Von einer Vor-Silvesterfeier und dem süssen Putin

Hanne kann einen aber auch wirklich die Wände rauftreiben. UND DIES RÜCKWÄRTS.
«Aber du musst dir doch irgendwelche Vorsätze gefasst haben!» Nein. Habe ich nicht. Das bringt eh nichts.
ICH KENNE DIE WELT. ICH KENNE MEIN SCHWACHES FLEISCH. Es sind immer dieselben Wunschregeln: weniger essen, weniger stressen.
Und dann bleibt die halbe Sau von der Neujahrsparty vor. DIE MUSS DOCH WEG. Und bereits grinst dieser Winzling von einem neugeborenen Monat, der elf Brüderchen und Schwesterchen im Schlepptau führt, hinter dem Philodendron hervor: «Ja, hallo Alter? WO BLEIBT DEIN ELAN?! Du wolltest doch diese Geschichte über ein frisches Jahr und gute Vorsätze schreiben.
SCHON WIRFST DU DIR EIN STÜCK VON DIESER BITTERSCHOKOLADE REIN. DANN ZIEHST DU DIR DIE BUCHSTABEN EINZELN AUS DEN KLEINEN, FETTEN FINGERN. Und hyperventilierst dich in die neue Geschichte.
Wer sagts denn: alles beim Alten? wie bei der Klimakonferenz oder am Gipfeltreffen: grosse Worte. Null Wirkung. UND VIEL, VIEL SPESEN!
Hannchen lässt nicht locker: «Also, ich habe mir vorgenommen, die Zeitung abzubestellen. DU KANNST DOCH SO EINE RICHTUNG AUCH NICHT BILLIGEN. IMMERHIN WAR MEIN BRUDER EIN GEWERKSCHAFTSFÜHRER. Ihr Bruder war mein Vater. Und er sorgte dafür, dass seine Kollegen vom Depot Morgarten anständige Trämlerlöhne hatten. Überdies plädierte er für die 38-Stunden-Woche. Und brachte es selber auf 33. Die gewerkschaftlich vorgeschriebenen Freistunden verbrachte er dann an irgendeinem Schreckhorn oder bei der Querbesteigung der Jungfrau. Dies rotbesockt. Sonst aber recht ungeschützt. JEDES JAHR NAHM ER SICH AN SILVESTER VOR: «Nächstes Jahr arbeiten die Knechte dieser Welt eine Stunde weniger. Melken wir diese Kapitalistenwixer!»
UND ER PAUKTE SEINE VORSÄTZE DURCH. Bis dann die Migranten aus dem Land der Minarette kamen und für seinesgleichen arbeitstechnisch einsprangen. DAS WAR DANN AUCH NICHT RECHT. Plötzlich tobte er: «Die nehmen uns die Arbeit weg. WIR HABEN EIN RECHT AUF UNSERE ARBEITSSTUNDEN. JEDER HAT EIN RECHT AUF SEINE ARBEITSSTUNDEN!»
Ich will damit nur sagen: DAS MIT DEN VORSÄTZEN HAUT NICHT IMMER, AUCH WENN SIE DURCHGEFÜHRT WERDEN.
Hannchen bestellt also die Zeitung ab. Und ein paar Regierungsräte auch. Sie bellen zwar Forderungen in die Fernsehkameras. «Ich verlange von diesem Blatt...» Ach ja? ALSO, DAS GEHT MIR DANN ABER TOTAL AUF DIE EIER. Ist ja wieder mal typisch! Fordern können sie immer? bezahlen sollen es die andern. Leider kann ich Regierungsräte nicht wie ein Zeitungsabo abbestellen. UND DIES, OBWOHL ICH DIE HERRSCHAFTEN RECHT TEUER BEZAHLE.
Also Ärger für 2012 programmiert? soll ich mir da OMMMMM, OMMMMM, OMMMMM-Relaxgemurmel vornehmen?! Bringt sicher auch nix. Wir sind doch schon wieder an der Decke, noch bevor das neue Jahr die Windeln gewechselt hat.
Innocent schlurbt in seinem Sack-und-Asche-Morgenmantel an. Ihm sitzt ein Vor-Silvesterkater im Genick. Dem Kater war eine Glanzidee vorangegangen: «Wir feiern für einmal etwas früher. Und stossen nicht auf das neue, sondern auf das alte Jahr an. Dies am 30. Dezember.»
NA JA? TYPISCHE SCHNAPSIDEE! Sie haben das alte Jahr 24 Stunden vor seinem Ende hochleben lassen. Und sind nach Mitternacht von Schaumwein auf Wodka mit Himbeersirup umgestiegen ? «der süsse Putin», so nannten sie die Kreation. Mir wurde schon vom Namen schlecht. Die andern aber zogen sich die Süssbrühe gleich literweise rein. Nach drei Stunden war ein Andrang über der Toilettenschüssel wie am Münchner Oktoberfest bei Freibier. UND NUN ALSO HERR INNOCENT MIT DIESEN KLEINEN ÄUGLEIN, DIE DAS NEUE JAHR HEUTE ABEND GAR NICHT SEHEN WOLLEN. Sondern winzig wie Berglinsen nach einer Flasche Wasser gieren. «Ich habe mir vorgenommen, 2012 keinen Alkohol mehr anzurühren!»
«HÖRT! HÖRT!»? freudenschreie ich es in die Welt hinaus. Innocent hält sich genervt seine lädierte Birne: «Psssst... nicht so laut. Musst du immer gleich wie eine Rockband loslegen. Mein Kopf hämmert...» Ich lasse ihm ein Alkaselzer los. Und führe das sprudelnde Nass zu seinen Lippen. «HABEN WIR ROLLMOPS IM HAUS?», fragt er. Diese Frage habe ich zum letzten Mal von Iischen gehört. Und da war sie schwanger.
«WIR HABEN KEINEN ROLLMOPS? ABER NOCH RESTEN VOM SPANFERKEL!» Er jault auf wie ein Hund, dem man auf den Schwanz tritt: «Rede mir bitte nicht von dieser Sau...»
Immerhin war es seine Idee gewesen, so ein armes Ferkelchen aufzuspiessen und so lange am Infrostrahler drehen zu lassen, bis die Haut ähnlich straff aufgeschwollen war wie die Kundschaft von Glanz und Gloria nach drei Gläschen Botox. Innocent hat das Schwein etwa so angepriesen: «Wir essen uns voll mit Glück fürs neue Jahr? die Sau ist immer ein Glücksbringer. Also rein damit! Auf ein sauglückliches 2012!»
Das Ferkelchen, dessen Bauer und Mutter wir persönlich gekannt haben, war ja gut und recht. Aber etwas zu stark mit Peperoncino und Korianderpulver gewürzt. Deshalb wurde von der Konsumgesellschaft dann arg nachgespült. Am Schluss mit dem erwähnten «süssen Putin». Und jetzt: Alkaselzer... «ICH WERDE IM NEUEN JAHR KEINEN TROPFEN ALKOHOL MEHR ANRÜHREN...!» «Ja, ja», flüstere ich. Und kippe den Rest vom «süssen Putin» in die Spüle. Innocent schaut mit kummervoller Miene zu: «DAS HEISST ABER NICHT, DASS WIR IM NEUEN JAHR WEITERHIN SO VERSCHWENDERISCH HAUSHALTEN WERDEN... der Putin hätte bestimmt noch ein gutes Sösslein gegeben.» Na danke? mir reicht er schon natur. «Machen wir einfach weiter...», sage ich. Und dann: «OMMMMM... OMMMMM... OMMMMM.»

Samstag, 31. Dezember 2011