Seit Harris Köbi diesen Schnaps brennt, ist Innocent nicht mehr zu bremsen. «Wir sollten doch wieder einmal zum Häuslein schauen. Wer weiss, was die Marder in Adelboden alles durchgebissen haben.»
UNSINN. IN ADELBODEN GIBTS KEINE MARDER. IN ADELBODEN BEISST HÖCHSTENS DIE SVP.
Wenn früher bei meinem lieben Vater die Berge gerufen haben, ists heute bei Innocent Harris Schnaps.
«Es ist, als würdest du den Himmel austrinken...», hat sich Innocent in blumigen Phrasen zum Bouquet geäussert.
Harris Köbi nahms weniger poetisch: «Ehh? me chaa-n-en ämmu suffä!»
Dann haben mich beide genötigt.
Ich weiss nicht was das soll: Verbote allenthalben... auch das Rauchen in öffentlichen Parks wird bald untersagt sein...? ABER DIE WELT NÖTIGT EINEM SCHNAPS AUF, DASS ES KRACHT. UND MEINE GURGEL LODERT NACH DEM ERSTEN SCHLUCK WIE DAS 1.-AUGUST-FEUER AUF DER HOHENLIEBE...
«Himmel?», keuche ich. «DAS IST, ALS WÜRDEST DU DIE GANZE HÖLLE AUSSAUFEN!»
Natürlich war Harris Köbi sofort eingeschnappt. Wenn einer von seinen Kindern sagt, sie seien dümmer als Fliegenschiss, lacht Köbi nur gutmütig. ABER ÜBER SEINEN SCHNAPS LÄSST ER NICHTS GEHEN!
Deshalb: «Ehhh... was verstaaht de scho so-n-e haubs Wyybervoulch vo richtiger Manneschnäpsi...»
Hier oben in den Bergen werden Tucken als «haubs Wybervoulch» betitelt. Das ist eisiger Gletscherton. Dennoch übt man gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe eine gewisse Toleranz. Immerhin besteigt hier eine Kuh oft die andere oder ein Muni stösst im Gaudi seinen Kollegen, ohne dass gleich das ganze Dorf in Panik ausbricht. Und als Albermattens Stallknecht Sepp nach seinem 73. Geburtstag und einem animierenden Dokufilm über Rosa von Praunheim beschlossen hatte, die zwölf Kühe im Stall künftig in der Berner Sonntagstracht zu melken, gab dies zwar einiges zu reden. Immerhin war es die alte Tracht der Albermatten-Hofbäuerin. Und das eng geschnürte Mieder war für die harte Arbeit beim Euter ziehen nicht unbedingt von Vorteil. Doch jedermann entschuldigte Sepps Spleen mit den Worten: «Är isch halt net nur en gäbige Mäucher... är isch au oise beschte Tenor im Jodlerclub. S isch bygott keene, wo so schöön juuchzge laat...»
Zurück zum Schnaps.
Da Innocent ein Zahnglas voll von diesem Feuerwasser in einem Zug austrinken kann? und sich danach keine Tränen, sondern nur den Mund abwischt, gilt er in der Adelbodner Bauernwelt als «gestandenes Mannsbild».
Die Menschen urteilen eben naiv. Als ob es hier auf die Beherrschung des Hochprozentigen ankäme!
Ich bürste bei Haueter zwölf Cremeschnitten rein und spüle mit einem Himbeer-Vanille-Coupe nach. DAS IST ABER KEINE BEWUNDERUNG DER BAUERNSEELEN WERT. Nein. Die Oberländer Mannsbilder tun hier ähnlich nasenrümpfig wie der legendäre Basler Daig, wenn einer Butter aufs Brot schmiert: «Wie kann man nur so prassen!»
Und nun hat Harris Köbi also alle Zwetschgen im Fass. Er lädt Innocent ein, bei der wunderbaren Verwandlung von Steinfrucht in Promille dabei zu sein. EINE KLARE SCHNAPSIDEE.
«Vorher aber reparierst du noch den Staubsauger...», gebe ich den Tarif durch.
«Hier liegt der Staub der Jahrtausende...», versucht sich Innocent in poetischen Bildern, «... ein Schnaps aber kann nicht warten!»
JA HALLO! Ich brauche euch wohl kaum zu schildern, wie er nach vier Stunden Zwetschgendestillation nach Hause kam. Es war Seegang 12. Er schaukelte wie eine Rheinfähre im stürmischen Ozean.
Hinter ihm torkelte Sepp. Der Silberschmuck seiner Sonntagstracht klingelte wie die Glöckchen einer Tempeltänzerin. Die schwarze Spitzenhaube über seiner glänzenden Glatze stand auf Halbmast. Und schon von Weitem hörte man sein stark gebrochenes: «Bhüet-is Gott dr Chüeiiieeerstaaand...»
Gerechtigkeitshalber müssen wir sagen, dass Innocent sich sofort an den Staubsauger machte. Allerdings tauchte er den Stecker in Bier, bevor er den reparierten Apparat auf «on» stellte. Es gab einen entsetzlichen Knall, wie ihn höchstens noch die Regierung Berlusconi beim Abgang von Fini erlebt hat. Dann gab die Stromversorgung in Adelboden-Boden abrupt ihren Geist auf.
Innocent wurde noch wochenlang im «Bären», «Adler» und «Kreuz» von den Bauern des Ortes Schnapsrunden offeriert. Und immer wieder nuschelten sie einander zu: «Das isch es gstudierts Manndli und chunnt de wouhl us em Ungerland... aber dasch de trotzdämm es ganz es gäbigs Bürschteli...»
Frau Stucki vom Elektroladen hat mir zehn Prozent auf den neuen Staubsauger gegeben. Sie ist auch mehr der Cremeschnitten-Typ.
Von einer Schnapsidee und dem Knecht in Frauentracht
Samstag, 21. August 2010