Von Frühstücksgeplänkel und Tomaten-Röte

Donnerstag Ich spürte es sofort. Wenn Zoff im Anzug ist, schmecke ich das wie die Fliege den Kuhschiss. Oder die Ameise unsere Zuckerdose.
DA KANN MIR KEINER ETWAS VORMACHEN!
Innocent hockt also hinter der Zeitung. Um ihn herum liegen die Köstlichkeiten seines Frühstücks verstreut: ein Glas frisch gepresster Saft der Orange... Honig aus der Toskana... Butter vom Pierens Bärti direkt von der Adelbodner Alp... ein angeköpftes Weichei (150 Sekunden? präzis!). Dazu der Gipfel allen Glücks: Gipfeli. Innocent mag aber nicht richtig zugreifen. Ich höre immer wieder ein Seufzen. Und das nervöse Rascheln der Zeitung erinnert an erste Föhnwehen vor dem Sturm.
Ich breite nun seine Tagesration an Pillen aus. Sie sollen seinen Blutdruck senken, den Elan hochtreiben (was immer Mann unter Elan versteht) den Cholesterinspiegel ausgleichen und die Gicht aus den Knochen exorzieren.
Ich meine: Früher war das noch eine einzige Hirsetablette für sein lockiges Haar? heute könnten wir mit Innocents medizinischer Morgenration spielend eine Krankenstation für «Médecins sans frontières» einrichten.
Wieder seufzt es blubbernd wie die Heissluft aus dem Cappuccino-Dampfstab.
«Was ist denn?»
Ich versuche den Blick des Unglücklichen hinter der Zeitung zu erhaschen. Umsonst. Da grinst nur der runde Apfel vom Herrn Bundesrat Schmid über der Butter. Darunter die Schlagzeile:
«ES WAR EIN FEHLER.»
Ist Armeechef Nef ein «es»?
Ich also zum Unglücklichen (nicht zu Nef noch zum Herrn Bundesrat, sondern in Richtung Innocents Stossseufzer) eindringlicher:
«Wo drückt der Schuh?»
Natürlich könnte es sehr gut sein, dass das dritte Fläschlein, das er gestern Abend mit unserem Nachbarn im Garten in die Lampe geschüttet hat, ganz einfach zwei Schlücklein zu viel waren. Dazu dann noch Bundesrat Schmid als Morgengruss auf der Titelseite? das muss ja Herkules umhauen.
Es kann auch sein, dass die Worte seiner Sekretärin «Herr Doktor? Sie haben zwei verschiedenfarbige Schuhe an» bei ihm eine Depression ausgelöst haben.
ICH ALLERDINGS BIN MIR KEINER SCHULD BEWUSST. Denn ich habe ihm gestern Abend sein Lieblingsgericht, einen Ochsenmaulsalat mit feinen Kapern, geviertelten Wachteleilein und gehacktem Liebstöckel sowie einer Prise gemahlenem Rosenpfeffer, und dies alles an einer leichten Weinessig-Grobsenf-Sauce serviert. NICHT NUR DAS. Es gab auch pflaumenweiche Maisgnocchi mit Salbeibutter zu Hochglanz nappiert.
Gut. Die drei Tomatenstückchen hätte ich nicht ins Innere der Kugeln reinbetten sollen. Innocent reagiert nämlich auf Tomaten so allergisch wie die SP auf Herrn Brunner... Andersrum: Beim kleinsten Pomodorobissen macht seine Gesichtsfarbe leicht auf Russenrot? ein Farbton, wie diesen nur noch ein Schlücklein Burgunder auf seine sonst eher blasse Birne zaubern kann.
ABER DAS IST ETWAS GANZ, GANZ ANDERES!
Natürlich hat er keine WEIN-Allergie? NUR AUF TOMATEN. Die hat Innocent eh nie gemocht. Und da kann ich ihn noch so sanft darauf hinweisen:
«Moppelchen? es sind nicht die Tomaten!
Immer wenn du das dritte Gläslein Rotwein intus hast, leuchtest du wie die untergehende Sonne.
ALSO LASS DEN SCHEISS UND SAUF MINZENTEE? WIE ANDERE SÄUGETIERE AUCH...!»
Ja hallo, den Blick solltet ihr dann aber mal sehen!
Und nun also dieses beängstigende Seufzen. Dazu Appetitlosigkeit. Und Herr Schmid, der sich langsam auf die Adelbodner Butter senkt. Innocent schaut mich mit trauerumwobenen Augen an: «Wir sind arm. Wirklich arm!»
Ach Gottchen? und ich dachte schon, Onkel Max sei gestorben. Zärtlich streichelt er über die verblätterten Brosamen meines Croissants: «Vorbei all dieser Luxus? adieu, weiches Frühstücksei? ab morgen gibts Milchkaffee mit Brocken...» Wenns weiter nichts ist. Das hatten wir als Kinder immer.
«Butter gibts nur noch an Sonntagen... », rafft sich Innocent zur neuen Tagesordnung auf. «... und Orangensaft, wenn der Nikolaus kommt!»
Natürlich kenne ich solche Ausbrüche. Der Börsenkurs bringt ihn immer mal wieder aus dem Lot. Letztes Mal hat er alle meine Säcke für die Kleidersammlung wieder geöffnet. Und die Militärhosen aus dem Jahre 1957 in den Kasten zurückgehängt.
«Gut. Einverstanden», sage ich. Und bin meinen Eltern dankbar, dass sie ihr Geld nicht in Papiere, sondern in Vergnügen angelegt haben. Ich meine: Lachen war schon damals der sicherste Wert.
«Einverstanden? jetzt stornieren wir zuerst einmal diese Weinbestellung, die du gestern bei Coop durchgegeben hast. Dann verkaufen wir die alten Bordeauxflaschen, um uns noch die Margarine aufs Brot leisten zu können und... »
Diesmal lief der Kopf rot an, obwohl weder Tomaten noch Burgunder in der Nähe waren:
«Mit dir kann man einfach nicht ernsthaft diskutieren!»
Da habe ich ihm freundlich die Blutdruckpille zugeschoben:
«Du hast wieder zwei verschiedene Socken an!»

Donnerstag, 7. August 2008