Von Gastro-Logistik und dem Ave Maria

Donnerstag Kochen ist Plackerei mit Schweiss gewürzt.
Ich meine: Hobbyköche habens schön. Sie erfinden einmal pro Monat ein Wachtelei. Zelebrieren es wie der Papst die Hostie. Und rümpfen dann die übrigen 30 Tage des Monats über alle andern Küchen-Eier die Nase.
SO MACHT KOCHEN SPASS.
Aber wenn man Tag für Tag hören muss. «Bitte keine Tomaten für mich... ich bekomme da immer diesen Hautausschlag und sehe aus wie ein ausgebombtes Mohnblumenfeld», also wenn sie dich mit Stänkereien wie «... ich will Fisch, der nicht nach Fisch schmeckt» oder «um Himmels Willen DA HATS ROSINEN DRIN» wurmig machen, dann könnte man gut und gerne zum Messer greifen. UND NICHT UM DAS FILET ZU TRANCHIEREN.
Nun haben der liebe Gott, das Schicksal oder wer immer uns dieses Lebenssüppchen einbrockt, gewollt, dass mein Leben zu 50 Prozent aus Kochen und zu 50 Prozent aus Vorbereiten besteht. Weitere 50 Prozent sind Aufräumen. Ich lebe ein 150-prozentiges Leben.
DAS HABE ICH NIE GEWOLLT.
Kochen hat mir nie auch nur einen Hauch von Spass gemacht. Und immer wenn ich das SCHWARZ AUF WEISS betone, lachen die lieben Freunde: «Jetzt tut er wieder so... er muss doch Kochen lieben, so wie er das Schweinsfilet in die Finger nimmt...»
Das Schlimmste an der Pfannenschieberei sind die Erwartungshaltungen der zu Bekochenden.
Ich leide da mit allen Sterneköchen. Und keiner weiss besser, wie es dem Seiltänzer über der Manege bei den Trommelwirbeln vor dem Absturz zumute ist.
Da die Leute also mit einer Erwartungshaltung, so hoch wie dieser Roche-Turm, der nie gebaut wurde, an meinen Tisch kommen, steigern sich die Vorbereitungen zum Essen in Galaxien. Ich kaufe ganze Rosenernten auf (nur um den Rahmen vom Dornröschenschloss aufrecht zu erhalten), buche sämtliche Teilzeit-Serviertöchter für einen Monat, damit das Silber auf Hochglanz brilliert und bringe Innocent zum hypern: «Ok, ok. Wir können ja nochmals 100 000 UBS-Aktien verkaufen, nur um Deine Putzfrauen bezahlen zu können...»
Vor einer Einladung erstelle ich einen Logistikplan, der mindestens so ausgefeilt ist, wie damals bei Hannibal, als er die Elefanten auf den Alpen grillierte. Tagelang wird herausgetüftelt, welche Herdplatte zu welcher Minute gerade frei ist und welche Minuten wir den herzkranken Ofen für die kleinen Hummerquiches freischaufeln können. Wir legen auf einem Plan jedes Detail auf die Sekunde fest:
19.00 Uhr: Kerzen anzünden.
19.06 Uhr: Eiskühler füllen.
19.09. Uhr: Toiletten kontrollieren (Duftflacons!)...
19.11 Uhr: Flammenkuchen in den Ofen (mit Crème épaisse bestreichen).
19.13 Uhr: rohen Fisch lamellieren.
19.19 Uhr: Flammenkuchen anrichten. Abdecken. Ofen mit Kalbsbäckchen auf 120 Grad runterstellen.
19.20 Uhr: Schürzen der Servicebrigade kontrollieren. Menü erklären.
19.23 Uhr: Weissweine in die Kübel. Dito Wasser? mit und ohne. Orangensaft, der sich gesetzt hat, wieder aufrühren.
DINGDONG.
Ja Herrgott , die Gäste kommen doch erst um 19.45 Uhr. Aber Gäste halten sich nie, NIE an deinen logistischen Plan. Für sie ist es logisch vorher zu kommen. «... damit wir alles in Ruhe fotografieren können... nein danke. Orangensaft macht mir Magenbrennen... Hast Du Mangosaft...?»
19.26 Uhr: Zwei Mangos werden eigenhändig ausgewürgt. In Gedanken sind es die Hälse der Gäste, die zu früh erschienen sind.
Am liebsten sind mir diese Geladenen, die eine kleine Überraschung eingebaut haben.
Diese kleinen Überraschungen haben es gross in sich. Sie haben mir schon Enten austrocknen, Glacebomben davonlaufen und Käse zum Himmel stinken lassen.
«Also das Patenkind von Urs möchte noch etwas Kleines singen...»
BINGO!
In Gedanken boxe ich den Logistikplan um. Und schiebe das «Ave Maria» zwischen Sorbet und Käse.
Aber schon nach dem Fischgang schellt es Sturm. Da das Patenkind nicht ohne Klavier singen kann, hat man kurz eines hierher bestellt.
Eine Kleinversion nur? aber diese braucht einen Tisch, ein Kabel, einen Stecker... dann einen Stuhl für den Pianisten... könnten vier Gäste vielleicht mal rasch den Esstisch nach hinten schieben...»
Acht Gläser kippen. Sie ergiessen den «Grand cru» bei der Schieberei auf die weisse Spitze (Donnerstag? 13.40 Uhr Tischtuch stärken und bügeln)? der schön gedeckte Tisch (Freitag 09.20 Uhr? 18 Gedecke klar ausrichten. Gläser polieren). Das Ganze sieht nun aus als wäre der heilige Krieg über die Tafel gekommen.
Die Meissenaffenmusiker (Samstag: 09.14 Uhr? Tischmilieu!) sind alle umgekippt? dafür sitzt nun endlich der Pianist hinter dem Klavier.
Annick zeigt mit verschwörerischer Miene in Richtung Küche. Die Miene sagt nichts? der Rauch sagt alles: den Kartoffeln ist das Wasser ausgegangen. Schwarz und erstarrt liegen sie in der Pfanne. Denn auf dem Zeitplan steht: 20.36 Kartoffeln vom Herd nehmen. Und jetzt ist es 21.20.
Ich setze neue Kartoffeln für Stock auf. Stocksauer.
«Ave Maria» tönts aus dem Esszimmer. «Das Sorbet ist Brei», sagt Annick giftig. Ich hake auf dem Logistikplan den Zwischengang (Quittensorbet 21.15 Uhr) ab.
Beim Abschied sagt ein Gast: «Man merkt, dass sie nicht gerne kochen? aber das Ave Maria hat alles gerettet.» Dann ist die Logistik am Ende.
Und ich auch.

Donnerstag, 17. September 2009