Von einer Reise nach Paris und Jolie Jacqueline, die einst Jacques le Pirate war

Samstag - Und das sollen Ferien sein? STRESS ISTS. STRESSISSIMO.

Italienischer Koffer auf. Hemden, Socken, Unterhosen auswechseln. Französischer Koffer zu. Und ab auf den Elsässer Bahnhof, wo bereits die Lokomotive und meine Tante auf Hochstrom warten: «Ja hats dich denn auf die letzte Minute - der Zug dampft ja schon. Das ist mein Gepäck?!»

Das Kioskhaus, vor dem die liebe Tante wartete, hat sich als Koffersilo herausgestellt. Ich wuchte die Dinger in den Zug. UND SCHON KRÜMMT SICH DAS KREUZ VOR LACHEN! Die Hexe hat wieder geschossen. «Sei kein Warmduscher!», klopft die liebe Tante auf den Buckel, «wegen des bisschen Gepäcks - das sind ja höchstens 120 Kilo!»

Wegen des Gepäcks nehmen wir ja auch den Zug nach Paris. Hätten wir das Flugzeug genommen, wäre die Reiserei nicht so einfach gewesen. Da hätten wir für Tantchens Ladung mindestens fünf Plätze buchen müssen. O.k. - bei den heutigen Flugpreisen geht so etwas easy. Doch: «Es ist doch wunderbar, wenn man mitten in Paris ankommt, und der Metro-Duft mischt sich mit dem Wind von frischgebackenen Croissants?», so betete die Tante säuselnd Pariser Postkarten-Idylle herunter.

DEN KOFFERBERG HAT SIE MIR WOHLWEISLICH VERSCHWIEGEN.

So habe ich trotz mörderischen Schmerzen, geschundenem Kreuz und gebeutelt wie ein geplatzter Pneu in der Formel 1 Tantchens Kleidersammlung alleine gebuckelt - die Pariser Lokal-Presse fronttitelte am andern Tag: «DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME IST ZURÜCK!»

Sonntag - Onkel Nudelstadt hatte uns beiden das Sparprogramm noch schriftlich durchgegeben: «NICHT DAS CRILLON! Für diese Übernachtungspreise können wir den ganzen Häuserblock kaufen!»

Also fuhr der Taxichauffeur (nachdem wir uns etwa eine Stunde vor dem Bahnhof in der Warteschlange die Beine krumm gestanden hatten und ich Tantchens Kofferwelt zentimeterweise voran schob) nasenrümpfend in eine düstere Seitengasse. Er halfterte seine Kurzknarre, rückte der Tante den Pfefferspray in die Hände («on sait jamais, Madame!»). Doch diese hielts für einen Munderfrischer, sagte artig «merci» und zu mir «er will mich anmachen». Dann linste sie hocherfreut, doch leider kurzsichtig aus dem Autofenster: «Dort hat jemand einen Muff im Strassengraben verloren.» Es war aber kein Muff. Es waren nur ein paar Ratten, die sich um eine halbe Merguez-Wurst balgten.

«On est arrivé», meldete der Chauffeur nun säuerlich vor einem Lattenverschlag. UND WER HAT WIEDER KLEIDERBERGE GEBUCKELT? Koffer für Koffer wurde vier Treppen hochgeschleppt, da das Personal des «gemütlichen kleinen Hotels mit typisch französischem Charme» (Prospekt) aus einer tattrigen Concièrge mit tränenden Rotweinaugen bestand. Diese Äuglein taxierten aber die Louis-Vuitton-Koffer meiner Tante haarscharf, und mit einem einzigen Federstrich wurden die Übernachtungspreise sogleich verdoppelt.

«Bienvenue chérie», nuschelte die Alte aus dem Zahnlosen und gierte nach dem Handtäschchen der guten Tante, wo das Nottropfen-Fläschchen mit den drei Nonnen Hochprozentiges versprach. «? Wir haben übrigens Vorausbezahlung!»

Ruth grabschte zwischen Nina Riccis «Air du temps» und dem Pfefferspray des Taxifahrers nach der Platinumkarte, doch die Alte lachte nur scheppernd auf: «Die kannst du dir, du weisst schon schon wohinstecken, ma petite - hier wird bare Pinke auf den Tisch geeiert!»

Als auch dies erledigt war, durften wir endlich in unsere Zimmerchen. «Herrlich diese Schimmer-Tapeten? Miller Style?», versuchte die Tante die Contenance zu wahren.
«Schraub endlich die Kontaktlinsen rein!», fauchte ich sie an, «das Schimmrige sind Silberfische?»
Die Tante setzte sich ungerührt auf das Doppelbett, dessen Matratze durchhing wie meine Moral: «Also du musst zugeben - zumindest ist es typisch Paris! Und wegen der paar Wanzen - im alten Ostdeutschland waren es mehr, haha!»

DAS IST IHRE SPASSIGE ART, MIT DER WELT ZURECHTZUKOMMEN.

Donnerstag - Nach drei Tagen waren wir mit den Flöhen der Umgebung auf Du und Du. Dies auch mit «Jolie Jacqueline», wie sich die alte Concièrge des Hotels «l?Ange bleu» nannte. Jacqueline hiess eigentlich Jacques le Pirate, hatte sich vor 35 Jahren in Casablanca ummodellieren lassen und war dann 20 Saisons lang die Sensation in «Madame Arthure», wo sie als Titten-Linchen ihren falschen Busen kreiseln lassen konnte wie der Schausteller die Himalayabahn. Mit dem Honorar, das nicht in die Flaschen floss, hatte sich Jacqueline die kleine Pension «l?Ange bleu» gekauft. «Nun kreiselt nichts mehr» - lachte sie scheppernd, als sie uns das Frühstück «2 Glas Weisswein und 3 harte Eier» servierte.

Leider machte Onkel Nudelstadt, als der Taxichauffeur ihn vor dem «Blauen Engel» ablud, die totale Szene. Er würdigte Jolie Jacqueline keines Blickes, sah auch nicht die lebendigen Reize der Silber-Tapete oder die romantische Aussicht zum Eiffelturm, der nachts mit 100000 Funkellichtern wie ein übergrosser Penis funkelte - er sah nur eins: «DIE HABEN NICHT EINMAL EINEN FERNSEHER MIT DEM BÖRSENKANAL!»

Ich habe Tantchens Koffer wieder unter Tränen und Pein runtergebuckelt. Und Tantchen hat Jacqueline, die einst Jacques war, zum Abschied das Fläschchen mit den drei Nonnen geschenkt.

Im Crillon wedelten die Concièrges wie läufige Hunde auf Onkel Nudelstadt zu: «Ohhh - Monsieur Nüüdelstatt. Bienvenu?» Er fauchte sie an: «? schö pei aber sölmang le demi Prix. E mäntenang äästallee moi tuttsuit le Bloomberg avec lee Börsekürs?»

Dienstag, 1. November 2005