG NICHT!
Anstatt nun einfach still Leine zu ziehen, begehrte Innocent wie im richtigen Leben auf: «Ja hallo, Frau Dorli!? Sind wir mit dem falschen Fuss ­aufgestanden? An der Fasnacht müssen wir doch lustig sein!»
DAS WAR DER MOMENT, ALS DER GANZE ZUNFTSAAL IM «SCHLÜSSEL» AUFJAULTE UND ZU PFEIFEN BEGANN.
Erste, zweite und dritte Stimme der Gwendolyner schlichen sich in Panik hinters Buffet und tauchten zwischen Bierharassen unter. Wir hörten, wie energische Stimmen forderten: «Zieh endlich diesen vergammelten Entenkopf ab, sonst reisse ich ihn dir selber vom Grind.» Dazwischen dann aufgebrachte Töne von Innocent. «JA HALLO ? WIE KOMMEN SIE MIR VORBEI!»
Und plötzlich herrschte Krieg.
Man riss an Gwendolyns Federboa. Frau Dorli Birkenmeier versuchte ihm das leuchtende Gammelei vom Kopf zu schlagen. Und jemand brüllte: «Die haben draus­sen schon angefangen!»
Drei Solostimmen der Gwendolyner, ihr Vortrab und die ganze Schlüssel-Meute hat an jenem denkwürdigen Morgestraich den Vier-Uhr-Schlag verpasst.
SCHULD WAR EINE ENTE.
Zu Hause fand ich dann eine Notiz: «Bin auf der Rigi. Ich werde Basel und seine Fasnacht nie verstehen? Ihr könnt mich alle mal? auch Frau Birkenmeier!»
GWENDOLYN WAR EIN ­ZWEITES MAL GESTORBEN.
Und nun lag dieses Stück Entengeschichte als mottenzerfressener Haufen in meinem Kostümschrank. Ich öffnete den Sammelkleidersack und hörte prompt eine donnernde Stimme: «ABER NICHT DIESES KOSTÜM! ? WEISST DU EIGENTLICH, WAS MICH DAS DAMALS GEKOSTET HAT?!» Er riss mir die ­Seidenfetzchen aus den Fingern. Sie lösten sich sofort in Staub auf ? und das war das dritte Ende der Ente.
«Du warst ein mieser Freund!», schaute mich Innocent vorwurfsvoll an, «du hättest dich für mich schlagen sollen und?»
«Das tut man an einer Fasnacht nicht», sagte ich ruhig. Und holte den Staubsauger.

Sonntag, 27. Januar 2013