Von eingebildeten Krankheiten und Extrawünschen

ERZÄHLT MIR EINER, DIE PEST FANGE MIT GRÜNEM SCHWEISS, EIERSURREN UND 39,6 ORAL GEMESSEN AN? DREI MINUTEN SPÄTER ALLES DA!
Die Eier brummen. Ich transpiriere pistachefarbiges Stinkewasser. Und meine Temperatur vibriert und fibriert.
So hatte ich schon die Symptome von Scharlach, Mumps und Keuchhusten. War immer nur Fehlalarm. Einbildung. Und Herr Seelchen, mein Flachlege-Psycho, der mir die Vergangenheit aufmischt, damit ich eine gute Zukunft habe? also Sigismund Seelchen behauptet in der Analyse, mein Ego sei mit Kinderknete der weichen Art zu vergleichen: EMPFINDLICH UND VON AUSSEN BEEINFLUSSBAR. Die Schuld schiebt er einer etwas dominanten Mutter und deren Behupfer, dem Trämler-Trauma-Mann in die Schuhe, einem froh bimmelnden George-Clooney-Verschnitt auf Schienen. SOMIT KANN ICH NICHTS FÜR DEN TICK. HABE ABER MIT DER ERKENNTNIS NOCH LANGE NICHT GEGESSEN!
Nein. Ich lege mir täglich neue Krankheiten zu, die gar keine sind.
Gut, ich weiss: Molière hat den Stoff schon für seinen Bestseller vom «Malade imaginaire» malträtiert und Tante Julchen hat mit ihrem Griff zum Herzen, Augenverdrehen und «acht Gottchen? DIESER STICH! Ich sollte mich doch nicht aufregen» sechs Nerzmäntel rausgeschunden. Dazu einen neuen Geschirrspüler. UND diesen Ring mit dem kirschengrossen Zitrin, den die Verwandtschaft hinter ihrem Rücken «das Hurenei» nennt. Während Molières Malade an seine Krankheit glaubt, wusste das Tantchen um deren Nicht-Existenz und gab die Symptome zum Infarkt einfach mal durch, um bessere Karten zu haben... ABER UNSEREINS KOMMT NUN MAL NACH DER MOLIERE-TYPE. Erfindet mir eine neue Grippe, die damit beginnt, dass die Haare ausfallen und die Zahnreihen wackeln? 30 MINUTEN SPÄTER BIN ICH NOSFERATU UND KÖNNTE JEDEN HORRORFILM BESTÜCKEN.
So also auch kürzlich. Irgendein Klugscheisser in meiner immer mehr schrumpfenden Verwandtschaft musste sich am letzten Adventsessen wichtig machen: Ich sähe ja aus wie die eigene Fäulnis auf dem Weg zur Gruft und ob ich eigentlich schon mal das Pfeiffer?sche Drüsenfieber durchgemacht hätte? ALSO DA PFIFF ICH SCHON, BEVOR DAS FIEBER LOSDÜSTE.
Ich machte mich sofort im Internet schlau. Und diese wunderbare Einrichtung mit den vielen Wikipedia-Einträgen ist wirklich ein traumfettes Nährfeld für Hypochonder und alle Menschen mit der Kinderknet-Seele. So kann einer sich schlaumachen, dass die Krankheit mit geschwollenen Lymphknoten und starkem Schluckweh beginnt. Schon habe ich Halsdrüsen wie Liftseile und bringe nicht das kleinste Schlücklein Speichel mehr runter.
JA WAS SAGT IHR JETZT?
Ich erfahre weiter, dass die Krankheit auch «Kissing desease» heisst, weil sie durch intensives Küssen übertragen wird und es kein Gegenmittel wie bei Schneewittchens Glassargschlaf gibt. Überhaupt ist alles wie beim Schneewittchen und doch anders: Der Prinz hat nämlich ZU FRÜH geküsst und nun hat das Opfer DIESEN MIESEN Frosch im Hals. UND WER WILL SCHON EIN PRINZESSCHEN MIT EINEM STINKENDEN FROSCH AN DER GURGEL? EIN FROSCH, DER ZUDEM NOCH PFEIFT, STATT QUAKT.
Es scheint, dass bei der Pfeiffer?schen Drüsenkrankheit ein Märchen falsch geschrieben wurde und zum Drama wird. So findet der Held im Stück nur durch die eigenen Abwehrkräfte wieder zum Leben und Frosch zurück. UND WIE VIEL EINFACHER IST ES DA MIT PRETUVAL PLUS ODER ALKACYL FORTE. Wirkt aber bei der Kusskrankheit nicht, die Scheisse ? sorry für den starken Ausdruck, aber das schwache Immunsystem entschuldigt alles.
Das Schlimmste aber? so sagt uns Wikipedia? seien die Müdigkeitsattacken. 38 Betroffene tauschen unter der Rubrik «Pfeiffer mit Pfiff» ihre Erfahrungen aus. Herr L. aus Z. lag ganze 18 Monate lang flach, bis endlich ausgepfiffen war. Am ersten fieberfreien Tag ging er auf die Strasse und wurde von einem Velofahrer auf dem Trottoir gerammt. Dann lag er sieben Wochen im Gips und wusste: «Pfeiffer?sches Drüsenfieber ist unangenehm, da es müde macht? aber es kratzt nicht. Gips hingegen kratzt.»
Und nun liege ich also mit dieser Müdigkeit, als hätte ein Engel mir 38 Valium eingeworfen in den schweissfeuchten Daunen und mische meine Umgebung mit Extrawünschen auf: «Mir steht nach einem geschäumten Ei... aber nicht zu viel Cognac... und nur Rohzucker... ich mache ja nicht gerne Umstände, aber schaut, dass das Ei tagesfrisch ist... im Elsass verkaufen sie tagesfrische und...»
NUN WECKE ICH ALSO HERRN INNOCENT SOWIE MEINEN FITTEN VETTER MIT EIN PAAR WENIGEN SONDERBEGEHREN AUS DEREN DAUERSCHLAF, UND SCHON MACHEN DIE BEIDEN SCHLAPP: «Wir sind hier kein Krankenhaus! Dieses Affentheater wegen ein bisschen Temperatur...!»
DERART MIES PFEIFEN SIE MEINEN PFEIFFER AUS.
Als dann der Vetter von einem medizinischen Weiterbildungskurs zum Thema «Die Nadel, dein Spitzenfreund» heimkam und mir eröffnete: «Das Einzige, was dir helfen kann, ist Dry Needling!», da war aber Panik pur. UND JETZT STELLT EUCH MAL VOR: Der wollte mir die Nadeln in die Schläfen rammen und dazu chinesisch beten! NICHT MIT MIR. Da war ich aber schleunigst wieder auf Vordermann, küsste den pfeifenden Frosch im Hals und fühlte mich schon wieder pudelmunter. Zwei Tage später hat Tildy angerufen und mir erklärt, sie liege mit diesem neuen Virus in den Federn: «Die Beine brennen... die Augen tränen... und du hast eine Stimme wie ein verrosteter Güterwagen...»
Sie hatte den verrosteten Güterwagen noch nicht erwähnt, da tränte ich schon!

Samstag, 17. Dezember 2011