Innocent ist angestaut mit Daten und Maya-Kulturwissen. Nun will er alles nachkontrollieren. Es ist wie bei meinem Haushaltungsbuch? Posten für Posten wird durchgegangen. Und geprüft, ob auch alles stimmt. SO KANN MAN EINEM DIE KULTUR AUCH ZUR SAU MACHEN!
Für ein kleines Schwätzchen mit der Alten auf dem Markt bleibt keine Zeit. Die Frau hat ein Häutchen wie ein angebissener, vergessener Apfel? braun und verschrumpelt. Ich wüsste gerne, wie sie es schafft, dass ihr Kopfhaar in ihrem hohen Alter noch so pechschwarz und üppig ist. DAS KANN EINFACH NICHT VON SCHWARZKOPF SEIN! Wenn ich hinter ihr Geheimnis komme, werde ich es meinem fitten Vetter Tom stecken. Der füttert sich nämlich täglich mit Tonnen von Weizenkapseln und Priorin. Dennoch kann er sein Kopfhaar einzeln zählen...
Die Alte bietet getrocknete Fischware an. Da sind Berge von roten, ausgedörrten Crevetten und gräulichen Kleinstfischen. Ich hätte gerne gewusst, was man damit anstellt? und ob dies etwa das Geheimnis des ewigen schwarzen Haars sein könnte. Die toten Fische geben knisternde Geräusche von sich? so, als würde der Wind durch Blätter von Pergament blasen. ICH MEINE, DAS IST DOCH MINDESTENS SO INTERESSANT WIE EIN STEINERNER MAYA-WETTERGOTT, DER WIE EINE SCHILDKRÖTE AUSSIEHT UND NACH JUNGFRAUEN GIERT. Dieses verkachelte Mannsbild hat sich ja bis in die Heutezeit in unseren Breitengraden als Meteo-Moderator halten können. ABER KNISTERNDE TROCKENFISCHE, DIE ÜPPIGES, SCHWARZES HAAR GARANTIEREN? DAS SIND KULTURFRAGEN, ZU DENEN BAEDECKER NUR EIN FRAGEZEICHEN HAT.
Ich will mir drei Kilo davon einpacken lassen? nur mal zum Ausprobieren. Innocent aber zerrt mich genervt vom Stand weg: «Merkst du nicht, wie das stinkt! Das sind doch die schweren Düfte wie früher die Freitag-Kabeljau-Wolke in den Treppenhäusern unserer Mütter.» Ich bleibe würdevoll: «KULTUR STINKT NIE, LIEBER FREUND!»
Innocent merkt, dass es mir mit der «Haarkur mit Trockenfisch» ernst ist. Hurtig zieht er mich zu einem Nebenstand: «Schau mal dieser herrliche Safran.» Natürlich ist es nicht derSafran, der ihn lockt. Es ist dieses junge Weib, das nun den heissen Blick auf seinen Fettgürtel wirft wie die Schlange auf eine Springmaus. «Mexiko kennt keinen Safran», doziere ich. Das sind Fälschungen. Echten Safran gibts nur im Wallis. Allerhöchstens noch auf dem Gewürzmarkt von Istanbul und bei Coop. ALSO HÖR AUF, DIESES WEIB SO PENETRANT ANZUGRINSEN!
Diese falsche Schlange streckt ihm nun ein Löffelchen mit den Safranfäden hin. Sie sagt etwas in einer Sprache, deren Konsonanten so zackig sind wie das Geräusch einer Stanzmaschine. ICH VERSTEHE NICHTS, ABER KAPIERT HABE ICHS: DIE WILL UNS VERARSCHEN! Innocent holt schon die Dollarscheinchen und lässt sich in ein Säcklein von den haarigen Rotfäden reinknübeln. Er legt einen Betrag hin, mit dem unsereins von Weihnachten bis Ostern den ganzen Haushalt berappen muss. In Temozon erklärt uns später der Küchenchef, das Ganze seien dünn geschnittene, getrocknete Peperonistreifen.
Wir durchleben eine der typischen Zweierkistenkrisen: «Weshalb hörst du nie auf mich?»
Der Nichthörenwollende: «Du musst mir noch etwas husten? mit deinen 23 gefälschten Antik-Steinfröschen. Für den Peperonisafran bezahle ich wenigstens kein Übergewicht!» Das Wetter war hitzig wie unsere Stimmung. Und so beschlossen wir, uns in einer Hazienda von Merida etwas abzukühlen. Aus der Küche war ein ewiges Hämmern zu hören? mollige Maishühner wurden flundernflach geschlagen. DAZU GABS DIESE TORTILLAS, DIE EINFACH NACH NICHTS UND GAR NICHTS SCHMECKTEN. «Du musst sie mit diesen gehackten Zwiebelchen füllen», wusste es Innocent wieder einmal besser. Das Schälchen mit den schwitzenden Weissteilchen aber war der gehackte Trockenfisch, den sie auf Tomaten streuten. Zu den Tortillas gabs eine Salatschüssel voll mit den roten Peperonifäden, die wir vor ein paar Stunden noch als kostbaren Safran eingekauft hatten. DA WAR INNOCENT DER APPETIT VERGANGEN. Und er füllte all die Trockenfäden aus der Schüssel in seinen Notfallsack ab: «Das ist wie mit den UBS-Aktien? wenn man sie zu teuer eingekauft hat, muss man von den billigen dazunehmen. Das mindert den Verlust!»
(Als ich zwei Monate später in einem Basler Nobelwarenhaus ein kaum fingergrosses Gläslein mit den roten mexikanischen Paprikafäden zum Preis einer kleinen Diamantenmine sah, bedauerte ich es doch, Innocents Fäden noch vor dem Abflug in Cancun im Grünabfall entsorgt zu haben.) Die Fahrt vom mexikanischen Golf an all den entsetzlichen Hotelketten entlang endete abenteuerlich. Eine Polizeistreife mit Rotlicht und gezückten Knarren hielt uns an: «Sie sind viel zu schnell gefahren, Señor!» Das war gelogen. «Wir können es beweisen. Wir haben Fotos mit Zeit und Geschwindigkeit. Sie müssen auf den Hauptposten nach Cancún mitkommen und...» In zwei Stunden ging unser Flugzeug nach Guatemala. UND DIESE KNARRENSCHEISSER WUSSTEN DAS GANZ GENAU. SONST HÄTTEN SIE UNS NICHT VOR DER ABZWEIGUNG AUF DEN AEROPORTO ABGEFANGEN. «Wie viel?», flüsterte ich leise. Innocent hiepte vom Nebensitz: «Ich sage ja immer, du fährst zu schnell... das bezahlst du aber von deinem Sackgeld!» SACKGELD MIT 63 JAHREN UND EINER REGISTRIERTEN PARTNERSCHAFT!? UND DA GIBT ES MENSCHEN, DIE MICH NEIDVOLL ANSCHAUEN. «So schön wie du möchte ich es auch mal haben!»
«WIE VIEL?», flüstere ich noch einmal den Knarrenmännern zu. Die verhandeln untereinander. Dann: «120 Dollar? aber ohne Quittung!» Und so hat sich die Polizei von Yucatan mit meinem Sackgeld vergnügt.
Von falschem Safran und der mexikanischen Polizei
Samstag, 2. April 2011